Der Feind sitzt auf dem Stuhl nebenan und würdigt mich keines Blickes. Franzose, etwa 50, braune Cordjacke, blaues Hemd, die grau melierten Haare nach hinten gekämmt und sichtbar in Kämpferlaune. Der Auktionskatalog liegt aufgeschlagen auf seinem Schoss, mit Kugelschreiber sind die Objekte seiner Begierde angekreuzt. Er meint es ernst und will den Sieg.

Der Mann hat es auf einen Spiegel abgesehen. Barock, Goldrahmen, knapp 2,5 Meter hoch, einen Meter breit. Genau das, was ich seit längerem gesucht habe und was gut ins Haus passen würde. Seit einer halben Stunde warte ich auf den Augenblick, in dem der Auktionator das Stück ausruft: «Los Nummer 6777, Spiegel barock, französisch, 2200 Franken.» Ein Luxusschnäppchen. Im Hintergrund wird das Objekt auf einer Leinwand eingeblendet und glänzt verführerisch in den Saal hinein, in dem knapp hundert Leute im dichten Gedränge, teils auf Stühlen sitzend, teils stehend, der Auktion beiwohnen. Bevor ich meine Karte mit der Bieternummer zücken kann, hat der Franzose seine nach oben gehalten, jemand weiter vorne streckt eine weitere hoch, und schon liegt der Ausruf bei 2350 Franken. Im Augenwinkel sehe ich meinen Nachbarn schon wieder seine Nummer zücken: 2400 Franken.

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Ich vermute, das wird ein teurer Abend. In den Zeiten vor eBay galten Auktionen als Oberklassevergnügen, bei dem sich gesetzte ältere Herrschaften mit Louis-Philippe-Möbeln, Heiligenfiguren und schwülstigen Altmeistergemälden eindeckten oder skurrile Sammler ihre hundertste Wanduhr erwarben, um ihre heimischen vier Wände zuzumüllen. Der Normalbürger kaufte Antiquitäten – wenn überhaupt – zu erstaunlichen Preisen beim örtlichen Antiquitätenhändler. Dann kam die Internet-Versteigerungshysterie, und rasch wurde dem Volk klar, wie einfach verkaufen und vor allem ersteigern ist. Damit fiel die Hemmschwelle vor dem Besuch einer richtigen Versteigerung, und seitdem herrscht bei den Auktionshäusern grosser Andrang, wenn alte Möbel, Silber, Gemälde, Uhren, Schmuck oder Porzellan unter den Hammer kommen.

Zur Popularität hat ausserdem eine Veränderung des Geschmacks hinsichtlich der Inneneinrichtung beigetragen. Die Hochglanzmagazine des schönen Wohnens, von «Architectural Digest», «Art & Décoration» bis zu «Byzance», propagieren als kanonische Schriften des gehobenen Geschmacks seit ein paar Jahren, man solle mit dem Modernen das gute Alte kombinieren. Da stehen USM-Möbel neben Barockkommoden, ein Minotti-Sofa vor einem Biedermeierschrank, oder es hängt ein Rokoko-Spiegel in einem cool gestylten Schlafzimmer. «Das hat im Auktionssektor zu einem grossen Wandel geführt», sagt Cyril Koller, der in zweiter Generation das Auktionshaus Galerie Koller in Zürich leitet, das zu den führenden Unternehmen der Branche in Europa gehört. «Die Leute kaufen nicht mehr ihre vollständige Einrichtung aus einer bestimmten Epoche zusammen», sagt er.

Vor zwei Jahrzehnten residierten Banker oder Unternehmer oft in reinstem Ludwig-XVI.- oder Rokoko-Interieur. So museal will heute kaum einer mehr leben, und vor allem die Generation Thirty-Something konzentriert sich auf alte Einzelstücke, die sie mit neuen Möbeln kombiniert. Wer heute kauft, kauft wenige Stücke, investiert dagegen in Qualität. Früher brauchte es 100 Kunden, um 400 Stücke in einer Auktion zu verkaufen, heute sind es 300, die bei gleichem Angebot zuschlagen.

Bei Koller wird in den jährlich sechs Auktionen die ganze Bandbreite der Relikte der Vergangenheit an den Mann gebracht, von Möbeln für ein paar hundert Franken über solche für mehrere zehntausend bis hin zu Gemälden, die für über eine Million Franken ihren Käufer finden. Ein Bild von Renoir ging für fast 900 000 Franken oder eines von Giacometti für 1,15 Millionen weg. Für die preiswerten Exponate hat das Unternehmen eine eigene Abteilung, Koller West. Hier finden sich vor allem die weniger exklusiven Stücke. Luca Raschèr, der Möbelsachverständige des Hauses, führt durch die Räume der Vorbesichtigung. Ein Prunkstück der Versteigerung ist eine Kommode aus der Zeit Ludwigs XIV. Sie ist mit Messing belegt, in das filigrane Ornamente gesägt wurden, die mit farbigem Schildpatt ausgelegt sind. «Das ist eine Spezialität von André-Charles Boulle gewesen», erklärt Raschèr. Boulle war Hoflieferant von Ludwig XIV. und arbeitete in einer Werkstatt im Schloss des Königs, dem Louvre. «Solche Stücke wird wahrscheinlich niemand in Gebrauch nehmen», sagt Cyril Koller. Wer sie ersteigert, möchte sie wohl zu Repräsentationszwecken. Tatsächlich werden aber die meisten Stücke doch gekauft, um sie ganz normal zu nutzen.

Koller und Raschèr bitten an einem Bureau plat zum Gespräch, einem Barockschreibtisch. Sie rechnen damit, dass das Stück einen Preis von 200 000 Franken erzielen wird. Bureaux plats sind die Rolls-Royces unter den Antiquitäten. Sie sind selten, meist riesig – jener, an dem wir sitzen, ist 2,8 Meter lang – und wunderschön gearbeitet, mit vergoldeten Messingbeschlägen versehen und haben ausserdem einen hohen Gebrauchswert. Wer Lust hat, wie zum Beispiel Aussenministerin Micheline Calmy-Rey oder der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy, kann sie auch heute noch als Schreibtisch verwenden, um den täglichen Aktenberg abzuarbeiten. «Es ist kein Problem, mit Antiquitäten zu wohnen», sagt Raschèr.

Die Zuneigung zum Barockspiegel, um den sich nun der Franzose und ich ein Wettbieten liefern, begann zwei Wochen zuvor, nachdem ich den Auktionskatalog erhalten hatte. Nach dem Durchblättern steckte ein Dutzend Zettel darin, mit denen die Seiten markiert waren, die auf interessante Objekte schliessen liessen. Ein Paar Bergèren, Sessel aus dem 18. Jahrhundert, war dabei, ein Silberbesteck – leider mit unpassendem Monogramm – oder ein Gemälde einer jungen Dame, das schon 200 Jahre auf dem Buckel hat.

Natürlich sind die meisten Kataloge auch online vorhanden, und wer aus Zeit- oder Distanzgründen nicht in der Lage ist, bei der Auktion dabeizusein, kann sein Gebot auch schriftlich abgeben oder sich während der Auktion anrufen lassen, um dann live mitzubieten. Versteigerungsfans schwören jedoch auf die gedruckten Kataloge, die nicht nur zur Weiterbildung in Sachen Antiquitäten verhelfen, sondern auch einen Rückschluss auf die Preisentwicklung zulassen.

«Sehr gut laufen Kleinmöbel und Stücke, die einen hohen Gebrauchswert haben», sagt Karlheinz Kaupp. «Sie legen im Preis zu.» Der gelernte Koch und Kaufmann hat in den letzten siebzehn Jahren aus dem Nichts heraus eines der führenden Auktionshäuser für Möbel, Kunst, Silber und Schmuck in Europa geschaffen. Im alten Residenzschloss der Markgrafen zu Baden in Sulzburg bei Freiburg, eine halbe Stunde hinter der Schweizer Grenze gelegen, bietet er an zwei Auktionen im Jahr ein breites Spektrum von Kunst und Antiquitäten an. Mit einem geschickten Marketing und dem wohl schönsten Katalog, mit dem ein Auktionsunternehmen in Europa sein Angebot bewirbt, ist ihm der Aufbau seines Hauses gelungen. Zehn Mitarbeiter beschäftigt er, die Produktion des Katalogs kostet ihn über 300 000 Franken und sein Team drei Monate Arbeit. Jeder, der auch nur einmal ein Sahnelöffelchen bei ihm erstanden hat, bekommt ihn zugeschickt. Der letzte war über 1000 Seiten stark und kam in drei Bänden. Zwei Profifotografen lichten über acht Wochen jedes Exponat ab. Ein Grafikbüro sitzt noch einmal sechs Wochen an der Gestaltung. Dieser Aufwand für die Qualität zahlt sich aus. «Wir konnten in der Vergangenheit so unseren Umsatz etwa alle zwei Jahre verdoppeln», sagt er. Heute setzt Kaupp mit «Auktionen im Schloss» pro Auktion etwa sieben Millionen Franken um. In den letzten Jahren hat er sich zum Spezialisten für Spitzweg-Gemälde entwickelt. Für Werke des Biedermeiermalers werden Beträge bis 200 000 Franken gezahlt.

«Qualität ist gefragt», sagt Karlheinz Kaupp. Gute Ware erziele hohe Preise, Minderwertiges lasse sich kaum verkaufen. Bei Möbeln laufen vor allem signierte Stücke, die sich bestimmten Werkstätten zuordnen lassen. Mit einer Kommode des Biedermeiertischlers David Roentgen oder einem Spiegel des Berners Johann Friedrich Funk lassen sich hohe Preise erzielen. Bei Gemälden läuft vor allem das Segment über 15 000 Franken, Billiges bleibt liegen. Schönheit und Ästhetik spielen bei Bildern eine wichtige Rolle: «Eine hässliche Frau, die verbiestert schaut, will sich doch keiner aufhängen», sagt Kaupp. Entscheidend sind bei Möbelstücken auch Gebrauchswert und Grösse. Kaum jemand hat Platz, um einen zweieinhalb Meter hohen und drei Meter breiten Barockschrank aufzustellen. Entsprechend sind die Preise für solche antike Monster auch im Keller. Ein Verkaufsargument kann auch die Herkunft des Stücks sein. Wenn es aus einem Schloss stammt, treibt das den Preis. Aber anders als etwa bei den sechs Handtüchern aus dem Besitz von Kaiser Wilhelm II., die Karlheinz Kaupp ab 2300 Franken anbietet, spricht bei den Schlossmöbeln nicht nur der Promifaktor, sondern vor allem der meist gute Zustand für sie. In den ungeheizten Schlössern haben sie die Zeit meist besser überstanden als in den komfortablen Bürgerhäusern.

«An einer Auktion kann man als Käufer eigentlich nichts falsch machen», sagt Karlheinz Kaupp. Der Vorteil ist die transparente Preisgestaltung. Wenn zehn Leute auf einmal bieten, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich alle irren und zu viel zahlen. Und wer merkt, dass andere auch bereit sind, so viel Geld für ein Möbelstück auszugeben, hat das Gefühl, tatsächlich einen reellen Marktpreis gezahlt zu haben.

Bei meinem Barockspiegel zeigt sich der französische Konkurrent unerschrocken und zückt im Wechselspiel mit mir die Nummern. Langsam droht die Sache kostspielig zu werden. Wer bei einer Auktion mitbietet, muss übrigens ein bisschen kopfrechnen können. Neben dem Zuschlagspreis ist ein Aufgeld von meist 20 Prozent für den Auktionator fällig, auch die Mehrwertsteuer kommt noch dazu.

Ich erinnere mich, wie ich mit dem Katalog unter dem Arm durch die Vorbesichtigung marschiert bin. Die Bergèren aus dem späten 18. Jahrhundert entpuppten sich bei näherem Hinsehen als eher hässlich. Die Kommode aus dem Empire war in ziemlich desolatem Zustand. Einzig der Barockspiegel blieb als valabler Kandidat übrig. Am übernächsten Tag ging ich wieder vorbei, um auch wirklich sicher zu sein. Ja, er gefiel mir immer noch gut, und ich überlegte mir die Limite, bis zu der ich mitbieten würde. Diese ist jetzt in greifbare Nähe gerückt. Der Franzose zückt seine Karte. Noch zweimal kann ich mithalten, bevor ich passen muss. «Mist», denke ich.

Mir kann es nicht pompös genug sein. Nachdem der Franzose seine Nummer wieder hochgestreckt hat und ich erneut mit meiner winke, sehe ich im Augenwinkel: nichts – er zuckt nicht. Die Karte bleibt unten. «Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten», sagt der Auktinator. «Meins», sage ich. «Trop cher», zischt der Franzose.