Vielleicht hat dieser Moment alles entschieden. Es ist Mitte August, Donald Trump hält eine Rede in New York. Thema ist das, was gerade in der Kleinstadt Charlottesville geschah: Dort marschierten Rechtsextreme auf, es gab Verletzte, eine Frau starb. Gary Cohn, Amerikas oberster Wirtschaftsberater, verfolgt die Ansprache hinter der Bühne. Er fühlt sich unbeobachtet. Als Trump die Gewalt verherrlicht, schüttelt Cohn den Kopf, ganz leicht nur, aber sichtbar. Eine Handykamera fängt den Moment ein.

Das also könnte die Sekunde gewesen sein, die Cohn das Amt kostete, für das Amerikas Präsident ihn vorgesehen hatte: Der ehemalige Goldman-Sachs-Manager sollte der neue Chef der amerikanischen Notenbank werden, wenn im Januar die Amtstzeit Janet Yellens endet. Aber Cohns Geste verärgerte Trump so sehr, dass er sich auf die Suche nach einem neuen Kandidaten machte.

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Ex-Investmentbanker als Favorit

Fünf Namen kursieren seither, darunter Cohn, aber das wohl nur, damit dieser nicht öffentlich blossgestellt wird. Trump hat inzwischen mit allen Bewerbern gesprochen – und offenbar nun einen Favoriten: Er neige zur Ernennung des Juristen und früheren Investmentbankers Jerome Powell, schreibt die Zeitung «Politico» unter Berufung auf drei Regierungsinsider, die namentlich nicht genannt werden.

Trump hatte zuvor erklärt, er werde seine Entscheidung «sehr bald» bekannt geben. Es gilt als wahrscheinlich, dass er sich äussert, ehe er am 3. November zu einer Asien-Reise aufbricht.

Mit Powell, 64 Jahre alt, von Freunden «Jay» genannt, würde ein Mann an die Spitze der Fed rücken, der bereits seit Langem in deren Führungsetage sitzt. Er wird wohl die Linie Yellens weiterverfolgen. «Als Chef dürfte er die Politik der schrittweisen Normalisierung der Geldpolitik fortsetzen», sagen Volkswirte der Grossbank UniCredit. Yellen hat die Zügel nach einer jahrelange Nullzins-Phase nach und nach gestrafft. Sie hob die Leitzinsen auf das aktuelle Niveau von 1,0 bis 1,25 Prozent und will sie, dauert der wirtschaftliche Aufschwung in den USA an, bis zum Jahresende weiter erhöhen.

Der Kompromisskandidat

Trump warf Yellen in der Vergangenheit oft vor, nicht unabhängig gewesen zu sein. Sie habe, sagte der Republikaner, die Zinsen auf Anweisung seines demokratischen Vorgängers Barack Obama tief gehalten, um die Wirtschaft zu stützen. Yellen dürfte nach der scharfen Kritik im Januar abtreten.

Powell ist wohl ein Kompromiss. Er hat in dem Führungsgremium der Fed als einziger ein republikanisches Parteibuch. Zudem ist Powell offen für eine Lockerung der Dodd-Frank-Gesetze, die Trump und viele andere in der Partei fordern. Diese Regeln waren die zentrale Lehre aus der Finanzkrise, in der Banken mit Steuermilliarden vor dem Aus bewahrt wurden. Trump hält sie jedoch für überzogen, sagt, sie bremsen die amerikanische Wirtschaft.

Rivale mit grossem Nachteil

Zugleich dürfte Powell auch bei den Demokraten Anklang finden. Die hatten Yellens Politik mitgetragen und würden sich über einen Kandidaten freuen, der sie fortführen will. Trump hätte also kaum Probleme, den Senat davon zu überzeugen, Powell abzusegnen. Für ihn spricht ausserdem seine Erfahrung als Direktor: Der Mann aus Washington sitzt bereits seit 2012 in der Fed-Chefetage.

Powell hat aber noch einen mächtigen Rivalen. Auch Kevin Warsh, 47 Jahre alt, Ex-Morgan-Stanley-Manager, kann sich Hoffnungen auf die Leitung der mächtigsten Notenbank der Welt machen. Er besitzt ebenfalls Erfahrungen als Fed-Direktor, zog sich 2011 aber aus dem Zirkel zurück. Er war ein Gegner der Geldschwemme, mit der die Notenbank die Folgen der globalen Finanzkrise bekämpfte. Warshs Vorliebe für eine eher straffe Geldpolitik dürfte bei Trump jedoch nicht gut ankommen, da der Präsident ein Anhänger niedriger Zinsen ist.

Kaum Chance für Amtsinhaberin Yellen

Die anderen drei Kandidaten dürften geringere Chancen auf den Job haben. Cohn ist seit den Ereignissen von Charlottesville so gut wie aus dem Rennen, Yellen zumindest geschwächt, nachdem Trump sie als Erfüllungsgehilfin Obamas bezeichnet hatte. Später schlug er zwar weniger harsche Töne an und schloss eine Verlängerung ihres Vertrags nicht mehr aus. Experten rechnen aber nicht damit, dass es dazu kommt.

Der letzte Name auf Trumps Liste ist John Taylor, ein Stanford-Ökonom. Er geniesst in der Fachwelt einen exzellenten Ruf, es gibt sogar eine Regel, die seinen Namen trägt. Der Taylor Rule zufolge soll sich die Geldpolitik an der Arbeitslosen- und Inflationsrate orientieren. Sie basiert auf der Idee, dass eine Teuerung vor allem von den Löhnen ausgeht, wenn die Arbeitslosenrate zu niedrig ist und es zu einem preistreibenden Engpass kommt.

Gemessen an der Regel, müsste der Leitzins bei 3,75 Prozent liegen, also 2,5 Prozentpunkte über dem aktuellen Niveau. Taylor würde also höchstwahrscheinlich die Zinsen deutlich schneller und stärker anheben. Nicht unbedingt etwas, das Trump gutheissen würde. Zudem zweifelt praktisch die gesamte Führungsriege der Fed an einem Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation – und lehnt die Taylor Rule ab.

Dieser Artikel erschien zuerst bei «Die Welt» unter dem Titel «Dieser Mann könnte der mächtigste Banker der Welt werden».