BILANZ Homes: Guten Tag, Dottore Gavazzi.
Roberto Gavazzi*: Dottore? Wie kommen Sie darauf?

Die Dame in der Zentrale...
Ah, das muss ich mal klarstellen. Ich habe keine Ahnung, woher der Dottore kommt, denn ich habe zwar einen Uniabschluss in Betriebswirtschaftslehre und einen MBA der Columbia University, aber einen Doktortitel habe ich nicht.

Das ist wahrscheinlich eine Respektsbezeugung. Sie sind seit 1989 der CEO. Wie sind Sie zu Boffi gekommen?
Ich war nach Jahren in Grosskonzernen wie SaintGobain und Olivetti auf der Suche nach etwas Neuem. Es sollte etwas in Italien und ein Unternehmen mit einer eigenen Produktion sein. Mein Wunsch führte mich zu Paolo Boffi, der zu jener Zeit auf der Suche nach einem Partner war. Er suchte jemanden mit Managementerfahrung, und ich suchte genau so ein Unternehmen, wie Boffi es war . Wir mochten uns auf Anhieb und verstehen uns auch heute, 30 Jahre spä ter, noch sehr gut.

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Als Sie anfingen, hatten Sie keine Ahnung von Küchen?
Null Ahnung, auch von Design und von der Küchenherstellung an sich nicht. Ich bin bei Boffi in eine komplett neue Welt eingetaucht.

Er staunlich, dass Paolo Boffi Sie genommen hat.
Er suchte einen Nachfolger. Er und seine beiden Brüder hatten sich zerstritten und dann getrennt. Paolo hatte das Unternehmen übernommen, war aber ein kreativer Kopf und kein Manager. Er brauchte Management-Know-how und auch etwas Geld, denn er hatte seines aufgebraucht, um die Brüder auszuzahlen. Ich übernahm von ihm die Hälfte seiner Anteile. Heute gehört mir die Mehrheit.

Warum sind Sie Unternehmer geworden?
Ich stamme aus einer Unternehmerfamilie, habe das im Blut und wusste immer, dass ich dereinst mein eigenes Unternehmen haben wollte. Das  Rüstzeug holte ich mir in den Grosskonzernen.

Was haben Sie mit Boffi erreicht?
Ein nachhaltiges Businessmodell zu kreieren. Wir sind sehr stark geworden und international. Wir haben in allen wichtigen Städten dieser Welt einen Mono-Brand Store. In jedem arbeiten ausschliesslich höchst qualifizierte Leute, die überall einen exzellenten Service bieten. Das ist sehr wichtig für uns.

Wie sichern Sie dies ab?
Wir wählen und bilden unsere Leute sehr sorgfältig aus. Wir stellen Architekten an, die dann erst einmal ein paar Monate in unserer Fabrik arbeiten, dann als Assistenten vom Seniormanagement. Danach werden sie in unseren Läden in Mailand, New York und London ausgebildet. Die USA, Grossbritannien und Italien sind sehr sophistizierte Märkte, da gibt es für sie am meisten zu lernen.

Es dauert also ewig, bis man eine Boffi-Küche verkaufen kann?
Das kann lange dauern, je nach Person. Es braucht Kompetenz, aber auch ein gewisses Charisma, um diesen Job machen zu können. Und Leidenschaft. Der Kunde muss spüren, dass der Verkäufer an das glaubt, was er sagt. Wir verkaufen ja nicht nur Produkte – da gäbe es immer einen Anbieter, der das günstiger macht –, sondern auch Lebensqualität.

Das heisst?
Eine Küche ist wohl das Teuerste, was man heutzutage in einem Laden kaufen, und etwas vom Anspruchsvollsten, was man in einem Laden verkaufen kann. Es braucht daher aussergewöhnliches Personal, das den Kunden und seine Werte versteht, sonst ist es schwierig, ihn glücklich zu machen. Dazu eine Anekdote: In Paris trat eine Dame ins Geschäft und fragte nach dem einfachsten Spültrog, den wir haben. Unser Mitarbeiter beantwortete sehr freundlich und mit viel Geduld alle ih e Fragen. Am Schluss verliess sie das Geschäft. Einen Monat später kam sie wieder und wollte eine elaborierte Küche von uns. Wir fanden dann heraus, dass sie jeden High-End-Küchenshop in Paris abgeklappert und überall das Gleiche gefragt hatte. Am Ende entschied sie sich für uns, weil unser Mitarbeiter ihre Frage nach etwas ganz Einfachem am besten beantwortet hatte.

Wie viele Boffi-Küchen verkaufen Sie jährlich?
1200, maximal 1500. Aber wir wollen auch nicht Tausende verkaufen, und wir könnten das von den Kapazitäten her auch nicht.

Sie stellen auch Bäder her. Warum?
Bäder und Küchen kauft man mehr oder weniger zur gleichen Zeit, nämlich dann, wenn man ein Haus baut. Möbel wählt man spontan aus, Küche und Bad hingegen nicht. Im Gegenteil, dafür nehmen sich die Leute sehr viel Zeit und sind auch bereit, viel zu zahlen, wenn sie dafür das Perfekte bekommen. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Garderoben und Schränke, die wir herstellen.

Boffi gilt als das, was Hermès für Handtaschen ist – absolut «high end ». Da müssen Sie nach Asien.
Richtig. Wir müssen in allen vielversprechenden Märkten präsent sein. Wir sind auch in 50 Ländern vertreten, den Grossteil unserer Produktion exportieren wir in alle Welt.

Sind Chinesen und Russen denn bereit, für eine Küche bis zu 300'000 Euro zu bezahlen?
Das Verständnis für Design und Designprodukte ist vielerorts erst am Entstehen, und wir brauchen etwas Geduld. Andernorts in Asien, zum Beispiel in Korea, Hongkong und Japan, sind wir aber absolut am richtigen Ort.

Machen Sie für die ganze Welt die gleichen Küchen?
Boffi Kunden wollen das Beste von dieser Marke und nicht etwas, das an ihren Markt und an ihre Tradition und Kultur angepasst worden ist. Klar nehmen wir Rücksicht auf lokale Bedürfnisse. Wenn jemand beispielsweise mit einem Wok kochen will, bauen wir den selbstverständlich ein. Doch wir haben unsere Identität – und die behalten wir auch.

Anderseits: Wer sich in diesen Ländern eine Boffi-Küche leisten kann, wird in der Regel bekocht und kocht nicht selbst.
Stimmt. In Asien ist es typisch, eine sogenannte Trockenküche zu haben, also eine, die man den Freunden zeigt, und eine im Hintergrund, wo die Angestellten kochen.

Küchen sind ja auch bei uns zu einem Statusobjekt geworden.
Ja, da die Küche vielerorts ein Teil vom Wohnraum geworden ist, hat sie eine neue Bedeutung bekommen, und das hat unser Geschäft enorm belebt. Der grösste Markt für uns sind die USA.

Welches sind die Trends in Sachen Küche? Kochen via iPhone?
Nicht bei uns. Im Gegenteil: Selber kochen ist etwas sehr Schönes, Sinnliches. Jemand, der kochen kann, lässt sich das nicht nehmen. Trends gibt es in Bezug auf Materialien, die derzeit möglichst unkonventionell sein sollen, und Formen.

Formen? Bei Boffi misst jeder Winkel 90 Grad.
Wir sind sehr gerade und sehr simpel. Und werden es bleiben. Um immer wieder Abstand zu schaffen zu den vielen, die unseren Stil kopieren, arbeiten wir intensiv an neuen Materialien, Funktionen – und Konzepten. Dieses Jahr haben wir « Salinas» lanciert, ein für  uns völlig neues Küchenkonzept, das Patricia Urquiola entwarf.

Was ist neu daran?
Boffi hat nun ein neues Thema, und das heisst Flexibilität – in der Wahl von Material, Farbe und Zusammensetzung. Es stehen rund 100 Teile zur Verfügung. Kunden wählen, was sie wollen, und setzen die Teile dann zusammen wie eine Legofigur. Dieses Konzept ist sehr einfach zu verstehen.

Haben Sie für Salinas andere Kunden im Kopf?
Nein. Wir waren vor der Lancierung sehr auf die Reaktionen gespannt und haben festgestellt: Entweder es gefällt, oder es gefällt nicht. Kein Zwischending.

Sie arbeiten mit sehr vielen Designern zusammen. Wie wählen Sie aus?
Zuerst arbeiten Paolo Boffi, Piero Lissoni, unser Kreativchef, und ich an Ideen, überlegen uns, was wir für die Zukunft der Firma brauchen. Dafür reisen wir viel, gehen ins Museum, in neue Modegeschäfte und Restaurants, schauen viele Filme an. Da holen wir unsere Inspiration. Haben wir eine Idee, suchen wir nach dem geeignetsten Designer dafür. Für unsere neuste Küche wählten wir Patricia Urquiola. Vor etwa drei Jahren sagten wir zu ihr, dass wir uns ein Gegenstück zu den hochkomplexen Boffi Küchen wünschten, etwas viel Einfacheres. Wir wählten sie aus, weil wir sie einerseits bereits gut kannten, anderseits aber auch, weil sie total komplementär zu uns ist: Sie ist eine Frau, wir hier sind alles Männer. Sie ist sehr kreativ und hat eine unglaubliche Kapazität, die ganz normalen Dinge neu zu erfinden.

Sie sind nun 60 Jahre alt. Denken Sie über Ihre Nachfolge nach?
Mein Sohn arbeitet mit mir, und zwar von sich aus, was mich sehr freut. Er hat wie ich zuerst studiert, dann war er zwei Jahre bei einer Investmentbank, machte an der Columbia University einen MBA und arbeitete dann für Hermès. Irgendwann sagte er zu mir, er würde gern in der Luxusindustrie bleiben, aber nicht in Europa. Ich sagte ihm, ich hätte etwas, er müsse aber erst mindestens ein Jahr hier bei uns arbeiten. «Und wenn du gut genug bist, schicke ich dich nach China.» Dort ist er jetzt und leitet das Geschäft von Shanghai aus.

Warum sind Boffi-Küchen so teuer?
Eine Küchenfirma wie unsere ist viel komplexer als alles andere in der Designindustrie. Wir verkaufen Produkte an sehr sophistizierte Kunden, die etwas kaufen wollen, das perfekt auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Das ist sehr aufwendig. Wir besitzen weltweit über 50 Mono-Brand Stores mit höchst qualifiziertem Personal. Küchen in einem Laden zu verkaufen, ist nicht einfach, denn Küchen sind keine Impulskäufe. Das zieht sich manchmal über Monate hin. Die Männer kommen x-mal mit ihren Frauen zurück, da wird alles en détail besprochen. Interessant ist, dass die Ehemänner umso mehr involviert sind, je teurer und komplizierter es wird. Ihnen gefällt vor allem all die technische Finesse.

Was für ein Küchenmodell steht eigentlich bei Ihnen zu Hause?
Xila, die Boffi Küche aus den Sixties. Sie ist sehr clean und simpel und nach 15 Jahren immer noch perfekt. Sie ist der Ort bei uns, wo die ganze Familie zusammenkommt. Wir verbringen mehr Zeit in der K üche als im Wohnzimmer.

Können Sie kochen?
Ich kann kochen, aber nicht so gut wie meine Frau. Und ich bin am Abend meist so spät dran, dass sie kochen muss. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn sie kocht leidenschaftlich gern.

*Robert Gavazzi (61) studierte Betriebswirtschaft, arbeitete in diversen Grosskonzernen und absolvierte an der Columbia University in New York einen Master of Business Administration, bevor er 1989 bei Boffi einstieg – als CEO und Teilhaber. Inzwisc hen ist der Vater von zwei erwachsenen Kindern Mehrheitsaktionär des Küchenbauers und hat allen Grund zur Hoffnung, dass sein Sohn einst seine Nachfolge antreten wird: Bereits heute leitet der Junior von Shanghai aus das Asiengeschäft. Gavazzi ist ein leidenschaftlicher Ducati-Fahrer.

Iris Kuhn Spogat
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