Amerikanische Autofahrer leiden an der Zapfsäule. Banker an der Wall Street fürchten den blauen Brief. Der Wert des Dollars ist erschreckend gering. Eine Rezession scheint unvermeidlich. Längst haben Wähler den lahmen Lauf der Wirtschaft als dringlichstes Problem der nächsten Regierung erkannt.

Die beiden Präsidentschaftskandidaten bekunden jedoch Mühe, das Thema griffig anzugehen. Als «wirtschaftspolitische Leichtgewichte» rügte das «Wall Street Journal» den Republikaner John McCain wie den Demokraten Barack Obama. «Wirtschaft ist nicht meine Stärke», gestand der einstige Marinepilot McCain. Er lese die Memoiren des früheren Notenbankchefs Alan Greenspan und hoffe, «etwas dabei zu lernen». Obama, ein Jurist mit Harvard-Abschluss, unterlag in den Vorwahlen Hillary Clinton in all jenen Staaten, in denen die Konjunktur besonders heftig stottert. Princeton-Ökonom Paul Krugman titulierte Obama als «Führer eines Kults», dessen wirtschaftspolitische Ideen «unausgegoren» seien.

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Keine Substanz. Hoffte Obama auf ein Plebiszit über den Irakkrieg, wollte McCain seine Erfahrung im Kampf gegen den Terror nutzen, um ins Weisse Haus zu ziehen. Nun polen die Kandidaten ihre Kampagnen im Eiltempo um. Unaufhörlich und etwas unbedarft reden sie seit kurzem über die Wirtschaft, wobei vor allem markige Schlagworte, doch kaum substanzielle Ideen auszumachen sind. Als «grössten Steuertreiber seit dem Zweiten Weltkrieg» kanzelte der 71-jährige McCain den 46-jährigen Obama ab. Obama wiederum setzte McCains Pläne mit den «gescheiterten Ideen von George W. Bush» gleich. Er stellte Steuerschnitte für die Mittelklasse in Aussicht, dazu staatliche Finanzspritzen und ein ambitiöses, 150 Milliarden Dollar umfassendes Programm zur Förderung erneuerbarer Energien. Wie er all das bezahlen will, sagt Obama nicht – er weiss es nicht.

«Die Leute um McCain und sein Programm sind bekannt, bei Obama herrscht viel Unsicherheit», sagt der Chef der Swiss-American Chamber of Commerce, Martin Naville. Gerade dreieinhalb Jahre sass Obama als Senator von Illinois im Senat. McCain dagegen ist seit 25 Jahren für Arizona im Kongress. «Für die Wirtschaft ist Unsicherheit Gift», sagt Naville.

Für die Schweiz hofft er auf einen Wahlsieg McCains. Die Pharmabranche, vor allem aber der Finanzplatz Schweiz seien von einem demokratisch kontrollierten Kongress und einem demokratischen Präsidenten bedroht. «Für die Schweizer Banken wäre eine durchgehende demokratische Kontrolle in beiden Kammern des Parlaments und im Weissen Haus ganz schlecht», sagt Naville. Der von Obama mitverfasste Stop Tax Haven Abuse Act ziele direkt auf das Schweizer Bankkundengeheimnis. 34 Länder werden darin als Oasen für steuerflüchtige Amerikaner genannt, darunter die Schweiz. Das Gesetz räumt US-Behörden weit reichende Möglichkeiten ein, Daten von Bankkunden einzufordern. Zwar liegt der Vorschlag seit über einem Jahr brach. Kommt er, wie zu erwarten, bis Dezember nicht zur Abstimmung, landet er im Papierkorb. Aber, bemerkt Naville, «der Entwurf bietet einen Einblick in Obamas Denkweise und Prioritäten». Sitze er im Weissen Haus, hätte ein ähnliches Gesetz «reellere Chancen».

Schweizer Banken in den USA und US-Finanzhäuser erwarten von Obama strikte Kontrollen des Finanzsektors. Zur «wichtigsten Wahl seit 1980 für Anleger» werde daher die Entscheidung im November, schreibt der UBS-Analyst Thomas Doerflinger in einem internen Papier. Er stellt UBS-Kunden auf einen demokratischen Wahlsieg ein und nennt die von Obama dargelegten Ideen «riskant für den Aktienmarkt». Höhere Steuern für Investoren, insbesondere auf Kapitalgewinnen und Dividenden, dürften die Anlegelust dämpfen. McCain hingegen würde die Steuern der Topverdiener senken, was sich positiv auf die Aktienmärkte auswirkte.

Gegenüber der Finanzindustrie sei «McCain weniger feindlich eingestellt als Obama», schreibt Doerflinger. Der Demokrat will das Hypothekengeschäft und Kreditkartenfirmen strenger als bisher regulieren. Das Bankrott-Gesetz möchte er abändern, sodass die Löhne der Arbeiter, nicht aber die Kredite der Banken gesichert sind. Unter Druck kämen sogenannte «vulture funds», die mit den Schulden bankrotter Firmen handeln. Gemäss dem UBS-Analysten würden nicht nur spezialisierte Banken leiden, sondern auch «die grossen Finanzhäuser». Paradox, dass Obama weit mehr Wahlspenden von Angestellten im Finanzsektor erhält als McCain.

Nummer 2. Für die Schweiz sind die USA zweitwichtigster Handelspartner. Letztes Jahr wurden Schweizer Güter im Wert von fast zwanzig Milliarden Franken in die USA exportiert – 26 Prozent waren pharmazeutische Produkte, gefolgt von Maschinen (18 Prozent), Uhren (12 Prozent) und Chemikalien (7 Prozent). Allerdings ging das Exportvolumen als Folge des tiefen Dollars um rund 2,5 Prozent zurück.

Nicht kommentieren wolle man einzelne Kandidaten, sagt Roche-Sprecherin Nina Schwab-Hautzinger. «Roche wünscht sich in den USA weiterhin Rahmenbedingungen, die Unternehmertum und Innovation und damit wirtschaftliches Wohlergehen fördern.» Das sieht der Direktor des Branchenverbands SGCI Chemie Pharma Schweiz, Beat Moser, unter Obama gefährdet. «Demokratische Präsidenten bereiten immer Probleme für die Pharmaindustrie, das wäre bei Obama nicht anders. Demokraten versuchen stets, die Kosten beim Gesundheitswesen zu reduzieren, was einen immensen Einfluss auf den Umsatz der Pharmakonzerne haben kann.» Eine Einsicht, die US-Angestellte von Novartis und Roche nicht teilen – zwei Drittel unterstützten bisher demokratische Kandidaten finanziell.

Sie übersehen, dass Obama Generika bevorzugt und Parallelimporte von Medikamenten bejaht. Beides drückt die lukrativen Pillenpreise in den USA. Die von Obama vorgeschlagene Reform des Krankenkassengesetzes sieht eine Versicherung für fast alle Amerikaner vor. Jährlich 70 Milliarden Dollar will er dafür aufwerfen. Davon profitieren werden Spitäler, die keine unversicherten Patienten mehr behandeln müssten. McCain, der sich einst als «grösster Feind der Pharmabranche in Washington» bezeichnete, will ein effizienteres Gesundheitswesen, was die Gewinnmargen drücke.

McCain rühmt sich als Fürsprecher des Freihandels. Wie Bush möchte er weltweit Schutzzölle abbauen. «95 Prozent der Kunden von US-Produkten leben im Ausland», betont er öfters. Obama hingegen hat angekündigt, das Freihandelsabkommen Nafta zwischen den USA, Kanada und Mexiko neu zu verhandeln. Um jeden Preis wolle er amerikanische Arbeitsplätze schützen, sagt Martin Naville, und zwar mit Hilfe von Tarifen sowie mit der Sicherheit des Landes begründeten schärferen technischen Vorschriften. Betroffen wäre die Schweizer Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie.

«Keine markanten Änderungen» in der US-Handelspolitik erwartet der stellvertretende Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes, Urs Schneider, ob nun McCain oder Obama ins Weisse Haus einzieht. Aber: «Wenn die Demokraten regieren, könnte der Freihandel im Lebensmittelbereich weltweit an Schwung verlieren». Die Bauern hoffen auf einen protektionistischen US-Präsidenten. Schneider erkennt bei Obama Tendenzen, die sich mit der Schweizer Position decken würden, wonach jedes Land eine schützenswerte Landwirtschaft haben sollte.

Steuerfrage. Aggressiver noch als Parteifreund Bush will McCain Steuern kürzen: US-Firmen sollen nur noch 25 statt wie bisher 35 Prozent ihres Gewinns dem Fiskus abliefern. Obama sieht für Unternehmen keine Steuerkürzungen vor. Den Steuersatz der Topverdiener will er dafür von 35 auf 39,6 Prozent anheben. Die Kapitalgewinnsteuer, die McCain langfristig abzuschaffen gedenkt, möchte Obama von 15 auf 28 Prozent erhöhen.
Dividenden sollen neu mit 39,6 statt wie bisher mit 15 Prozent besteuert werden.Da zehn Prozent der Amerikaner rund 73 Prozent der Einkommenssteuer leisten, flösse unter Präsident Obama weit mehr Kapital zum Fiskus statt in die Schatullen der Hersteller von Luxusgütern. Zum Leidwesen der Schweizer Uhrenindustrie. «Die Demokraten ziehen den reichen Leuten das Geld aus der Tasche und verteilen es neu», sagt Maurice Altermatt, Ökonom beim Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie. «Haben die Reichen weniger, kaufen sie keine zweite Rolex.»

Schwierig sei es derzeit, in den USA exklusive Uhren abzusetzen. «Der tiefe Dollar und hohe Preise für Edelmetalle zwingen uns, Preise anzuheben.» Dem US-Präsidenten schreibt er geringen Einfluss auf die Branche zu. Zumal die Uhrenindustrie anderswo lukrative Märkte aufbaut. «Zwar ist Amerika eine wirtschaftliche Macht», sagt Altermatt. «Aber wir leben in einer globalen Welt, in der das Weisse Haus den Gang der Konjunktur nicht mehr diktiert.»

Sind bei den Steuern die grössten Unterschiede auszumachen, so gibt es zwischen Obama und McCain auch Konsens. Übereinstimmend wollen beide die Biotechnologie sowie Hightech fördern. Liess sich Bush von christlich-ideologischen Prinzipien leiten, ist McCain wissenschaftsfreundlicher und wie Obama der Stammzellenforschung zugeneigt.

Bei beiden Kandidaten erwartet UBS-Analyst Doerflinger ein grösseres Loch im Staatshaushalt. Zwar will McCain die Staatsausgaben drastisch drosseln, doch Steuerkürzungen würden die Erträge rascher mindern. Bei Obama sieht er ein umgekehrtes Szenario mit demselben Resultat: höhere Steuererträge, verbunden mit weit höheren staatlichen Ausgaben.

Angesichts der unschlüssigen Aussagen der Kandidaten ist ein Blick auf historische Daten nützlich. Entgegen der Volksmeinung boomte die US-Wirtschaft jeweils unter demokratischen Präsidenten, und die Aktien stiegen steiler. Zwischen 1953 und 2006 wuchs die Wirtschaft im Schnitt um 4,2 Prozent, wenn ein Demokrat regierte; unter republikanischen Präsidenten lag das Wachstum bei 2,8 Prozent. Der Dow Jones Index stieg seit 1900 unter Demokraten im Jahresschnitt um 13,3 Prozent, unter Republikanern lediglich um 7,1 Prozent.