Holigane mag nicht. Langsam, ganz langsam hebt sie den linken hinteren Huf, senkt den Hals, bis ihr die Augen zufallen. Die Welt steht still. Ebenfalls still steht Daniel vor der dunkelbraunen Stute. Ratlos hält er die Leine in der Hand, an der er das Pferd durch den kleinen Parcours führen soll. Was jetzt? Autoritär werden? Strafen? Oder es doch lieber mit Zureden und Streicheln probieren?

Daniel versucht es mit Motivation. Eindringlich wendet er sich an das Tier, versucht zu überzeugen und fährt ihm zart über die Nüstern. Und plötzlich lässt sich Holigane willig durch die Hindernisse führen.

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Die Szene wird atemlos von einer Handvoll Zuschauern in der Pferdekoppel beobachtet. Daniel ist die Erleichterung anzusehen, als er am Parcours-Ende ankommt. «Du warst zuerst sehr nervös», wird ihm von allen Seiten beschieden, «aber dann hast du dich konzentriert und letztlich durch deine ruhige Art überzeugt.»

Vier Männer und eine Frau haben sich an diesem kalten und regnerischen Mittwoch auf der Ranch in Orpund bei Biel eingefunden. Ihr Ziel: Sie wollen in einem Seminar der Equixplore GmbH mit dem Titel «Die Entwicklung» ihr Führungsverhalten analysieren und weiterentwickeln. Die Kernfrage lautet: «Wie wirkt meine Persönlichkeit auf die Umwelt?» Selbstfindungsinstrumente sind vier Pferde. Einige Teilnehmer wurden von den Personalabteilungen ihrer Firmen geschickt, andere kamen aus eigenem Antrieb; eine bunte Truppe.

Dass Firmen bei der Mitarbeiterschulung des mittleren und oberen Kaders auch zu ungewöhnlichen Methoden wie der Arbeit mit Tieren greifen, ist nichts Aussergewöhnliches mehr. Denn längst hat sich in den Human-Resources-Abteilungen die Erkenntnis durchgesetzt, «dass erfolgreiches Führen mehr bedeutet als blosses Managen», wie es Anita Gerber formuliert. Während ihrer Zeit als Senior Consultant HR bei der Swisscom überzeugte sie sich vom Nutzen der Pferdeseminare. Durch diese Schulungen zeige sich eine empathische Seite der Mitarbeiter, die im Alltag meist nicht zum Tragen komme. Und für viele führten der Umgang mit Tieren und deren Reaktionen zu einem Aha-Erlebnis. «Viele Führungskräfte», glaubt sie, «haben keine Ahnung, wie ihr Führungsstil wirkt und was sich verbessern liesse.»

Stefan Mützenberg, Geologe und Projektmanager, liess sich im Frühjahr 2006 zum ersten Mal auf ein Pferdeseminar ein. Dabei erlangte er wertvolle Erkenntnisse, die er jetzt vertiefen möchte. Heute steht er allein in der Koppel in der Mitte eines abgegrenzten Quadrats, ein paar Meter vor dem jungen Wallach Sydney. Mützenberg soll ihn dazu bewegen, zuerst zu laufen, dann zu traben und anschliessend die Richtung zu wechseln. Zunächst tut sich gar nichts. Der Manager hält die Peitsche in der Hand und klopft damit auf den Boden – Sydney legt erst einmal die Ohren nach hinten. Was in der Pferdesprache so viel wie «Ich weiss nicht, was du von mir willst» bedeutet. Durch Mützenbergs Körper geht ein Ruck, er scheint zu wachsen. Er gibt nun deutliche Anweisungen und klopft dabei mit der Gerte leicht auf Sydneys Schenkel. Die Botschaft ist angekommen, denn jetzt beginnt der Wallach willig im Kreis zu laufen.

«Durch das erste Seminar habe ich einen anderen Blick auf mich selber bekommen», sagt der Geologe, «ich habe mich für meine Mitarbeiter spürbar verändert, bin selbstbewusster.» Wie unmittelbar und verblüffend die Reaktionen der Tiere auf die Teilnehmer sind, hat auch Reto Stauffer, Leiter Personalentwicklung bei einer Migros-Verteilerzentrale, erfahren. Zunächst stand er dem Seminar sehr skeptisch gegenüber. «Für mich sah Führungsentwicklung anders aus.» Nachdem er zum ersten Mal zusammen mit zwölf Mitarbeitern einen Kurs absolviert hatte, war er begeistert. «Man muss das miterlebt haben, um es zu verstehen.»

Antoinette Haering, Wirtschaftsinformatikerin und Mentaltrainerin, führt seit 2000 mit Betriebswirt Reto von Arb die Beratungsfirma Equixplore, die auf Interimsmanagement spezialisiert ist. Aus der Praxis in den Führungsetagen wissen beide, dass eine gute Mitarbeiterführung oft fehlt. Als passionierte Reiter bringen sie eine reiche Erfahrung mit, die sie im Umgang mit Pferden gewonnen haben. «Du lernst, ein Pferd mit Systematik so weit zu bringen, dass es tut, was du willst», sagt Reto von Arb am Feuer des Tipis, wo der theoretische Teil des Seminars abgehalten wird. «Das geht nur mit Konsequenz, Ehrlichkeit und Fairness.»

Es sind Erfahrungen, die Haering und von Arb weitergeben wollen. So entwickelten sie das Seminarprogramm Equixplore, ein «pferdegestütztes Führungs- und Persönlichkeitstraining». In speziellen, zum Teil mehrtägigen Workshops erarbeitete das Duo einen Kurs zur Persönlichkeitsentwicklung und zur Förderung von Führungsqualitäten mit seinen geduldigen Co-Trainern: der Stute Holigane und den drei Wallachen Rasco, Sydney und Carismo. Sie tauschten den Business-Alltag mit der Pferdekoppel, ihre Büros mit dem Tipi. In Jeans und Stiefeln stand Haering in der Koppel und schuf eine enge Bindung zwischen ihr und dem eigensinnigen Wallach Rasco: «Rasco spürt meine Befindlichkeit immer. Wenn ich nicht klar und konzentriert mit ihm kommuniziere, wird er unsicher und nervös.» Um das Tier zu überzeugen, müsse man sich selbst sein. Selbsterfahrung, Selbsterkenntnis und positive Motivation sind daher zentral in der Koppel.

Die beiden Trainer coachen unsere Gruppe, greifen aber während der Übungen nur im Notfall ein. Nach jeder Begegnung mit den Tieren gibt es Feedbacks aus dem Team. Im Tipi werden Flipcharts erstellt und Ziele formuliert. Die Stimmung ist freundschaftlich, konstruktiv-kritisch. Diskutiert werden Fragen wie: Warum schaffen es einige der Teilnehmer, die Pferde mühelos durch einen komplizierten Parcours zu führen, während sich das Tier bei anderen kaum rührt? Warum ist Rasco bei Markus brav, kneift aber in Daniels Arm, sobald dieser das Halfter in die Hand nimmt? Analoge Fragen zum Führungsverhalten bei Menschen drängen sich auf: Weshalb komme ich mit meinen Projekten nicht vom Fleck? Wie bringe ich Motivation ins Team? Mögliche Antworten lauten: Ich war nicht gut genug vorbereitet. Ich war mit den Gedanken woanders. Ich wusste nicht, was ich wollte, und habe die falschen Signale ausgesendet.

Auf dem Fortbildungsmarkt gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Angeboten, bei denen mit Tieren gearbeitet wird. Mal sind es Pferde, mal Hunde oder gar Wölfe. Die Idee dahinter ist dieselbe: Tiere spiegeln das Verhalten der Menschen authentisch. Sie werden zum Medium, das unbestechlich auf Defizite im menschlichen Führungsverhalten aufmerksam macht.

Nach zwei Tagen Seminar ist die Stimmung gelöst. Alle hatten ein positives Erlebnis – denn gute Führung ist lernbar. Und bei allen fünf Teilnehmern hat während des Kurses ein Prozess stattgefunden. So etwa bei Markus Nater. Der 30-jährige Geograf hatte das Seminar zum Geburtstag geschenkt bekommen. Stand er am ersten Tag noch steif in den Ecken der Reithalle und führte Holigane eng und verkrampft am Halfter, so entpuppte er sich am zweiten Tag als einfühlsame, hartnäckige Führungsautorität. Genau diese persönlichen Entwicklungen schätzt Veranstalter Reto von Arb. «Was die Leute hier erleben, soll ihnen bildhaft in Erinnerung bleiben.»