Es ist kompliziert, stellt mein Kollege Ralph Pöhner in seinem Text zur Lohnkluft zwischen Männern und Frauen fest. Gleiche Bezahlung unabhängig vom Geschlecht sei darum per Gesetz auch nur schwer durchzusetzen. Die Begründungen stossen in eine Richtung: Die Lohnlücke entstehe nicht aufgrund von Diskriminierung, sondern als Folge der persönlichen Präferenzen von Frauen. Schulterklopfend wird SVP-Ständerat Hannes Germann mit seiner Aussage zititert, die Unterschiede seien halt «gottgegeben».

Die Argumentation der Präferenzen ist beliebt und hat prominente Vertreterinnen – zum Beispiel die ehemalige deutsche Familienministerin Kristina Schröder. Richtiger wird sie dadurch nicht. Zum einen, weil gesetzliche Massnahmen die Debatte sehr wohl vorantreiben können. Das zeigt die Publikation von Firmendaten in Grossbritannien, bei denen auch Schweizer Unternehmen ihre dortige Lohnpraxis offenbaren mussten. Die Schweiz hat eine ähnliche Lohnanalyse, die seit 2015 diskutiert wird, kürzlich auf die lange Bank geschoben.

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Das Abschneiden der Schweizer Konzerne

In Grossbritannien mussten Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern Durchschnittslöhne von Männern und Frauen publizieren. Dabei wurden zum Teil absurde Diskrepanzen offenbar. Es ist wichtig, diese Zahlen richtig zu lesen. Die britischen Daten nennen Durchschnittswerte und sortieren nicht nach Qualifikation. Sie eigenen sich also nicht zur Feststellung, ob gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit gezahlt werden.

Der britische Vergleich sagt etwas anderes aus: wie es um die Chancengleichheit für Männer und Frauen in den Unternehmen bestellt ist. Wenn Frauen im Durchschnitt 51 Prozent weniger Gehalt bekommen als Männer, wie es bei der Credit Suisse in Grossbritannien der Fall ist, dann heisst das: Nur wenige der gutbezahlten Posten gehen an Frauen. Tatsächlich entfallen vom bestbezahlten Viertel  an Stellen am dortigen Standort 11 Prozent auf Frauen.

Interessant ist dagegen, wie gut Novartis und Roche abschneiden. Bei beiden Pharma-Riesen liegt die Lohnlücke bei knapp 11 beziehungsweise 7 Prozent und topbezahlte Stellen werden teils in der Mehrheit von Frauen besetzt. Die Zahl der Top-Kaderfrauen ist deutlich überdurchschnittlich. Dazu muss man wissen: Die Pharma-Riesen gehörten zu den ersten, die in der Schweiz freiwillig eine Lohnanalyse vornahmen – und Handlungsbedarf feststellten. Novartis und Roche haben wenige Mitstreiter in der Schweiz: Eine nationale Initiative zur Lohngleichheit auf freiwilliger Basis wurde 2014 beendet, sie fand deutlicher weniger Teilnehmer als erhofft.

Diese Situation kommt viel häufiger vor als absichtliche Lohndiskriminierung durch einen fiesen Macho-Chef: gewachsene Strukturen bilden eine Schieflage, es mangelt aber an Bewusstsein. Das ist einer der Faktoren, die in der Debatte um Lohngleichheit zu wenig Beachtung finden.

Die Vorurteile der Feministinnen

Die Herausforderung in der Diskussion besteht darin, dass sie keine objektiven Beobachter kennt. Jeder ist unmittelbar involviert und parteiisch, eben entweder als Mann oder als Frau. Alle haben Vorturteile, von der Feministin bis zum Chauvi, und eben nicht nur die tyrannischen Frauenhasser.

Umso wichtiger ist ein Bewusstsein über den eigenen Standpunkt. Harvard-Ökonomin Iris Bohnet untersucht in ihrer Arbeit den Einfluss unterbewusster Einstellungen («Gender Bias») und entwickelt Strategien, ihre Wirkung zu neutralisieren. Sie erläutert etwa, wie bei Einstellungsprozessen Diskriminierung vermieden werden kann.

Ungewollt kinderlos

Ein zentraler Punkt in der Diskussion um Lohngleichheit ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Lohnknick bei Müttern nach dem ersten Kind ist vielfach belegt. Der Gesetzgeber in der Schweiz greift hier wenig ein, weil er die individuelle Gestaltungsfreiheit der Familie nicht einschränken wolle. Doch bestärkt die Zurückhaltung tatsächlich die freie Wahl?

Schweizerinnen und Schweizer im Alter von 20 bis 29 Jahren wünschen sich fast ausnahmslos Kinder. Das klappt aber zu einem erheblichen Anteil nicht. Fast jede dritte Akademikerin in der Schweiz bleibt kinderlos, wie das Bundesamt für Statistik vermeldet. Die Diskrepanz zwischen Kinderwunsch und der tatsächlichen Anzahl Kinder ist ein Indiz dafür, dass der Spagat zwischen Familie und Beruf seinen Tribut fordert.

Auf der anderen Seite steht die grosse Anzahl der Frauen, die den Kindern zuliebe in Teilzeitanstellungen ausweichen. Laut der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung standen 2013 zum Beispiel 50’000 studierte Frauen am Herd, statt zu arbeiten. Dadurch, dass der Schweizer Staat die Kinderbetreuung zur Privatsache erklärt und Steuer- und Sozialsystem, Krippentarife und Eherecht die traditionelle Rollenverteilung fördern, geht der Gesellschaft also doppelt Potenzial verloren.

Kinderwunsch

Kinderwunsch und tatsächliche Zahl der Kinder von Frauen in der Schweiz.

Quelle: BFS

Wandel braucht Zeit

Doch was, wenn der gesetzliche Rahmen eine gleichberechtige Aufteilung fördert? Ökonomen der Universität Princeton haben die Situation in Dänemark analysiert, wo Eltern sich über 32 Wochen frei einteilen können, wer zu Hause beim Kind bleibt. Seit 2002 gibt es diese Regelung bereits, Dänemark setzt diese Massnahmen wesentlich früher als viele andere Länder. Die Wissenschaftler stellten nun aber fest, dass auch in Dänemark noch immer mehrheitlich die Frauen daheim bleiben.

Wer jetzt allerdings triumphierend diagnostiziert, damit zeige sich, Frauen blieben aus freien Stücken zu Hause, unterschätzt die Zeit, die kultureller Wandel braucht. Sozialwissenschaftler stellten in Dänemark fest, dass Vaterschaftszeit nach wie vor oft als unmännlich gilt.  Bis sich diese inneren Haltungen angleichen und aus der Möglichkeit eine Gewohnheit wird, ist Geduld nötig.

Zum Vergleich: 1908 wurde in Deutschland das Studium für Frauen erlaubt. Wer 16 Jahre später auf die Statistik geschaut hätte, hätte ebenfalls auf Desinteresse schliessen können. Gerade einmal 7,5 Prozent der Studierenden waren zu jener Zeit Frauen. Abgesehen von einem Ausreisser nach oben – zu Kriegszeiten, als die Männer an der Front waren – ging es dann zwar kontinuierlich aufwärts, aber es dauerte hundert Jahre, bis sich der Frauenanteil unter Studierenden in Deutschland bei gut 48 Prozent einpendelte (siehe Grafik).

Anteil Frauen an Universitäten

Der Anteil der weiblichen Studierenden in Deutschland, von 1908 bis 2017.

Quelle: CEWS

Lohngleichheit ist kein Luxusproblem

Die Zurückhaltung des Schweizer Staates bei der Förderung von Chancengleichheit bleibt nicht ohne Folgen. Auch die Entscheidung, keine Gesetze wie Elternzeit oder eine Pflicht zur Lohnanalyse zu erlassen, wirkt konkret auf den Lebensrahmen der Bürgerinnen und Bürger. Steuer- und Sozialsystem, Kitatarife und Eherecht befördern das traditionelle Familiensystem. Frauen sind stärker bedroht durch Altersarmut im Falle einer Scheidung, Kinderlosigkeit im Falle einer Karriere.

Natürlich finden Frauen und ihre Familien immer die bestmögliche Antwort auf die gegebenen Umstände – und entscheiden sich in vielen Fällen dann doch für ein traditionelles Familienmodell. Daraus aber die persönlichen Präferenzen der Frauen  – oder gar eine «gottgegebene» Prägung – ablesen zu wollen, geht zu weit.