Über die Frage, was Luxus ist, wird heftig diskutiert. Geläufig ist die Antwort, Luxus sei grundsätzlich etwas Überflüssiges. Doch was ist überflüssig? Eine Badewanne ist für einige Leute überflüssig, aber ist sie deshalb Luxus? Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger entgegnet, dass Luxus sich vom Überflüssigen verabschiede und nach dem Notwendigen strebe – Sicherheit, Zeit, Raum und Ruhe. Der verstorbene Soziologe Pierre Bourdieu wiederum betrachtete Luxus als kulturelle Reproduktion einer sozialen Differenz: Luxus markiert eine unüberbrückbare Distanz «nach unten». Nun gut, dies alles sind diskutable Definitionen. Werden sie aber materialisiert, dann führen sie – zur Yacht. Die Yacht bietet Raum und Ruhe, sie grenzt alle aus, die nicht an Bord sind. Und sie ist gänzlich überflüssig.

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In einer von ständiger Erreichbarkeit und Hektik geprägten Welt wird die Yacht zum Sinnbild für Luxus schlechthin. Liegt sie im Hafen von Monte Carlo, Portofino, Saint-Tropez oder Marbella, versinnbildlicht die Yacht eine mögliche Eskapade hinaus aufs Meer, in eine der letzten Freiheiten auf diesem Planeten, auf dessen Festland jeder einzelne Quadratmeter ausgestampft ist. Während man auch mit einem Ferrari irgendwann im Stau stecken bleibt, verspricht die Yacht eine schier grenzenlose Freiheit. Für Normalsterbliche ist eine Yacht Luxus, für Superreiche ein Muss. Da es immer mehr Superreiche gibt, werden laufend mehr Yachten hergestellt. Sie können nicht gross und luxuriös genug sein. Der Markt boomt.

Auf dieser Erfolgswelle surft auch Gérard Rodriguez. Dieser Mann hat die Rodriguez Group in Cannes gegründet und es innerhalb von drei Jahrzehnten vom einfachen Seemann zum weltweit grössten Hersteller von Luxusyachten gebracht. Rodriguez stammt aus dem spanischen Fischerdorf Torrevieja in der Nähe von Alicante. Sein Grossvater besass drei Schiffe, und die 250 Seemeilen zwischen Torrevieja und Barcelona machte er in 28 Stunden, was vor ihm keiner schaffte. In den Schulferien ging er jeweils mit seinem Vater auf See.

Als 1936 der Spanische Bürgerkrieg begann, wurden die Segelschiffe der Rodriguez von den Republikanern bombardiert und versenkt, weil die Familie auf Francos Seite stand. Der Diktator übergab der Familie danach Ländereien und Häuser. Der Vater sei nie über den Verlust der Boote hinweggekommen, sagt Rodriguez. Der Vater stirbt früh. Darauf verkauft die Mutter die Ländereien und Häuser. Gérard geht mit seinem Segeldiplom und 300 Peseten in der Tasche nach Cannes. Mit 21 Jahren wird er Kapitän der «Waterbird», eines 36 Meter langen Segelschiffes.

Kapitän Rodriguez lernt die Schönen und Reichen der Welt kennen. Frank Sinatra und Mia Farrow verbringen ihre Hochzeitsnacht auf seinem Segelboot. Roger Moore gehört zu seinen Gästen. Als ihm dann im Hafen von Cannes seine zukünftige Frau über den Weg läuft, geht er an Land. «Als Kapitän war ich sechs Monate im Jahr auf See. Ein Seemann heiratet nicht – oder er bleibt nicht lange verheiratet.»

1972 gründet er seine Firma: SNP Service Navigation Plaisance – ein Allround-Yacht-Service. Die Kontakte zu den Schönen und Reichen, die er zuvor als Kapitän aufbaute, und seine Erfahrung als Seemann sind sein Kapital. Er nutzt es. Sieben Jahre nach der Gründung stellt er mit dem italienischen Hersteller Arno Shipyard das legendäre Yachtmodell Leopard her, eine so genannte «large-size open»-Yacht mit einer Länge von über 20 Metern. Normale Yachten haben eine Mindestlänge von 12 Metern, sie haben Schlafräume, Badezimmer, eine Küche, einen Salon und einen Aussenbereich – also alles, was ein Schiff zum mobilen Zuhause macht.

Rodriguez erhält 1986 vom italienischen Schiffbauer Overmarine die exklusive Vertriebslizenz für das Yachtmodell Mangusta für Frankreich, Spanien, Deutschland, die Schweiz und die Benelux-Länder. Jahre später macht er einen Deal mit der spanischen Traditionswerft Astondoa; sie produzieren gemeinsam den Cabine Cruiser Astondoa. Die Rodriguez Group stellt auch individualisierte Yachten auf Kundenwunsch her.

In den achtziger Jahren gab es weltweit nur ein paar Dutzend «large-size open»-Yachten. Mitte der Neunziger beginnt die Rodriguez Group mit der Internationalisierung – das Timing ist perfekt. Gegen Ende des Jahrzehnts beginnt der Boom. Die Käufer von Yachten werden zahlreicher. Und jünger. «Früher waren unsere Kunden gegen sechzig Jahre alt», sagt Gérard Rodriguez, «heute sind einige knapp dreissig.»

Im Jahr 2004 werden allein in Europa über 400 Superyachten verkauft, ein Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von 13 Prozent. Selbst die Krisen nach dem Börsencrash der New Economy, nach 9/11 und dem Irak-Krieg hat dieser Markt ohne grössere Schäden überstanden. 90 Prozent aller verkauften Yachten sind Motoryachten: Bedienerfreundlichkeit und Komfort nehmen zu, Navigationssysteme werden perfektioniert. Die meisten dieser Schiffe werden in Italien hergestellt. Drei Unternehmen stellen mehr als die Hälfte aller Luxusyachten her: die Rodriguez Group, die italienische Ferretti Group und die Firma Azimut, ebenfalls in Italien.

Nach seinem Ökonomiestudium in New York übernimmt der Sohn Alexandre Rodriguez die operative Führung. 1998 geht die Firma unter seiner Regie an die Börse. Im Gegensatz zu manchen Unternehmen, die nach dem Börsengang implodieren, geht es mit der Rodriguez Group aufwärts. Wer beim Börsengang tausend Euro in Rodriguez-Aktien investierte, konnte diesen Betrag bis ins Jahr 2003 fast versechsfachen. Heute besitzt die Familie noch 65 Prozent der Aktien. Sohn Alexandre ist Direktionspräsident, Vater Gérard Präsident des Aufsichtsrates.

Alexandre steuert die Gruppe auf aggressiven Wachstumskurs. Mit der Übernahme der Bob Saxon Associates im Jahr 2002 wird die Rodriguez Group die grösste Beratungsfirma im Luxusyachtmarkt. Die Firma berät Kunden, ob sie eine Motor- oder Segelyacht, eine offene Yacht oder einen Cabine Cruiser möchten und welche Ansprüche an Geschwindigkeit, Motor und Komfort sie haben. Sie findet geeignete Anlegehäfen, was oft ein Problem ist. Sie regelt die Finanzierungen und Leasings. Sie bewertet und beurteilt Yachten, begleitet Übergaben, vermittelt Charter-Yachten und bietet einen Notfallservice rund um die Uhr.

Dieser Allroundservice ist ein Business mit Zukunft, denn wer eine Superyacht kauft, hat in der Regel nicht die Zeit, sich um den Kleinkram zu kümmern, der so klein gar nicht ist. Experten schätzen, dass der Unterhalt einer Yacht jährlich bis zu zehn Prozent des Anschaffungspreises beträgt. Es gibt Leute zur Genüge, welche die Folgekosten einer Yacht unterschätzt haben und finanziell wegen ihres Traumschiffes gekentert sind.

Die Rodriguez Group übernimmt den US-Hersteller Camper & Nicholson International. Und wird so der weltweit grösste Yachthersteller. Die Fachzeitschrift «Yachts International» schreibt über Rodriguez: «From nowhere to number one.» Das US-Wirtschaftsmagazin «Forbes» bezeichnet die Rodriguez Group als das beste französische Unternehmen mit einem Umsatz von weniger als 500 Millionen Dollar, wenn es um die Kriterien Wachstum, Gewinn und Zukunftsperspektiven geht – und als eines der besten weltweit.

Die medien- und öffentlichkeitsscheue Rodriguez Group will an ihrem Kurs festhalten und weiterhin mit grossem Appetit akquirieren. Im Geschäftsjahr 2004/05 macht die Gruppe einen Umsatz von 471 Millionen Euro und einen Nettogewinn von 36 Millionen – Steigerungen gegenüber dem Vorjahr von fast 30 Prozent. Fast die Hälfte des Umsatzes macht die Gruppe mit den Standardmodellen Leopard, Mangusta und Astondoa, ein Drittel mit gebrauchten Yachten, der Rest mit individualisierten Modellen und Dienstleistungen.

Über die Hälfte aller verkauften Yachten der Rodriguez Group sind länger als 24 Meter. Und seitdem das Unternehmen mit der Herstellung von 47 Meter langen Megayachten begonnen hat, sind bereits sieben davon verkauft worden – eine kostet 20 Millionen Dollar. Diese Yachten bieten Fläche für jeden denkbaren Luxus – für Piano-Bars, mit Mahagoni-Holz ausgestattete Suiten und Helikopterlandeplätze.

Die Rodriguez Group ist in Urlaubsdestinationen wie Miami, Nizza und Antibes präsent, in Kapitalmetropolen wie London, New York und Genf. Dieses Filialnetz wird ständig ausgebaut. Über 60 Prozent der Umsätze macht die Rodriguez Group in Europa, 20 Prozent in den USA und 12 Prozent im Nahen Osten. Dass die Gruppe auf den aufstrebenden Märkten in Asien noch nicht präsent ist, gilt als Schwäche des Unternehmens, die demnächst einmal behoben werden dürfte.

Derart aufstrebende Märkte ziehen auch neue Mitspieler ins Rennen. Diese haben es zunehmend schwer, in einen Markt einzutreten, der von wenigen Global Players beherrscht wird. Gérard Rodriguez, der weltweit wohl prominenteste Hersteller von «large-size open»-Yachten, schaut zuversichtlich in die Zukunft. Die Zielgruppe für seine Yachten hat ein Vermögen von über 30 Millionen Dollar – weltweit sind dies immerhin rund 70 000 Menschen.

Dies sei beträchtlich im Vergleich zu den paar hundert Large-open-Yachten, die jährlich gebaut werden, sagt Rodriguez.