Mode und Technik, das sind zwei Welten, die noch vor gar nicht langer Zeit überhaupt nichts miteinander zu verbinden schien – und die nun plötzlich eng zusammenwachsen, auf immer neue, überraschende Art und Weise. Gewiss, die Technik, die wir nutzen, war immer schon Teil unserer Persönlichkeit. Doch die Art, wie Mobilgeräte zu Accessoires werden, signalisiert einen neuen Trend in der Technikbranche.

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Apple scheint sehr darauf aus zu sein, sich in der Modewelt noch stärker zu etablieren als bisher schon: Unlängst holten sich die Kalifornier gleich zwei Topmanager aus der Bekleidungsindustrie – Angela Ahrendts von Burberry und im vergangenen Sommer Paul Deneve von Yves Saint Laurent. Apple-Fans und Technikfreunde ganz allgemein fiebern gespannt der iWatch entgegen.

Google ist derweil eifrig darum bemüht, seine Multimediabrille «Glass» unter den Eleganten und Schönen ins Gespräch zu bringen: Models, die bei der Frühjahrskollektion 2013 für Diane von Fürstenberg über den Laufsteg stolzierten, trugen ausnahmslos Google Glass auf der Nase.

Bei der New Yorker Fashion Week wurde Google Glass dann prompt zum gefragtesten Mode-Objekt unter Designern und Besuchern gleichermassen. Die US-Ausgabe der «Vogue» heuerte den Star-Fotografen Steven Klein an, um ein androgynes Model samt Computerbrille stilvoll in Szene zu setzen. Glaubt man den Gerüchten, ist Google bereits schwer damit beschäftigt, auch noch eine Smartwatch zu entwickeln – die Kalifornier kauften im August 2013 die Firma WIMM Labs, die auf Uhren mit Android-Software spezialisiert ist.

Nimmt man noch die Sony SmartWatch 2, Samsungs «Galaxy Gear» und die populäre Pebble-Smartwatch hinzu, so wird klar, dass die Technikbranche offiziell ihre Liebe zu «Wearables» entdeckt hat: digitalen Helfern, die zugleich nützlich und modisch sein sollen (siehe auch Samsungs retro-coole Werbekampagne für die «Galaxy Gear»).

Damit befinden wir uns in einem Zeitalter, in dem High-Tech-Wunder, die früher James Bond vorbehalten schienen, plötzlich Alltag sind. Und beim Wort «Geek», das einst verächtlich für vereinsamte Computerfreaks stand, schwingt nichts Negatives mehr mit. Stattdessen gilt die unausgesprochene Annahme: Je mehr Technik wir in unser Leben bringen, umso schöner wird dieses Leben – und modischer noch dazu. Geek ist der neue Chic.

Zu viel Hype um Technik zum Anziehen?

Bei der jüngsten GMIC-Konferenz, der grössten Veranstaltung im Silicon Valley rund um Mobiltechnik, gab es unter Teilnehmern keinen Zweifel mehr, dass Wearables eine ernst zu nehmende Kategorie von Mobilgeräten darstellen – weit über Brillen und neuartige Armbanduhren hinaus. Bei einer Podiumsdiskussion, die vom bekannten Blogger Robert Scoble – Startup Liaison Officer bei Rackspace – geleitet wurde, äusserten sich drei führende Brancheninsider zu den Zukunftsaussichten für tragbare Technik.

Pebble-CEO Eric Migicovsky untermauerte mit Zahlen das weltweite Interesse an seinem Produkt: 45 Prozent aller Investoren bei der Kickstarter-Kampagne für Pebble leben ausserhalb der USA. Den Erfolg der Pebble-Smartwatch erklärt er nicht zuletzt mit der soliden Konstruktion (die Uhr ist wasserabweisend, und die Batterie soll sieben Tage lang durchhalten). Migicovsky gab allerdings zu, dass es im Massenmarkt «noch nicht recht geklickt hat»; bisher fehle eine emotionale Verbindung zu Verbrauchern, die müsse die Uhr erst noch aufbauen. Phil Chen, Chief Content Officer des koreanischen Smartphone-Herstellers HTC, sagte, es sei wichtig, «menschliche Werte zu betonen».

Das Zeitalter des Kontexts

Gesundheit, Bildung, Gaming – das sind die offensichtlichen Nischen, in denen Wearables zunächst Fuss fassen können.  Die Geräte bieten auf diesen Gebieten einzigartigen Nutzen, indem sie Daten sammeln, die bisher nur schwer zu fassen waren. Körpersignale wie Herzrhythmus, Blutdruck, Schweiss, ja selbst Schlafphasen lassen sich mit der neuen Mobiltechnik messen (Produkte wie Fitbit und das Nike+FuelBand haben sich bereits erfolgreich im Markt etabliert). Kontextbezogene Informationen, die bei der Nutzung solcher Geräte anfallen, liefern ganz neue Arten von Daten. Die Diskussionsteilnehmer bei der GMIC-Konferenz sprachen sogleich von einem «Zeitalter des Kontexts».

Doch je allgegenwärtiger und alltäglicher tragbare Technik wird, die unser Leben auf Schritt und Tritt erfasst und vermisst, um so dringlicher wird es auch, unsere sozialen Verhaltensregeln und den Datenschutz anzupassen, warnen Experten. Die Teilnehmer der GMIC-Podiumsdiskussion sahen die Gefahr, wir könnten versucht sein, Sicherheit gegen «Glancibility» einzutauschen – das Gefühl, jederzeit mit einem schnellen Blick auf unsere Daten unser Leben zu durchschauen.

Ehe Wearables tatsächlich den Massenmarkt erobern und zu Modegegenständen werden, müssen die Entwickler freilich erst noch ein paar technische Hürden nehmen. Bisher zeigen sich die Geräte üblicherweise noch recht klobig und wenig elegant, obendrein müssen sie mit winzigen Batterien auskommen, die ihre Laufzeit beschränken. Das macht es für die Hersteller schwer, Nutzen und Benutzung so zu verknüpfen, dass ein begeisterndes Erlebnis dabei entsteht – von einem Design, das Herzen höher schlagen lässt, ganz zu schweigen. Dazu kommt die Herausforderung, technische Standards zu schaffen, die nahtlose Zusammenarbeit zwischen Geräten verschiedener Hersteller erlauben. Eine Schlüsselrolle dürfte dabei Bluetooth LE zufallen, einer neuen Drahtlos-Technologie, die es Geräten erlauben soll, ohne Unterbrechung ständig in Kontakt zu bleiben.

Zugleich bieten sich für Designer und Ingenieure viele Möglichkeiten, einzigartige neue Produkte zu schaffen. Um wirklich Teil unseres Alltags zu werden, muss tragbare Technologie sich nahtlos in unser Leben einfügen. Neue Arten der Bedienung und Interaktion, die auf Gesten basieren, dürften eine Welle der Innovation auslösen.

Werden Smartwatches sich nun anschicken, traditionellen Armbanduhren den Platz am Handgelenk wegzuschnappen ? Müssen sich die traditionellen Uhren-Hersteller also Sorgen machen? Einige dieser zweifeln allerdings, dass die Auswirkungen auf ihr Geschäft besonders gross sein werden. Im Gegenteil so spekulieren sie: Smartwatches könnten den Appetit junger Leute auf konventionelle Armbanduhren eher noch fördern.

Andererseits sagen Technikpropheten im Zuge der Neuerfindung unserer Zeitmesser eine Fülle an persönlichen Diensten voraus, die digitale Uhren schlauer und persönlicher machen werden (siehe etwa der Watchface Generator, der jeder Pebble-Uhr ein unverwechselbares Gesicht gibt). Immer wieder zeigt sich an solchen Beispielen, wie individuell, wie eigen sich tragbare Technik machen lässt: Diese Geräte sind gleichermassen Alltagshelfer, Designergegenstände, Schmuckstücke und Modeartikel.

Wie dauerhaft dieser Trend am Ende sein wird, wie sehr Wearables unseren Alltag verändern und ganze Branchen auf den Kopf stellen werden, muss sich zeigen. Mode zumindest lebt vom Frischen und Neuen, von der Vergänglichkeit und den gelegentlichen Marotten. Erinnern Sie sich noch an die Schlaghose?

* Christian Simm ist Gründer und CEO von swissnex San Francisco. Mitarbeit: Amanda Prorok und Karsten Lemm. Bilder: Pebble.