Von Prof. Dr. med. Oswald Oelz Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital in Zürich und leidenschaftlicher Extrembergsteiger

An Ostern 1722 entdeckte der holländische Seefahrer Jacob Roggeveen am östlichen Rand des mikronesischen Archipels eine 700 Quadratmeter grosse Insel, die von ihren heidnischen Einwohnern Rapa Nui genannt wurde. Als aufrechter Christ taufte er die Insel um. Berühmt wurde die Osterinsel wegen der dort scheinbar sinnlos platzierten monumentalen Tuffsteinköpfe, welche die Fantasie Thor Heyerdahls und vieler anderer beflügelten. Niemand ahnte aber, dass auf dem Eiland Sprengstoff für das Gesundheitswesen des 21. Jahrhunderts versteckt war. Im Bannkreis der Monumentalskulpturen entdeckten nämlich Forscher im Jahre 1975 das Bakterium Streptomyces hygroscopicus, welches das Antibiotikum Rapamycin (nach Rapa Nui) produziert, von dem man später herausfand, dass es die Immunantwort und die Zellteilung hemmt und heute einer alten Zürcher Erfindung zu Hilfe kommt.

Vor 25 Jahren, am 16. September 1977, gelang dem Ostdeutschen Andreas Grüntzig am Universitätsspital Zürich die erste Ballonerweiterung verengter Herzkranzarterien. Grüntzig und seine Methode wurden schlagartig weltberühmt, er wäre sicherlich inzwischen Nobelpreisträger, wäre er nicht einige Jahre nach seiner Pioniertat als Pilot seines Flugzeugs abgestürzt. Inzwischen werden jährlich weltweit mehrere Millionen Patienten nach seiner Methode behandelt, wobei zur Stützung des wiedereröffneten Gefässes bei über der Hälfte der Patienten ein Metallnetz, ein Stent, in der Arterie platziert wird. Bei gegen 20 Prozent der so behandelten Patienten entwickelt sich aber erneut eine Verengung mit Wiederauftreten von Angina Pectoris und eventuellem Herzinfarkt, weil glatte Muskelzellen in den Stent einwachsen und dort wuchern. Solcher Proliferation war bisher weder mit mediterraner Ernährung noch mit Strahl, Gift oder Joggen beizukommen.

Findige Techniker beschichteten nun solche Stents mit dem Bakterienprodukt Rapamycin in der Hoffnung, dieses Wuchern damit zu verhindern – und es gelang: Eine im führenden Szeneblatt, dem «New England Journal of Medicine», publizierte Studie zeigt, dass Patienten, die mit derartig beschichteten Stents behandelt wurden, nach den ersten sechs Monaten vor einer erneuten Verengung weitgehend gefeit waren, während bei 23 Prozent der Patienten, die konventionelle Stents erhalten hatten, eine erneute Dilatation nötig war. Gerüchtehalber wird jetzt bekannt, die frohe Botschaft werde demnächst durch weitere Resultate bestätigt und Herzpatienten dürften freier atmen.

Doch nicht alle mögen in den Freudenchor einstimmen: Die Produzenten der genialen Stents erwarten nämlich ein Return on Investment und verkaufen jede dieser Wunderspiralen zu einem Preis von gegen 4000 Franken, viermal so teuer wie das Holzklassemodell. So befürchten denn die Finanzverantwortlichen der unter Globalbudgets ächzenden öffentlichen Spitäler, die bislang keine Zusatzkredite für diese und andere Neuerungen bekommen haben, ein finanzielles Grounding. Die vorgesetzten Behörden halten sich bedeckt. Die Rationierung der neuen Techniken wird an die Akteure delegiert, und so kann weiterhin von höchster Stelle verkündet werden, man wolle keine Zweiklassenmedizin.

Diese warme Luft aus dem Bundesamt für Gesundheit wird sich dann als solche erweisen, wenn ein findiger Journalist den Wahrheitsgehalt des Gerüchts nachprüft, dass zusatzversicherte Patienten vorzugsweise das bessere Stent-Modell erhalten – hier zahlt nämlich die Krankenkasse – und dass die Privatspitäler ganz auf Holzklasse verzichten. Vielleicht kommt dann doch eine Diskussion über Selbstverantwortung in Gang und darüber, ob die Krankenkassenprämien auch um 20 Prozent pro Jahr ansteigen dürfen.

Falls das Osterinselbakterium dies nicht schaffen sollte, wären weitere Bomben bereits scharf gemacht: «A molecular star in the war against cancer» steht vor der Türe und wartet auf seinen Kampfeinsatz – Stars aus Amerika sind aber bekanntermassen nicht billig. Ein anderes Beispiel: Die Sterblichkeit von Patienten mit schwerer Blutvergiftung kann neuerdings dank einem ultramodernen Medikament verringert werden; um ein Leben zu retten, ist aber der Einsatz von mindestens 200 000 Franken nötig. Noch aber sagen uns weder die Politiker noch der Boulevard oder gar der Souverän, wer es bezahlen soll und wie viel ein gerettetes Leben kosten darf.

Guidelines dürfen wir möglicherweise von der US-Regierung erwarten, die im gegenteiligen Fall schon beispielhaft tätig war: Pro versehentlich mittels Hochtechnologieraketen (Stückpreis?) getöteten Gast einer Hochzeitsgesellschaft in Zentralafghanistan zahlten die USA den Hinterbliebenen umgerechnet 200 Dollar, wie in der NZZ zu lesen war.
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