«Ich hasse dich, ich hasse dich so sehr, du Arsch mit Ohren!» Das bekam Michael Fischer während eines Meetings bei Lidl Schweiz von einem Verkaufsleiter ins Gesicht geschleudert. Als der Discounter 2009 hier startete, brachten die Manager auch den ruppigen Umgang der Branche mit über die Grenze.

In seinem Buch «Fressen oder gefressen werden» beschreibt Michael Fischer, der zuvor bei Penny und Norma gearbeitet hatte, die Zustände in der Geschäftsleitung von Lidl Schweiz bis Ende 2011. Es handelt von sexuellen Übergriffen, Schlägereien an Weihnachtsfeiern und Diebstählen im Warenlager.

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Ausnahmezustand in der Teppichetage

«All das war ein Albtraum, der nicht endete, da sich immer tiefere Abgründe auftaten», schreibt Fischer, verantwortlich für das Lager in Weinfelden TG mit 250 Angestellten. «80 bis 100 Stunden Wochenarbeitszeit, permanente lautstarke Auseinandersetzungen mit den Kollegen und ein entrückter Vorgesetzter zeigten mir (...), dass ich einen grossen Fehler gemacht hatte, diese Position anzunehmen.»

Während die Angestellten in den Filialen des Discounters den Schutz des Gesamtarbeitsvertrags (GAV) genossen, herrschte in der Teppichetage Ausnahmezustand. Fortlaufend seien Leute ausgewechselt worden und habe man den Verbliebenen mit Kündigung gedroht. Unter dem Geschäftsführer habe ein Terrorregime geherrscht. «Ein grosser Firmenwagen und ein sehr gutes Gehalt haben ihren Preis», schreibt Fischer. Er sei im «Höllenfeuer des Discounts» angekommen.

Nach einer dreitägigen Inventur im Lager registrierte er einen Fehlbetrag von über einer Million Franken. Es stellte sich heraus, dass palettenweise Wein oder Fernseher gestohlen worden waren. Unter den Verdächtigen war ein Mitglied der Hells Angels, das Fischer und seine Familie bedrohte: «Wissen Sie überhaupt, welcher Vereinigung ich angehöre und wozu wir fähig sind?»

Anpassungen bei Lidl

Diese Sachverhalte träfen auf 
Lidl Schweiz nicht zu, schreibt der Discounter auf Anfrage. Trotzdem gab es inzwischen Anpassungen: «Lidl hat in den letzten Jahren systematisch und konsequent an der ständigen Weiterentwicklung der Arbeits- und Führungskultur im Unternehmen gearbeitet.» Unter anderem erfassen seit zwei Jahren auch Kadermitarbeiter ihre Arbeitszeit. In der Geschäftsleitung gab es mehrere Wechsel. 2014 übernahm Georg Kröll das Schweiz-Geschäft. Seither ist es bei Lidl ruhiger.

Fischer zog nach einem Zusammenbruch die Reissleine und kündigte. Er litt zuletzt unter einer schweren Alkohol- und Tablettensucht. Das Buch ist Teil seiner Therapie. Heute ist er bei einem Lebensmittelhersteller in der Ostschweiz angestellt.

Unter dem Pseudonym Casimir Brown erzählt Michael Fischer (49) seine Geschichte als Discount-Manager. Von 2010 bis 2011 war er am Aufbau von Lidl Schweiz beteiligt. Das Buch erscheint am 1. März.

 

 

 

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