Goldene Erbschaft
Obwohl sein Vater André Heiniger einer der verdientesten Schweizer Uhrenpatrons ist, hatte Patrick Heiniger, Jahrgang 1951, mit der Hologerie ursprünglich wenig am Hut: Nach dem Jus-Studium in Genf gründete er mit zwei Freunden eine Anwaltskanzlei und spezialisierte sich auf Fragen des Markenrechtes. Erst mit 35 stieg er bei Rolex als Marketingchef ein und übernahm als Generaldirektor 1992 die operative Führung. Seit dem Rücktritt seines Vaters 1997 hat er als VR-Delegierter der Montres Rolex und als VR-Präsident der Schwestergesellschaft Rolex Holding die Gesamtverantwortung für den Konzern mit 2,2 Milliarden Franken Umsatz. In der Geschichte des 1905 gegründeten Uhrenunternehmens ist er erst der dritte Firmenchef.

Ruhig, ja fast bedächtig sagt Patrick Heiniger: «Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie über mich schreiben wollen.» Und fügt nach einer kleinen Pause hinzu: «Aber ich sehe überhaupt nicht, welches Interesse die Öffentlichkeit an meiner Person haben könnte.» Pardon, Monsieur Heiniger, aber wer das Aushängeschild der Schweizer Uhrenindustrie leitet, weckt automatisch Neugierde. Erst recht, wenn es sich dabei um «die einzige echte Weltmarke unter den Luxusuhren» handelt, wie ein Analyst schwärmt, und um ein Unternehmen, das mit einer Modellreihe mehr Umsatz macht als der Gigant SMH mit seinen 14 Marken. Pardon, Monsieur Heiniger, aber als Chef von Rolex stehen Sie im Mittelpunkt des Interesses. Und das nicht erst seit kurzem. Doch obwohl Patrick Heiniger, 47, seit sechs Jahren die Rolex Montres SA und seit 1997 den gesamten Konzern operativ leitet, ist über ihn nur wenig bekannt. Gleiches gilt für das Unternehmen, dem er vorsteht. Denn die Geschichte von Rolex ist eine Geschichte der Diskretion: Seit der Gründung 1905 sind die Genfer Horlogers so verschlossen wie das Gehäuse ihres Hauptumsatzträgers, der Oyster. Ob Zahlen, Strukturen oder Strategien - da der Konzern vollständig im Besitz einer privaten Stiftung und somit nicht publizitätspflichtig ist, wurden Rolex-Interna stets zur Geheimsache erklärt (siehe «Kompliziert wie ein Uhrwerk»).

Doch immerhin, dass sich Patrick Heiniger nach jahrelangem Abblocken nun überhaupt zu einem Rendez-vous mit der Presse bereit erklärt, lässt hoffen. Und der grossgewachsene Uhrenpatron mit den strahlend blauen Augen hat etwas Gewinnendes, wenn er mit sanfter Stimme und wohl überlegt über seine Geschäftsphilosophie sinniert und dabei, für das Rolex-Image eher untypisch, sogar Humor versprüht. Wie sieht es also aus mit dem Umsatz, Monsieur Heiniger? Einige Momente der Stille vergehen im glas- und marmorgetäfelten Verwaltungsratszimmer am Genfer Konzernsitz. Und dann, siehe da, öffnet sich die Auster ein klein bisschen und lässt einen kurzen Blick zu auf die darin verborgene Perle: «Wir hatten ein exzellentes Jahr. Rolex hat für rund 2,2 Milliarden Franken Uhren verkauft.» Und der Gewinn? «Der bleibt unser Geheimnis», lächelt er. Schwupp, klappt die Auster wieder zu. Doch auch aus der Ferne funkelt die Perle beeindruckend: Denn bei den 2,2 Milliarden handelt es sich um den Wert der Uhren ex Fabrik, wie Heiniger präzisiert. Hinzu kommt die Grossistenmarge (bei Luxusuhren um die 60 Prozent), die Rolex im wesentlichen selber einstreicht, da der Zwischenhandel weltweit über eigene Töchter erfolgt. Demzufolge hätte Rolex rund 3,5 Milliarden Franken umgesetzt. Bei einer wiederum branchenüblichen Reingewinnmarge von 15 bis 20 Prozent, schätzt ein Uhrenanalyst, dürfte Rolex pro Jahr 500 bis 700 Millionen Franken verdienen.

Allein aus dem Uhrengeschäft, wohlgemerkt, denn hinzu kommen diverse andere Investments. Sie sind Sache der Schwestergesellschaft Rolex Holding. Welche Finanzkraft sie hat, wurde der Öffentlichkeit erst so richtig bewusst, als der verschwiegene Konzern 1995 beim Kampf Martin Ebners gegen die Bankgesellschaft plötzlich ins Gerede kam: Für insgesamt knapp 280 Millionen Franken waren die Genfer bei der SBG engagiert, für mindestens 560 Millionen (Verkaufspreis) bei Ebners BK Vision und für 360 Millionen bei der Pharmavision. Macht zusammen schon über 1,2 Milliarden Franken, und dies dürfte nur die Spitze des Eisberges sein. Wohin freilich das Geld nach dem Ausstieg bei Ebner geflossen ist, bleibt wiederum Geheimsache - die Auster bleibt sich treu. Ein weiteres Juwel in der Rolex-Krone ist der Immobilienbesitz, um dessen Verwaltung sich Heiniger persönlich kümmert. Der Rolex Holding gehören 24 Vertriebsgesellschaften rund um den Globus. Mit grossflächigen und luxuriös ausgestatteten Verkaufsgeschäften ist man jeweils an bester Lage präsent wie etwa an der New Yorker 5th Avenue. «Es war immer unsere Politik, weltweit in den eigenen vier Wänden zu wohnen», erklärt Heiniger. «Einen unschätzbaren Wert» hätten die Immobilien heute, und im Hinblick auf stabile Kundenbeziehungen meint er das nicht nur materiell. Weltweit beschäftigt Rolex 4500 Mitarbeiter und ist mit zehn Prozent des gesamten Steueraufkommens wichtigster Wirtschaftsfaktor des Kantons Genf. Einen grossen Verdienst daran hat Patrick Heinigers Vater André, 76, der die Unternehmensleitung 1964 vom deutschen Firmengründer Hans Wilsdorf übernahm - und seinen Sohn Schritt für Schritt als Nachfolger montierte.

Denn ursprünglich hatte Patrick Heiniger mit Uhren wenig am Hut: Nach dem Jus-Studium und dem Anwaltsbrevier eröffnete er 1981 mit zwei Studienkollegen eine Kanzlei in Genf. Dort spezialisierte er sich auf Fragen des Markenrechtes. Bester Kunde war damals - Vater sei Dank - Rolex. Nach sechs Jahren wechselte der Jurist die Seite und kümmerte sich fortan als Marketingchef um den Vertrieb der Edeluhren. Dass ihn sein Vater 1992 zum Generaldirektor und damit zum designierten Nachfolger als Konzernchef machte, sorgte für böses Blut, denn ursprünglich war dafür der technische Direktor Michel Wälchli vorgesehen. Doch Wälchi, der über zwanzig Jahre bei Rolex gearbeitet hatte und für seine Kompetenz in der Uhrenbranche respektiert ist, musste das Unternehmen Knall auf Fall verlassen. «Es stand ausser Frage, einen Produktionschef zum Generaldirektor zu machen. Uhren herstellen ist gut, aber man muss sie auch verkaufen», begründete Pierre Mottu, Präsident der Wilsdorf-Stiftung, den überraschenden Entscheid später. Doch die Tatsache, dass ein Konzernchef, dem das Unternehmen nicht gehört, seinen Sohn zum Nachfolger macht, dürfte in der Schweiz relativ einmalig sein. Seit letztem Sommer fungiert André Heiniger offiziell nur noch als Ehrenpräsident; dennoch bleiben Präsenz und Einfluss am Genfer Hauptsitz weiterhin spürbar. «Er hängt an seinem Lebenswerk», drückt man es bei Rolex aus.

Es ist kein leichtes Erbe, das Patrick Heiniger da antritt, denn sein Vater zählt zu den Legenden der Horlogerie: «In der Schweiz gibt es drei grosse Uhrenpatrons: Hayek, Heiniger und mich», äusserte sich Cartier-Chef Alain-Dominique Perrin einmal in aller Bescheidenheit. André Heiniger galt als charismatischer Marketingstratege, der Rolex zur Weltmarke ausbaute, aber auch als Patron alter Prägung, der seinen Willen durchzusetzen wusste. Der Jurist Patrick, eher ein Zahlenmensch als ein Verkäufer, wird von Freunden hingegen als diplomatisch und konzilliant beschrieben - «willensschwach» nennen es jene, die ihm weniger gewogen sind. Das mondäne Leben der Genfer Society liegt dem Uhrenkönig wenig: Wenn er nicht gerade die um den Globus verstreuten Rolex-Verkaufsgesellschaften besucht, verbringt er die Abende mit seinen beiden 12- und 15jährigen Kindern, für die er das Sorgerecht hat, oder mit Freunden bei einem guten Glas Wein. «Ich verkaufe keine Uhren, ich verkaufe Rolex!» hat Heiniger bei einer dieser Gelegenheiten erklärt. Auch sonst ruht der sympathische Uhrenpatron in sich selber und wandert dabei konsequent auf dem schmalen Grad zwischen Selbstsicherheit und Arroganz: Welche Gemeinsamkeiten er mit seinem Vater sieht? «Eine gewisse Kahlköpfigkeit», entgegnet Heiniger (Freunde nennen auch einen Hang zur Ungeduld als gemeinsames Merkmal). Also gut, probieren wir es umgekehrt: Was wird er anders machen als sein Vater? «Ich bin nicht an die Spitze von Rolex geholt worden, um etwas zu verändern», bringt er es auf den Punkt. Und doch ticken die Uhren ein bisschen anders, seitdem Patrick Heiniger bei Rolex das Sagen hat. Dass er sich überhaupt mit der Presse einlässt, ist nur ein Zeichen. «Patrick führt den Konzern behutsam aus der Ära seines Vaters heraus» , beobachtet Skifahrerlegende Jean-Claude Killy, der mit den Heinigers seit dreissig Jahren befreundet ist und dessen Tochter bei Rolex als Grafikerin arbeitet. Nicht mehr ganz so konservativ sei der Genfer Konzern unter dem weltoffenen und weitgereisten Patrick, bestätigen andere und erinnern sich an die Einweihung eines neuen Rolex-Gebäudes in Paris: Dort schossen die Fontänen des Trocadéro plötzlich in den dunkelgrünen Firmenfarben in die Luft, zur allgemeinen Erheiterung der 400 geladenen Gäste, darunter zwei Minister. Als «soirée Rolex très relax», der wenig mit der Steifheit früherer Anlässe zu tun hatte, beschreibt Jean-Claude Killy das Ereignis.

Behutsam geht Heiniger auch vor, wenn es um die Bestellung der Führungspositionen geht. Zwar hievte er mit Bertrand Gros relativ schnell seinen Jugendfreund und Anwaltspartner auf den Sessel des VR-Präsidenten der Rolex Montres SA. Doch nach dem Tod des Marketingchefs Hans-Heinrich Kübel 1995 liess er sich bis diesen Februar Zeit, um die Konzernleitung zu erneuern. Der starke Mann unter Heiniger ist nun Jean-Paul Voitchovsky, der von der Rolex-Tochter Genex kam. Er ist zuständig für den Einkauf, gleichzeitig rapportieren an ihn Produktionschef Alain Cerutti und René Bresson, Leiter des Bereiches Forschung und Entwicklung. Neu unter den Direktoren ist Informatikleiter Gilbert de Meuron, und mit der Personalchefin Antoinette Salamin beförderte Patrick Heiniger 1995 die erste und bisher einzige Frau in der 93jährigen Firmengeschichte in die Rolex-Direktion. Dass er gleichzeitig mit Finanzchef Bruno Mettler und Vertriebsleiter Robert Boehringer auch zwei langgediente Mitarbeiter seines Vaters übernahm, ist typisch für Heinigers Politik, die er als «Evolution ohne Revolution» bezeichnet.

Seiner Linie treu bleibt er auch bei der Produktpolitik: Neben der Oyster in all ihren Variationen, deren Preisspanne bei 2700 Franken beginnt und nach oben offen ist, bietet Rolex lediglich zwei Uhrenreihen an: Die billigere Tudor-Linie dient zur Absicherung nach unten; die Cellini-Modelle sollen mit ihrem extravaganten Aussehen neue Kunden erschliessen. Zusammen machen beide Kollektionen weniger als fünf Prozent der Verkäufe aus. «Sie entsprechen nicht dem typischen Rolex-Bild», erklärt ein Konkurrent den Grund. Diese Abhängigkeit von einem Produkt macht den Konzern verwundbar und zeugt von wenig Innovationskraft. «Wenn man für 2,2 Milliarden Franken Uhren verkauft, hat man wenig Anlass, etwas zu ändern», kontert Heiniger den Vorwurf. Statt dessen lanciert er neue Oyster-Variationen, etwa mit Perlmuttauflage oder 3-6-9-Zifferblatt. Sie haben, so ein grosser Schweizer Uhrenverkäufer, den Geschmack der Kundschaft aus Fernost gut getroffen.

So erfreut sich Rolex seit Jahren eines mässigen, aber regelmässigen Wachstums von drei bis vier Prozent. Grössere Steigerungsraten dürften langfristig nicht drinliegen ohne Diversifikation. Schmuck, Accessoires oder Lederwaren aber, fürchtet man in Genf, würden das Markenbild verwässern. Bleibt als Wachstumsquelle die geographische Expansion: Ein Blick auf die Rolex-Weltkarte zeigt, dass das Unternehmen im aufstrebenden Osteuropa und Russland nicht mit Verkaufsgesellschaften präsent ist. «Wir können die lokalen Distributionskanäle noch nicht so kontrollieren, wie wir wollen», begründet Heiniger die Zurückhaltung. Im Klartext: Es gibt dort zu viele Grauimporte und Fälschungen. Aber die Expansion wird kommen - «vielleicht schneller, als man erwartet». Wesentlich mehr los ist am anderen Ende der Welt: Die Asienkrise schüttelt alle Luxuswarenhersteller kräftig durch. «Auch wir spüren dort eine gewisse Verlangsamung des Geschäftes», gibt Heiniger zu, der in Fernost etwa ein Drittel seines Umsatzes erzielen dürfte. Zu einem Absturz wird es freilich nicht kommen. Die Topmodelle «der erlesensten Uhr der Welt» (Eigenwerbung) reagieren kaum auf Preisschwankungen. Und für die günstigeren Modelle gilt: «Wer sich für eine Rolex interessiert und plötzlich weniger Geld zur Verfügung hat, entscheidet sich nicht für eine billigere Uhr, sondern verschiebt den Kauf», ist James Amoroso, Analyst bei der Bank Bär, überzeugt.

Der Konzern kontrolliert zudem die ganze Wertschöpfungskette von der Herstellung bis zum Grosshandel selber. Damit ist man weitgehend unabhängig von Vertragspartnern, die auf die Turbulenzen überreagieren oder selber in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. «Rolex wird die Krise mit am besten überstehen», anerkennt der Chef eines anderen Luxusuhrenherstellers. Es wäre nicht das erste Mal: Unternehmensgründer Hans Wilsdorf steuerte Rolex unbeschadet durch die grosse Depression Anfang der dreissiger Jahre. Unter seinem Nachfolger André Heiniger ging der Konzern als Gewinner aus der schweren Krise hervor, die in den siebziger Jahren die Schweizer Uhrenindustrie fast in die Knie zwang. Nun hat auch Patrick Heiniger Gelegenheit zu zeigen, dass er die Rolex-Krone zu Recht trägt. Gross anstrengen wird er sich nicht müssen: «Die Lokomotive Rolex läuft derart auf Schienen, da braucht es sehr viel, um sie entgleisen zu lassen», formuliert es ein Konkurrent. So gibt es für Patrick Heiniger keine Frage nach der Zukunft. Sein Credo: Rolex ist da für die Ewigkeit.

Eine Rolex kommt selten allein
Ebenso wie Swatch ist Rolex ein beeindruckender Marketingerfolg: Obwohl das Innenleben einer Rolex im wesentlichen auf Technologie aus den dreissiger Jahren basiert und in Sachen Genauigkeit jeder Kaufhausquarzuhr unterlegen ist, obwohl ihr Besitz bei einer Jahresproduktion von rund 700 000 Stück von zumindest zweifelhafter Exklusivität ist, gilt der Genfer Zeitmesser als globales Statussymbol: Eine Oyster am Handgelenk zu haben suggeriert Zugehörigkeit zum Club der Reichen, Erfolgreichen und Mächtigen. Rolex-Gründer Hans Wilsdorf profilierte die Marke, indem er Kollektionen wie Werbung über Jahre hinweg gleich hielt. Basis war der Slogan: «Die Männer, die über die Geschicke der Welt entscheiden, tragen Rolex.» Leider trug Anfang der fünfziger Jahre, als der Spruch ersonnen wurde, noch kein Grosser der Welt eine Rolex. Über Bekannte stiessen die Marketingleute dann zur Sekretärin des US-Präsidenten Eisenhower vor, der schliesslich eine Uhr als Geschenk annahm. Danach war es ein leichtes, bei Churchill, Adenauer und de Gaulle vorzusprechen. Später folgten gekrönte Häupter, Kennedy, Nixon, aber auch Gaddafi und Fidel Castro. In der Werbung mussten die Namen der Politiker diskret verschwiegen werden; statt dessen warb man mit Generalshüten oder dem Bild von Downing Street Number 10. Seit in den sechziger Jahren die Politiker an Profil und Prestige verloren, hält man sich an moderne Heldinnen und Helden: Auf grosszügigen Anzeigen in der Hochglanzpresse warben zum Beispiel die Golflegenden Jack Nicklaus und Arnold Palmer (Werbesujet links), Tänzerin Sylvie Guillem (Mitte), Dirigent Lorin Maazel (rechts), Startenor Placido Domingo, Geiger Yehudi Menuhin, Forscher Thor Heyerdahl oder Yeti-Jäger Reinhold Messner weltweit für den Edelzeitmesser.

 

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