«Wenig lenken. Die meisten Leute überlenken ihr Auto.» Sagt Neel Jani seelenruhig, tritt beherzt aufs Gas im Porsche 918 Spyder, und das auf spiegelglattem Eis im Norden Finnlands. Jani zeigt auf sogenannten Taxifahrten, was die neue Strassenrakete des Zuffenhausener Sportwagenbauers kann.

Also lässt er das Auto in die Kurve hineinschlittern, schnell, aber kontrolliert, mit einem einzigen Lenkeinschlag, und schaut genüsslich zu, wie das Steuer sich von selbst zum Ende der Rutschphase in die richtige Richtung zurückdreht, weil die Räder in die Geradeaus-Stellung zurückwollen. Dann gibt er wieder Gas, nicht ruckartig, sondern «progressiv», aber mehr, als der Beifahrer für angemessen halten würde, fährt zwei schnelle S-Kurven «auf Zug», driftet schliesslich einen kompletten Kreisbogen entlang - und zwar an der Innenwand, er verschenkt keinen Meter Strecke.

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Wohlgemerkt, alles auf Eis. Was ihm sichtlich Spass macht - obwohl (oder vielleicht weil) es in seinem Berufsalltag eigentlich verboten ist: Denn «driften ist nicht schnell». Wer als Rennfahrer die Haftung der Antriebsräder verliert (was beim Driften Voraussetzung ist), der verliert Vortrieb. Und damit Zeit.

Noch kein Name, der jedem etwas sagt

Neel Jani ist noch kein Name, der jedem etwas sagt. Doch das dürfte sich ziemlich schnell ändern. Und dass das so ist, hat auch mit dem allmählichen Zeitenwechsel an der Spitze des Motorsports zu tun. Deshalb müssen wir unser Jani-Porträt damit beginnen: Der 31-Jährige fährt im Porsche-Werksteam der Langstreckenweltmeisterschaft WEC (World Endurance Championship), zu der unter anderem das legendäre 24-Stunden-Rennen von Le Mans zählt. Hinzu kommen diverse 6-Stunden-Rennen, darunter auf den Traditionskursen von Spa und Silverstone und dem Nürburgring.

Während dies eher althergebracht klingt, ist die WEC in Wahrheit die kommende Klasse. Denn in der aktuellen Oberschicht, der Formel 1, herrscht zunehmend eine Mehrklassengesellschaft. Hier engagieren sich nur noch wenige grosse Autokonzerne, Mercedes und Fiat mit Ferrari, und ausreichend Geld hat neben diesen beiden nur der Brause-Konzern Red Bull für sein Team. Alle anderen Teams sind eher Rennställe, chronisch klamm und mehr oder weniger auf Bezahlfahrer angewiesen - die bringen Mitgift in Millionenhöhe mit, aber selten das grösste fahrerische Talent.

Konzerne im Clinch

In der WEC gibt es bei den Profiteams keine Bezahlfahrer - denn hier treten potente Autokonzerne gegeneinander an. In der Prototypenklasse LMP1, der höchsten, fahren Audi, Toyota und seit 2014 Porsche gegeneinander, neu kommt jetzt Nissan dazu. Weil Motoren und Getriebe hier über viele Stunden gefordert sind, gewinnen die Autobauer in dieser Serie viel mehr Erkenntnisse über Standfestigkeit und Ausdauer ihrer Neuentwicklungen als in der Formel 1, wo die Teile nur eineinhalb Stunden Höchstleistung durchhalten müssen.

Fahrerisch gilt die LMP1 als genauso anspruchsvoll wie die Formel 1 - und weil sich mehrere Fahrer ein Auto teilen, kann der Einzelne es nicht auf seine persönlichen Vorlieben abstimmen. Man muss also im Fahrstil flexibler sein. Zudem kann man nicht so ganz genau sagen, wer eigentlich der Schnellste ist - ausser man würde im laufenden Rennen jeweils die einzelnen Rundenzeiten notieren.

Da in den Langstreckenrennen drei andere Fahrzeugklassen mitfahren, die alle langsamer unterwegs sind, werden die LMP1-Piloten immer mal wieder aufgehalten; das mindert die Aussagekraft der Zeiten. Doch man tut sicher keinem Unrecht, wenn man sagt, dass Jani zu den Allerschnellsten im Fahrerteam bei Porsche gehört.

Indische Wurzeln

Für einen Seeländer hat Neel Jani einen ungewöhnlichen Namen: Sein Vater Mukesh, in Ostafrika geboren, hat indische Wurzeln und lernte seine Schweizer Frau in England kennen. Sie war zum Englischlernen dort, Mukeshs Vater arbeitete für die britische Regierung. Das Paar zog in die Schweiz, Mukesh Jani baute sich ein Geschäft auf, führte unter anderem zwei Coop-Tankstellen in Langnau und Lyss. Und: Mukesh Jani ist selbst begeisterter Rennfahrer, nahm unter anderem an der Schweizer Meisterschaft teil, die aufgrund des Rundstreckenverbots im nahen Ausland stattfinden musste - etwa in Hockenheim, Dijon oder Monza.

«Neel war als Kind meistens dabei», erinnert sich Mukesh Jani. Sohn Neel sass mit sechs zum ersten Mal in einem Bambini-Kart auf der Kartbahn Lyss, und schnell erkannte der Vater sein Talent: «Es ist ihm ganz einfach passiert, er war sofort schnell, ganz ohne Training, anfangs war ihm gar nicht richtig bewusst, was er da macht.» Und Neel Jani erinnert sich, dass sein Vater ihm im Alter von acht Jahren sagte: «Wenn du schneller bist als ich, dann kaufe ich dir einen Rennkart.» Es dauerte dann auch nicht allzu lange.

Schneller als die Stars

Jani fuhr im Gokart in Juniorserien mit und stieg 2000 in «richtige» Rennwagen ein. Auf Anhieb gewann er die Schweizer Meisterschaft der Formel Lista - und dabei hatte er nur deshalb antreten dürfen, weil die Schweiz in exakt jenem Jahr 16-Jährigen das Fahren von Rundstreckenrennen erlaubt hatte. Er wechselte in die Formel Renault, einen Marken-Cup, wo die Autos optisch schon nahe an der Formel 1 liegen. 2002 fuhr er hier auf den zweiten Platz der Europameisterschaft. Seine Gegner hiessen Lewis Hamilton, Christian Klien, Robert Kubica, Jamie Green oder Bruno Spengler, alle Stars unter den Rennfahrern. Jani schlug sie alle.

Sauber wurde auf ihn aufmerksam, Red Bull auch. Bei Sauber soll er sich vormittags in ein Auto gesetzt haben, das Felipe Massa zwei Tage lang abgestimmt hatte. Am Nachmittag habe Jani, so berichtet es ein Eingeweihter, die Zeit von Massa um acht Zehntel unterboten - eine Sensation. Zumal es auf dem Circuit im spanischen Jerez passierte, wo die Rundenzeiten um 1 Minute 20 liegen. Acht Zehntel sind hier Welten.

Erfolge in der A1GP-Serie

Doch bei Sauber klappte es nicht mit einem Cockpit, und auch bei Red Bull und deren Zweitteam Toro Rosso blieb Jani Ersatzfahrer. Dafür fuhr er in der A1GP-Serie, einer Art vereinfachten Formel 1, die von 2005 bis 2010 ausgetragen wurde, viele Erfolge ein - in der Saison 2007/2008 holte er hier sogar den Titel und konnte damit als Weltmeister amtieren; im Jahr darauf erreichte er Platz zwei. Auch in der US-Champ-Car-Serie mischte er vorne mit.

2010 wechselte er zum Schweizer Rebellion Racing Team, das in der WEC startet, und teilte sich dort unter anderem mit Nick Heidfeld ein Cockpit. 2013 meldete Porsche, dass Neel Jani fest angestellter Werksfahrer werde - und als Stammpilot in einem der komplett neu entwickelten Hybridsportler sitzen werde, mit denen Porsche seit 2014 in der höchsten Klasse der Le-Mans-Prototypen antritt. Auf Geraden werden sie 330 km/h schnell.

Porsche hat dabei das - nach eigener Einschätzung - Auto mit der komplexesten Technologie. Und während Porsche punkto Tempo von Anfang an mithalten konnte, war die Standfestigkeit der Technik noch ein Problem. Doch es wurde im Verlauf der Saison besser, und Jani und seine Teamkollegen auf dem Porsche 919 Hybrid mit der Startnummer 14, Marc Lieb aus Stuttgart und Romain Dumas aus Frankreich, gewannen schliesslich das letzte Rennen der Saison 2014 in São Paulo. Jani hatte dabei mit herausragenden Rundenzeiten geglänzt.

Stars in Le Mans

2015 trifft Jani auf weitere Top-Schweizer: im Toyota TS40 auf den Ex-Formel-1-Piloten Sébastien Buemi, der als stärkster Fahrer bei den «Toyoten» gilt (so spöttelt die Konkurrenz inoffiziell). Bei Audi fährt der Schwyzer Marcel Fässler, der drei Le-Mans-Siege auf dem Konto hat. Beim 24-Stunden-Rennen wird für Porsche auch Formel-1-Pilot Nico Hülkenberg antreten, Mark Webber, der lange bei Red Bull fuhr, hatte schon 2014 zum Porsche-WEC-Team gewechselt. Die grossen Namen fahren immer öfter Langstrecke.

Jani, ein höflicher und freundlicher, uneitler Mensch, feierte seinen grössten Sieg übrigens im September 2012: Er heiratete seine Freundin Lauren, die er bei einem US-Rennen in Indianapolis kennen gelernt hatte. Fahrerisch gilt er als «komplett unaufgeregt», sagt einer aus seinem Team. Er sei nicht aus der Ruhe zu bringen, sehr überlegt, einer, der das Steuer mit den Fingerspitzen anfasst. Eben - bloss nicht zu viel lenken.

Übrigens ist auch seine jüngere Schwester Reena eine Top-Fahrerin, Vater Mukesh rechnet sie unter die fünf, sechs besten Schweizerinnen. Leider war nicht genügend Geld da, um zwei Kinder zu fördern. Aber «im Kart», sagt Mukesh Jani, «ist sie ihm dicht auf den Fersen».

Einmal, nur ein einziges Mal hat Neel Jani im finnischen Eis zu viel Gas gegeben. Selbst ein Ausnahmetalent wie er verliert mal ein Auto, der Strassen-Porsche mit Spikes verbeisst sich in eine Schneewand. Doch alle Teile sind noch dran, kein Blech wurde kalt verformt. «Man darf nicht zu viel wollen, sonst ist es gleich vorbei», kommentiert Neel Jani. Seine Karriere funktioniert offensichtlich nach derselben Regel: Er musste etwas Geduld an den Tag legen. Aber die beste Zeit kommt noch.

Dirk Ruschmann
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