Kinder, Kirche, Küche. Oder schönes Beiwerk hochrangiger Männer. Das haben die Frauen in Italien satt. Eine neue Riege junger Politikerinnen hat es an Schaltstellen der Macht geschafft - begleitet von Machosprüchen.

Maria Elena Boschi hat besonders zu kämpfen. Sie werde wohl eher wegen ihrer Formen als wegen ihrer Reformen in Erinnerung bleiben, giftete ein Parlamentarier vor ein paar Monaten über die Ministerin für Verfassungsreformen in Italiens Kabinett.

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Sexismus im Jahr 2016

In diesen Tagen erschien in der Zeitung «Il Fatto Quotidiano» eine Karikatur mit der zweideutigen Zeile «Riforme - Lo stato delle cos(c)e» - zu deutsch: Reformen - der Stand der Dinge, oder aber: der Zustand der Schenkel. Politikerinnen protestierten. «Männer, es reicht mit dem Sexismus. Wir haben das Jahr 2016», schrieb Parlamentspräsidentin Laura Boldrini (55) auf Twitter.

Junge Frauen in Italien greifen nach der Macht. Die Rolle einer gemütlichen Mamma am Herd oder einer schmückenden Geliebten an der Seite eines älteren Mannes schmeckt ihnen nicht mehr. Einfach haben sie es quer durch die Parteien nicht.

Macho-Sprüche statt Anerkennung

Die 35 Jahre alte Boschi von der sozialdemokratischen PD hat eine heiss umkämpfte Verfassungsreform entworfen. Wenn diese bei dem geplanten Referendum im November eine Mehrheit bekommt, wird der Senat entmachtet. Der Entwurf aus Boschis Feder würde das politische System in Italien so stark ändern wie kaum eine andere Reform seit 60 Jahren. Statt Anerkennung gibt es aber weiter vielfach Macho-Sprüche.

Diverse Zeitungen veröffentlichten schon früher Bikinifotos von Boschi. «Sexy im Bikini» oder «Was für ein lobenswertes Dekollete» titelte etwa der Sender TGcom24 aus dem Imperium des ehemaligen Regierungschefs Silvio Berlusconi. Der Erfinder der schlüpfrigen Bunga-Bunga-Partys selbst soll zu Boschi gesagt haben: «Sie sind zu schön, um Kommunistin zu sein.»

Sie habe ihm geantwortet: «Berlusconi, der Kommunismus existiert nicht mehr», sagte Boschi der «Zeit». Und warnte mit Blick auf andere Frauen: «Wenn die Botschaft ist: Selbst wenn ihr arbeitet, studiert, euch einsetzt - am Ende ist nur euer Aussehen entscheidend, dann werden diese Frauen entmutigt.»

Mit Gummipuppe gleichgesetzt

Gerade sah sich auch die der linken SEL zugehörige Parlamentspräsidentin Boldrini wieder Attacken ausgesetzt. Ende Juli hievte der Chef der rechten Lega Nord, Matteo Salvini, bei einer Veranstaltung eine Gummipuppe hoch mit den Worten: «Es ist eine Doppelgängerin Boldrinis hier auf der Bühne.»

Virginia Raggi, die neu gewählte Bürgermeisterin von Rom, nennen manche «ragazza», «Mädchen». Dass die politisch unerfahrene 38-Jährige vom Movimento 5 Stelle (M5S) es nach nicht einmal 100 Tagen im Amt nicht geschafft hat, die Stadt nach jahrzehntelanger Misswirtschaft von Korruption und Dreck zu befreien, überrascht freilich nicht.

Raggis Konkurrentin Giorgia Meloni (39) war für die rechte Partei Fratelli d'Italia hochschwanger in den Wahlkampf gezogen - und bekam zu hören: Sie solle mit Kind lieber zuhause bleiben. Es sei ihr doch nicht zuzumuten, sich «um Schlaglöcher und Müll zu kümmern, während sie ihr Kind stillt», sagte ihr damaliger Rivale Guido Bertolaso. Deutschen Politikerinnen, die wie Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) oder Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) Mutter wurden, blieben solche öffentlichen Sticheleien erspart.

Viele Neuerungen durch Frauen

Zur Riege der neuen Frauen in Italien zählt auch die 35 Jahre alte Ministerin für Verwaltungsreformen, Marianna Madia (PD). Sie entschlackte die überbordende Bürokratie, vereinfachte die Genehmigung von Baumassnahmen und ermöglichte eine schnelle Entlassung fauler Beamter. Auch sie hat rasch Neuerungen vorangebracht, mit denen Italien lange nicht weitergekommen war.

Im früheren Altherren-Politikbetrieb Italiens wären Karrieren wie die von Boschi, Madia, Raggi oder auch Chiara Appendino, der 31 Jahre alten neuen Bürgermeisterin von Turin, kaum möglich gewesen.

Ministerpräsent Matteo Renzi hatte vor zweieinhalb Jahren sein neues 16-köpfiges Kabinett genau zur Hälfte mit Männern und Frauen besetzt. Allerdings, die Reihe der Frauen lichtet sich: Jetzt sind noch fünf Ministerinnen im Amt.

Frauen beleidigen Frauen

Politik, Sex, Kleinkrieg unter der Gürtellinie - manchmal sogar unter Frauen. Alessandra Mussolini (53), Enkelin des Faschistendiktators und Forza Italia-Politikerin, stichelte im vergangenen Jahr, ihre Parteikollegin Nunzia De Girolamo sei nicht wegen ihrer politischen Kompetenz ins römische Parlament gekommen. Innenminister Angelino Alfano rief schliesslich via Twitter zur Ordnung: «Wenn eine Frau eine andere beleidigt, beleidigt sie sich selbst.»

(sda/ccr)

Was Schweizer Politikerinnen der neuen Bürgermeisterin von Rom, Virginia Raggi, raten, sehen Sie hier: