Vor vielen Jahren und wohl in einer schwachen Stunde äusserte Klaus Jacobs jenen Satz, der ihm seither immer wieder vorgehalten wird: «Mit 50 ist ein Manager ausgebrannt und gehört ins Corporate Nirwana.» Natürlich wusste er damals nicht, dass er selber mit 50 Jahren noch vor Energie strotzen und seine Aussage Lügen strafen sollte. Noch weniger wusste er, dass er mit 50 in einen Karriereabschnitt geraten sollte, der weniger dem Zustand der buddhistischen Erlösung als vielmehr der Idee der christlichen Hölle sehr nahe kommen muss. Doch vor allem konnte er damals nicht ahnen, dass es bis heute, Jacobs 62. Lebensjahr, dauern sollte, bis er geläutert und unternehmerisch wiedergeboren mit der Welt ins Reine käme.

Klaus Johann Jacobs geht es so gut wie nie zuvor: Seine Unternehmen sind erfolgreich, sein Reichtum explodiert, seine einst angeschlagene Reputation ist wiederhergestellt. Dabei war er lange Zeit eine Reizfigur, seit er vor 27 Jahren mit seiner Jacobs AG, dem weltgrössten Kaffeekonzern, in die Schweiz zügelte. Als der Milliardär aus Bremen 1982 die Berner Schokoladenhersteller Suchard-Tobler übernahm, ging ein Aufschrei durchs Land – ausgerechnet ein Deutscher verleibte sich ein Stück Schweizer Nationalheiligtum ein. Dass er die fusionierte Jacobs Suchard acht Jahre später an den Tabakkonzern Philip Morris weiterverschob, zu unvorteilhaften Konditionen für die Minderheitsaktionäre, machte den inzwischen eingebürgerten Jacobs zum Landesverräter.

Dabei war sein Fehler nicht der Verkauf – sein Fehler war es, das vom Tabakkonzern auferlegte Kommunikationsverbot zu akzeptieren. «Ich war Sklave meiner Unterschrift», bedauert Jacobs heute. So sickerte erst im Lauf der Zeit durch, dass er sein Imperium à contrecœur abgestossen hatte. Der prominenteste Spross des strengen Bremer Familienclans, der sich bis ins Jahr 1105 zurückverfolgen lässt, brauchte Geld: 1989 hatte er seine drei Geschwister aus der gemeinsamen Familienholding Colima ausbezahlt, nachdem diese sich dreimal gegen einen Börsengang des Unternehmens ausgesprochen hatten. «Sie wollten ihr eigenes Leben gestalten. Ich wollte Wachstum für das Unternehmen», sagt Jacobs. An den 700 Millionen, die er für das alleinige Sagen bei der Familienholding zahlte, hatte er sich finanziell übernommen. Ein Jahr später musste er Jacobs Suchard verkaufen.

Das Image als Buhmann hatte er endgültig gepachtet, als bekannt wurde, dass Jacobs trotz dem Verkaufserlös von 3,1 Milliarden Franken weder Einkommen noch Vermögen versteuerte. Vom «billigen Jacobs» war die Rede, vom «Steuerschreck» und dergleichen mehr – Angriffe, die er bis heute nicht vergessen hat. «Als Prügelknabe der Nation zu erscheinen, war nicht erfreulich», erinnert sich Jacobs. «Darunter habe ich sicher gelitten.» Jahrelang war er auf Versöhnung bedacht, wirkte fast anbiedernd. Doch erst in den letzten Jahren ist es Jacobs gelungen, sich mit Presse und Öffentlichkeit auszusöhnen – und diese sich mit ihm.

Nicht ohne Grund, denn als Unternehmer hat es Jacobs noch einmal allen gezeigt. Als er sein Schokoladenimperium an Philip Morris verkaufte, musste er die uninteressanten Krümel zurücknehmen: den Rohkakaohersteller Callebaut, dazu Van Houten, der Heissgetränkeautomaten mit Schokoladenpulver beliefert, sowie den Candyhersteller Brach’s, der damals hohe Verluste schrieb. Hinzu kam das Bankengeschäft in Lateinamerika, der Banco Alemán Platina. Und als er ein Jahr später den Zeitarbeitskonzern Adia übernahm, in dem auch der Sportgerätehersteller Mistral «tief begraben lag» (Jacobs), stand der einstige Kaffeekönig mit einem Sammelsurium an Beteiligungen da, bei dem auch der beste Betriebswirt keine Synergien hätte entdecken können. Oder, wie Jacobs es ausdrückt: «Die Engagements setzen sich aus gewollten und historisch ungewollten Beteiligungen zusammen.»

Es sollte ein langer und beschwerlicher Weg werden, das Portfolio aufzupolieren. Mistral etwa schien ein hoffnungsloser Fall: Der Hersteller von Surfbrettern schrieb pro Jahr 5 bis 10 Millionen Franken Verlust, und dies bei einem Umsatz von 40 bis 50 Millionen. Obwohl Jacobs 20 Millionen Franken investierte, um das Unternehmen verkaufsfähig zu machen, wurden ihm anschliessend nicht mehr als 2 Millionen dafür geboten. «Und Mistral war in desolatem Zustand, als wir es aus der Adia herausholten», sagt Jacobs offen. Also sollte das Unternehmen 1992 mit dem damals ebenfalls angeschlagenen Sportartikelhersteller Adidas fusioniert werden. Doch die Verhandlungen scheiterten. Jacobs hielt an Mistral fest, tauschte zweimal das Management aus, bis sich endlich letztes Jahr der Knoten löste: Mit dem Kauf der Konkurrenten F 2 und Fanatic ist für Mistral nun auch das Wintersportgeschäft zu einem Geschäftsbereich geworden. Bei 100 Millionen Franken Umsatz ist Boards & More, wie die Gruppe jetzt heisst, Weltmarktführer im Windsurfmarkt und profitabel. «Jetzt macht es endlich wieder Spass», sagt Jacobs.

Noch mehr Grund zur Freude bereitet ihm das einstige Sorgenkind Adia. 1991 übernahm er aus der Konkursmasse des gescheiterten Financiers Werner K. Rey 29 Pro-zent des Zeitarbeitskonzerns, zwei Jahre später von der deutschen Asko weitere 29 Prozent. Viel zu teuer, wie sich später herausstellte: Die Buchprüfung war nicht sorgfältig durchgeführt worden. Als der Aktienkurs der Adia daraufhin um fast 90 Prozent sank, schlug Jacobs Häme entgegen – der Abzocker bekam, was er verdiente. «Adia war zu diesem Zeitpunkt absoluter Schrott, und Schrott kann man nicht verkaufen», sagt Jacobs.

Also musste er das Problem alleine lösen: Er schoss Geld nach, stellte das Unternehmen damit auf eine breitere Eigenkapitalbasis und begann eine systematische Expansionspolitik. Höhepunkt war die Fusion mit dem französischen Rivalen Ecco zur Adecco 1996, letztes Jahr folgten die Übernahmen von Olsten, Delphi und TAD. Seither ist Adecco mit 21 000 Mitarbeitern und 4500 Filialen unumstrittene Nummer eins im Temporärmarkt – und der wächst jährlich um zwölf Prozent. Die Börse hat den Turnaround gefeiert: Im letzten Jahr verdoppelte Adecco ihren Kurs und war damit der zweiterfolgreichste Titel im SMI. «Es hat sich in jedem Fall auch finanziell gelohnt, trotz vielen Tiefschlägen», beurteilt Jacobs sein Engagement heute. Kein Wunder: Fünf Milliarden Franken ist sein 22-Prozent-Anteil inzwischen wert; viermal mehr, als er insgesamt investierte.

Ein weiteres wenig rühmliches Kapitel kann Jacobs in diesen Wochen abschliessen: jenes der Allgemeinen Finanzgesellschaft (AFG). 1991, zeitgleich mit dem Adia-Kauf, übernahm er die Mehrheit an der börsenkotierten Beteiligungsgesellschaft. Jacobs als stiller Teilhaber – diese Rollenverteilung konnte nicht gut gehen bei einem Mann, der dafür bekannt ist, seine Unternehmen durchzukneten. So liess der Ärger nicht lange auf sich warten: Gegen den Willen der Minderheitsaktionäre legte er der AFG Beteiligungen aus seinem Privatdepot ins Portfolio; der Börsenkurs sank. Um Ruhe von den Publikumsaktionären zu haben, bot Jacobs ihnen 1992 an, sie auszukaufen. Doch so unvorteilhaft waren die Bedingungen, dass erneut ein Aufschrei durch die Öffentlichkeit ging: Gar von einer «Beleidigung für den Finanzplatz» war die Rede.

Vier Jahre später startete Jacobs einen zweiten Versuch, sich die Alleinherrschaft zu sichern. Diesmal bot er bessere Konditionen, erhielt 99,5 Prozent der Aktien und dekotierte die AFG. Doch es dauerte bis letztes Jahr und erforderte ein drittes öffentliches Kaufangebot, um auch den letzten Minderheitsaktionär auskaufen zu können. Demnächst wird die AFG als eigenständige Gesellschaft aufhören zu existieren. Ihre verbleibenden Assets werden mit der Platina Finanz AG verschmolzen, die zu 100 Prozent Jacobs gehört und mit der er bisher hauptsächlich sein Kakaoerntegeschäft in Mittelamerika finanzierte.

Auch seine Schokoladenaktivitäten, die ihm nach dem Suchard-Verkauf geblieben waren, hat Jacobs neu geordnet. 1996, als er eigentlich ein Sabbatical einlegen und sich ein Jahr zurückziehen wollte, stand plötzlich der französische Kakaobohnenverarbeiter Barry zum Verkauf. Statt mit Reflexion verbrachte Jacobs die Zeit mit Verhandlungen. Er erhielt schliesslich den Zuschlag. Durch die Verschmelzung mit Barry und diverse kleinere Akquisitionen machte er den einstigen Restposten aus dem Suchard-Imperium zum weltgrössten Hersteller von Industrieschokolade (Marktanteil 38 Prozent).

Dennoch ist Barry Callebaut das Engagement in seinem Portfolio, das Jacobs nach wie vor am meisten Arbeit abverlangt. Eine Nachfrageflaute führte letztes Jahr zu einem Preissturz am Weltmarkt für Kakao, zu hohe interne Kosten drückten die Marge, das Unternehmen wuchs langsamer als vorgesehen. Die Folge: Seit dem Börsengang Mitte 1998 (Klaus Jacobs hält heute noch zwei Drittel des Unternehmens) ging es mit dem Kurs von Barry Callebaut bergab. Klaus Jacobs (Motto: «Wenn ich etwas mache, dann mache ich es konsequent. Ich bin nicht für Halbheiten.») hat nicht lange zugeschaut. Ende letzten Jahres besetzte er die Posten des VR-Präsidenten, des CEO und des Finanzchefs mit Vertrauensleuten, um das Unternehmen enger an die Kandare nehmen zu können.

«Ich ertrage es nicht lange, wenn ein Mitarbeiter mehrmals negative Ergebnisse liefert», sagt er selber, auch wenn er in diesem Fall unter anderem gesundheitliche Gründe für das Revirement angibt. Gleichzeitig strukturiert Jacobs das Unternehmen radikal um. Den Candyproduzenten Brach’s, der über Jahre hinweg Dutzende von Millionen Verlust schrieb und nun saniert ist, will er aus dem Unternehmen herausbrechen und in seine Holding einreihen. Die typisch amerikanischen Produkte, so die Überlegung, passen nicht ins Schokoladensortiment. Dafür soll der bisher separat geführte Kakaopulverhersteller Van Houten (Umsatz: 1 Milliarde) mit Barry Callebaut verschmolzen werden.

Mit dem neu geordneten Konzern hat Jacobs noch Grosses vor. Den Umsatz will er auf 5 Milliarden Franken verdoppeln. Das geht im stagnierenden Kakaomarkt nur durch Akquisitionen. Besonders im Bereich Markenschokolade, in dem Barry Callebaut noch schwach ist, will sich Jacobs verstärken. Stammen daher also die seit Jahren kursierenden Gerüchte, der Unternehmer würde Jacobs Suchard zurückkaufen? «Kein Kommentar», lässt Jacobs dazu nur verlauten. Zuzutrauen wäre es ihm freilich. Dann wären Barry Callebauts Ziele nicht nur mit einem Schlag erreicht, sondern Jacobs hätte auch die Erinnerung an die Schmach von damals endgültig getilgt.

Finanziell ist er bereits rehabilitiert. Sein aktueller Vermögensstand beläuft sich auf 5 bis 6 Milliarden Franken – vor zwei Jahren erschien er in der Bilanz-Liste der 250 reichsten Schweizer noch mit 2 bis 3 Milliarden Franken. Nicht, dass er selber den Unterschied spüren würde, denn an Statussymbolen besass Klaus Jacobs seit je alles, was der Missgunst Angriffsfläche bieten könnte: vom riesigen Anwesen mit Reithalle in Küsnacht über das Ferienhaus in St. Moritz und die Farm in Argentinien bis zum Privatjet.

Dafür gibt der neue Reichtum seinen Wohltätigkeitsaktivitäten mehr Gewicht. Denn der knallharte Manager hat seine soziale Seite stets gepflegt. «Ich rede dem Shareholder-Value das Wort, aber das ist nicht die einzige Komponente», sagt er. Als «Teil der Familienethik» und als Folge der Tatsache, «als Kriegskind in eine Krisensituation hineingeboren worden zu sein», beschreibt Jacobs sein Engagement. Deswegen engagiert er sich als Vizepräsident der Weltpfadfinderbewegung und für verschiedene kulturelle Einrichtungen. Wichtigstes Instrument ist die Jacobs-Stiftung, die sich für Jugend, Natur und Umwelt einsetzt. Als Scheinheiligkeit war sie ihm ausgelegt worden in der Zeit, als er das ganze Land gegen sich hatte, als Versuch eines Ablasshandels. «Die Stiftung erfüllt wichtige soziale Aufgaben und hat nichts mit einer PR-Aktion zu tun», beteuerte Jacobs immer wieder.

Dass er es ernst meint, wird ihm erst jetzt richtig geglaubt: seit er letztes Jahr ankündigte, die Stiftung zur Haupterbin seines Vermögens zu machen. Nach und nach wird er ihr die Aktien seiner Jacobs AG überschreiben, unter deren Dach die verschiedenen Beteiligungen zusammengefasst sind. Seiner Macht wird dies keinen Abbruch tun: «Ich werde sicherlich meinen Einfluss auf die Unternehmen auch in Zukunft geltend machen», sagt Jacobs. Und wenn altersbedingt seine Aktivität abnehmen sollte, ist für Kontinuität gesorgt: Sohn Christian (38) sitzt im Stiftungsrat. «Er wird sicherlich eine entscheidende Rolle in der Führung der Stiftung und damit auch der Jacobs AG einnehmen», kündigt Klaus Jacobs den Generationenwechsel an.

Um zu verhindern, dass sich dabei ein ähnliches Trauerspiel wie bei Jacobs Suchard wiederholt, zahlt Klaus Jacobs seinen sechs Kindern das Erbe im Voraus aus. «Ich wünschte mir, mein Vater hätte das mit uns Geschwistern ähnlich gemacht», sagt Jacobs. Heute, mit 62 Jahren, arbeitet Jacobs noch immer zwölf Stunden täglich. Ans Aufhören denkt er nach wie vor nicht: «Ich bin Unternehmer – kein Financier, der einfach auf seine Dividende wartet.» Zu seiner Aussage, Manager über 50 gehörten ins Corporate Nirwana, steht er trotzdem noch. Aber er interpretiert sie neu: «Was immer man unter Nirwana versteht, es ist wahnsinnig wichtig, dass sich die Menschen erneuern.» Ihm selber ist das zweifellos gelungen. Dem Zustand der ewigen Verdammnis ist er entronnen. Dem der Seelenruhe ist er bedeutend näher.

 

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