Am Montag orientierte Pierre de Meuron auf dem Titlis über die neue Gipfelstation. Im breiten Basler Dialekt erklärte der Architekt mit Weltruf, wie das Projekt ins Schaffen des Basler Architekturbüros Herzog & de Meuron passt. Der 68-Jährige verglich die Gipfelstation mit ikonischen Bauten wie der Tate Modern in London oder der Allianz Arena in München und erklärte, warum das neue Gebäude mit viel Glas und Stahl gebaut werden soll.

100 Millionen Franken soll das Projekt auf dem Titlis kosten. Es ist die wahrscheinlich teuerste Gipfelstation der Schweiz, vergleichbar mit dem Umbau der Säntis-Bergstation in den 90er-Jahren, die rund 80 Millionen Franken gekostet hat. Vergleichbar auch mit dem Projekt der Jungfraubahnen, am Ostgrat der Jungfrau ein 70-Millionen-Haus zu bauen.

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Es ist erst das zweite Gipfel-Projekt von Herzog & de Meuron – nach dem Bau der Bergstation Chäserrugg im Toggenburg. Welcher Gipfel ist als nächstes dran? Verdrängen Herzog & de Meuron andere Architekten wie Peter Zumthor? Und vor allem: Warum fokussiert Pierre de Meuron nach Jahrzehnten des internationalen Wachstums wieder auf die Schweiz? Der Architekt gibt Antworten im Interview.

HANDOUT - Visualisierung des Masterplans der neuen Bergstation Titlis mit ausgebautem Turm, zur Verfuegung gestellt am Montag, 5. November 2018. Herzog & de Meuron und die Titlis Bergbahnen praesentierten heute das Projekt TITLIS 3020 mit dem Ausbau des Richtstrahlturms inklusive Zugangsstollen und dem Neubau der Bergstation. (HANDOUT HERZOG & DE MEURON)  *** NO SALES, DARF NUR MIT VOLLSTAENDIGER QUELLENANGABE VERWENDET WERDEN ***

«Titlis 3020»: Neue Bergstation, umgebauter Turm.

Quelle: ZVG

Herr de Meuron, wie passen Peking, London und der Titlis zusammen?
Pierre de Meuron: Das sind alles spezielle Orte mit einer eigenen Ausstrahlung. London und Peking sind Metropolen, Städte mit Weltruf. Und auch der Titlis ist ein Ort mit urbanem Charakter, ein bekannter Berg im Herzen der Schweiz, eine der am meisten besuchten Touristendestinationen in den Alpen. In Sachen Infrastruktur herrschten aber Mängel. Wir wollen jetzt etwas schaffen, das sowohl einen funktionalen als auch einen hohen architektonischen Anspruch erfüllt.

Wie ist die Arbeit in den Alpen in ihrem Schaffen als Architekt einzuordnen? Von der Tate Modern ins Toggenburg und auf den Titlis: Ist das ein Abstieg oder eine Neuorientierung?
Das heisst in erster Linie, dass wir uns weiterhin auch mit der Schweiz beschäftigen. Wir haben vor einigen Jahren bereits das städtebauliche Portrait der Schweiz gemacht. Dort haben wir das Land analysiert und beschrieben. Das, was wir jetzt machen, ist eine Art Weiterführung unserer Arbeit.

Welchen Gipfel wollen Sie noch erstürmen?
Wir wollen nicht jeden Gipfel erobern und uns dort mit unserer architektonischen Handschrift verewigen. Wir klären das von Fall zu Fall ab. Die Arbeit auf dem Chäserrugg war ein Territorialprojekt mit übergeordneter Relevanz. Es ging um das ganze Toggenburg und um die Churfirsten. Auf dem Titlis ist es ähnlich. Das Projekt strahlt auf die ganze Innerschweiz aus und wird wahrgenommen von allen Touristen, die von Luzern aus anreisen. 

Die Bauherrschaft sprach bei der Präsentation mehrmals von einem «Leuchtturm». Sie haben das Wort nicht erwähnt. Weil Sie nach Ihrer Erfahrung in Davos nicht mehr von einem Turm in den Alpen reden wollen?
Nein, Davos hatte seine Richtigkeit. Einen Turm würden wir nicht überall empfehlen, aber in Davos machte es Sinn. Das Dorf hat eine städtische Struktur. Der Turm hier ist mehr ein Aussichtsturm, kein Wohnturm oder Hotelturm.

Luftschloss in Davos

300 Meter oberhalb von Davos sollte ein 105 Meter hohes, 30-stöckiges Gebäude entstehen. Die Realisierung ist aber fraglich. Die Davoser Bevölkerung hatte 2004 der Umzonung in einer Volksabstimmung mit 1985 zu 1825 Stimmen zugestimmt. Dann kam die Zweitwohnungsinitiative und machte das Vorhaben rechtlich schwierig. Die Kosten des Projekts waren auf knapp 200 Millionen Franken veranschlagt. Die Architekten: Herzog & de Meuron. Projektnummer: 227. Auftraggeber: die Eigentümer des Hotelbetriebs auf der Schatzalp. Jüngstes Zitat von Schatzalp-Teilhaber Pius App dazu: Das Projekt ist «immer noch präsent».

Und er steht schon.
Richtig. Das ist sicher einer der wichtigsten Punkte. Auch bei unserer Herangehensweise an das neue Konzept. Wir wollen auf den alten Strukturen aufbauen und die bestehende Form aufnehmen. Die Stahlstruktur des Turms müssen wir wahrscheinlich leicht verstärken, aber sonst gibt es keine grösseren Arbeiten am Sockel und am Turm selbst. Auch bei der Bergstation haben wir das neue Gebäude auf dem bestehenden Fundament entwickelt.

Gibt es Referenzpunkte für Ihre Arbeit im alpinen Raum?
Bisher ist die Mehrheit der Bergstationen ohne ästhetischen oder gestalterischen Anspruch gebaut. Das sind reine Zweckbauten. Wir schaffen etwas Neues – und das war auch vom Bauherr klar gewünscht. Er wollte nicht nur ein funktionales Gipfelgebäude, sondern auch etwas Schönes. 

Im alpinen Raum haben sich bislang eher Zumthor und Botta verdient gemacht. Strebt Herzog & de Meuron die Vorherrschaft über die ländliche Schweiz an?
Unser Schaffen deckt ein breites Spektrum ab. Wir interessieren uns für alle Aspekte des Lebens. Aber wir wollen niemanden den Platz streitig machen. Bislang wurden wir oft einfach nicht angefragt, wenn es um Bauten ausserhalb von stark urbanisierten Regionen ging. 

Haben Sie die Expertise für Bauen beim Bauern?
Etiketten sind schwierig. Man macht immer etwas zum ersten Mal. Das St. Jakob war unser erstes Stadion, die Goetz Sammlung und die Tate unsere ersten Museen. 

Die Planung des Titlis-Projekts startete, als Sie noch die operative Leitung hatten. Sind Sie deshalb der Fürsprecher auf dem Titlis oder hat sich Jacques Herzog etwas aus der Kommunikation zurückgezogen?
Jacques und ich teilen uns die Aufgaben auf. Ich vertrete das Büro als Präsident.

Herzog de Meuron Bergstation Titlis

Visualisierung des Masterplans der neuen Bergstation Titlis: Der Turm als Herzstück der Vision.

Quelle: ZVG

Vermissen Sie die Zeit als Chef von Herzog & de Meuron?
Es ist richtig, dass ich die operative Verantwortung an eine jüngere Kraft abgegeben habe. Als Präsident kann ich immer bei vielen Projekten sehr aktiv dabei sein und mich einbringen. Vielleicht sogar noch mehr als vorher.

Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit Ihres CEO?
Sehr – das werden Sie bald sehen. Die Firma ist sehr erfolgreich. 

Ihr jüngstes Büro ist Dänemark. Wo ist das nächste?
Das hängt auch von den Projekten ab. Wir beziehen in der Regel Räumlichkeiten an den Orten, an denen wir aktiv sind. Wir sind nomadisch auf der Welt unterwegs. 

Gibt es keine Fixpunkte – ausser Basel?
Vielleicht am ehesten die Standorte in New York, London und Hong Kong. Aber es ist nichts in Stein gemeisselt. Die Entwurfsarbeit wird immer noch in Basel gemacht. Projekte werden in Basel entwickelt und dann weitergegeben an die einzelnen Niederlassungen vor Ort.

Dreikampf Titlis, Jungfrau, Zermatt

  • Die wichtigsten Touristenziele in den Alpen sind der Innerschweizer Titlis, das Berner Dreiergespann Eiger, Mönch und Jungfrau sowie das Walliser Toblerone-Vorbild Matterhorn.
     
  • Der Titlis ist von Luzern aus in rund 90 Minuten erreicht. Im letzten Jahr besuchten über eine Million Gäste den Berg, in Spitzenzeiten sind bis zu 2000 Personen gleichzeitig auf dem Gipfel.
     
  • Mehr als eine Million Gäste reisten 2017 auf das Jungfraujoch. Die Region ist in der Nähe des Touristen-Hotspots Interlaken. Ausgangspunkt für die Reise auf das Jungfraujoch ist die Kleine Scheidegg, von wo man auf die ikonische Eiger-Nordwand blickt.
     
  • Das Matterhorn ist der wahrscheinlich bekannteste Berg der Schweiz. Berühmtestes Ausfliegsziel in der Umgebung: Der Gornergrat und das Gipfelhotel Kulm. Die Gornergratbahn ist der wichtigste Gewinnlieferant für die Bahnfirma BVZ.

Stimmen die Zahlen noch: 450 Angestellte weltweit, über 400 davon ausgebildete Architekten?
Jetzt sind wir sogar etwas mehr, knapp 460 aus mehr als 40 Nationen. Und Architekten sind wir ungefähr 390. 

Haben Sie schon alles erreicht als Architekt?
Nein, bestimmt nicht. Das Leben geht weiter, es gibt noch viele Aufgaben, die wir noch nicht erledigt haben. Solange ich noch inspiriert bin und solange ich Freude habe, mache ich weiter.

Die Kritiker nagen nicht an Ihrer Freude? Die ganzen Negativschlagzeilen in Zusammenhang mit der Elbphilharmonie oder neu auch dem Bau in Berlin müssen Ihnen doch zusetzen. 
Kritik ist ein Zeichen von Wahrnehmung. Und wir sind oft mit Projekten an einem Ort, an dem wir wahrgenommen werden. Nicht nur von der Presse, sondern von einer weiteren Öffentlichkeit. Und an sich ist es gut, dass es einen kritischen Diskurs gibt über städtebauliche, architektonische und territoriale Themen. Wir bringen uns gerne ein in diese Diskussion mit Seriosität und Professionalität.