Philipp Stähelin ist der Grösste im Ständerat. Gemessen am Aktienkapital, das der Thurgauer Christdemokrat vertritt. 725 Millionen Franken sind es – eine stattliche Summe (siehe Tabellen im Anhang).

Der 65-jährige Stähelin führt die Liste der Parlamentarier an, die im Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft sitzen. Diese liest sich wie das Who’s who der Classe politique.

Auf Stähelin folgt der Tessiner Freisinnige Dick Marty, der mit seinem Engagement bei der Migros Bank 700 Millionen Franken repräsentiert. Auf Platz drei findet sich der Solothurner FDP-Ständerat Rolf Büttiker, der sich neben seinem Engagement beim AKW Leibstadt (450 Millionen) neun weitere Mandate gesichert hat. An vierter Stelle hat sich mit einem Aktienkapital von 370,2 Millionen Franken der Ständerat Pankraz Freitag (FDP/GL) positioniert, während Ständerat Felix Gutzwiller (FDP/ZH) die Nummer fünf ist. Der Präventivmediziner vertritt ein diversifiziertes Netzwerk von Mandaten wie die Beteiligungsgesellschaft Medi-Clinic Switzerland oder die Pharmafirma Siegfried.

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IM SCHNITT ZEHN MANDATE. Parlamentarier, so sieht es jedenfalls aus, vertreten vielerlei Interessen. Der Einsitz im Verwaltungsrat eines Unternehmens ist nur eine der Varianten, aber eine häufig gewählte. Rund 50 Prozent der Nationalräte und zwei Drittel der Ständeräte haben mindestens ein Verwaltungsratsmandat. Insgesamt nehmen die 246 Schweizer Parlamentarier Einsitz in 1783 Gremien, wie das neuste «Register der Interessenbindungen» der Parlamentsdienste zeigt. Vom Arbeitgeberverband bis zu Travail.Suisse, vom Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) bis zum Schweizer Alpen-Club sind praktisch alle Verbände vertreten. Die Nationalräte sitzen im Schnitt in knapp sieben, die Ständeräte in zehn Gremien.

Geht es um die kommerziellen Interessen, zieht es die Ständeräte offensichtlich zu den Stromgiganten, darunter der Ostschweizer Strommonopolist Axpo, Grande Dixence und die Kraftwerke Hinterrhein. Insgesamt vertreten die zehn bestdotierten Mandatsträger im Stöckli 3,5 Milliarden Franken Aktienkapital, wie eine Auswertung von Dun & Bradstreet belegt. Während im Nationalrat nur neun Mitglieder auf ein Kapital von über 100 Millionen kommen, sind es im Ständerat deren elf. Die Nummer elf, CVP-Fraktionschef Urs Schwaller, vertritt immerhin noch ein Aktienkapital von 101,5 Millionen Franken, darunter Liebherr Machines in Bulle.

An die Spitze der Verwaltungsrats-Korona im Nationalrat hat sich wie im Ständerat ein Christdemokrat gesetzt. Der 54-jährige Markus Zemp, Ingenieur-Agronom aus dem Aargau, vertritt 450 Millionen Franken Aktienkapital. Auf Zemp folgt FDP-Präsident Fulvio Pelli. Mit seinen Mandaten kommt er auf 387,7 Millionen Franken. Hinter dem rührigen Tessiner platziert sich wiederum ein Parteigänger der CVP. Der Solothurner Pirmin Bischof bringt es kapitalmässig auf 377,1 Millionen Franken. Die Verwaltungsratsmandate der nationalrätlichen Spitzentroika zeichnen sich dadurch aus, dass sie von Schwergewichten geprägt sind. Zemps einziges Mandat ist das AKW Leibstadt, Pellis Engagement bei der Mobiliar ist 373 Millionen Franken schwer. Bischof kommt allein beim AKW Gösgen auf 350 Millionen Franken.

UNTER STROM. Wie im Ständerat dominiert auch im Nationalrat die Stromwirtschaft. Die Westschweizer EOS Holding führt gleich zwei Waadtländer Nationalräte im Solde, Olivier Français (FDP) und den Lausanner Stadtpräsidenten Daniel Brélaz (Grüne). Insgesamt vertreten die Top 10 im Nationalrat 2,8 Milliarden Franken, wobei die Nummer 10 der Liste, Arthur Loepfe, lediglich 87,3 Millionen in die Waagschale legen kann. Dafür hat der CVP-Politiker aus Innerrhoden wie kaum ein anderer seine Mandate breit diversifiziert – er sitzt in 16 Verwaltungsräten.

Auf mehr Verwaltungsratssitze bringt es nur der Vollblutpolitiker Rolf Schweiger. Seine 17 VR-Mandate summieren sich auf 84,7 Millionen Franken. Damit reicht es ihm im Ständerat nicht einmal unter die ersten zehn. Dennoch gilt Schweiger als einer der einflussreichsten Politiker in Bundesbern. Er ist schon lange im Politgeschäft und entsprechend gut vernetzt. «Ein Politiker mit mehreren kleineren VR-Sitzen hat unter Umständen mehr Einfluss als einer mit einem grossen Mandat», sagt Ueli Leuenberger, der Präsident der Grünen.

Dass die Ständeräte zumindest in den vorderen Rängen über mehr Kapitalkraft verfügen als die Nationalräte, lässt sich einfacherklären. «Ständeräte», sagt Leuenberger, «haben politisch eindeutig mehr Gewicht als die Nationalräte. Die 46 im Stöckli haben gleich viel Einfluss auf die Bundespolitik wie die 200 Nationalräte.» Zudem seien sie im Allgemeinen sehr gut vernetzt – mit vielfältigen Beziehungen nicht zuletzt in den Kantonen.

UNTERVERTRETENE FRAUEN. Weniger gut vernetzt sind indessen die Frauen. Sowohl was die Kapitalkraft angeht als auch bei der Anzahl der Mandate stehen sie gegenüber den Männern hintan. Brigitta Gadient, Fraktionschefin der neu gegründeten BDP, vertritt mit ihrem Mandat bei den Pax Versicherungen gerade mal 60 Millionen Franken. Mit ihrem VR-Sitz beim Wasserverbund Bern folgt die Sozialdemokratin Margret Kiener Nellen auf dem zweiten Rang, dann Lucrezia Meier-Schatz von der St.  Galler CVP, die in den Diensten der Krankenversicherung CSS steht (siehe Tabelle auf Seite 66). Von den zehn Ständerätinnen vertreten nur gerade drei Kapitalsummen, und diese sind erst noch gering. Auch bei einem Vergleich der Mandatszahl schneiden die Frauen schlechter ab. Gadient kommt auf gesamthaft 20 Mandate, während FDP-Nationalrat Kurt Fluri auf 29 und der Zuger Ständerat Rolf Schweiger auf 26 kommen.

Der geringere Einfluss der Frauen in den Unternehmen und Verbänden hat handfeste Gründe. Noch immer sind sie in den Verwaltungsräten weit untervertreten, und das «Old Boys Network», die Seilschaften, fehlt bei ihnen weitgehend. «Frauen haben weniger Netze», sagt Lucrezia Meier-Schatz, «aber wir sind daran, sie uns aufzubauen.»

Für Jacqueline Fehr ist die Untervertretung der Frauen schlicht «ein Abbild der Realität, wie wir sie aus der Wirtschaft kennen». Sie diagnostiziert, dass Freiwilligenarbeit noch immer Frauensache ist – auch bei den Bürgerlichen. Fehr nimmt prinzipiell nur ehrenamtliche Mandate an und legt damit den Finger auf einen wunden Punkt. Die Mandatssammlerei gewisser Parlamentarier, tönt es auch aus der Wandelhalle, habe mittlerweile unzumutbare Ausmasse angenommen. «Man spiegelt Wählerinteressen vor, in der Realität stehen aber die Interessen der Geldgeber dahinter», sagt Jacqueline Fehr.

Der Politologe Hans Hirter von der Universität Bern findet es keineswegs problematisch, dass die Politiker als Interessenvertreter agieren. Dies sei im Übrigen bis hinein ins links-grüne Lager Usus. Nicht nur Ärzte, Krankenkassen, Finanz oder Pharma sind im Parlament gut repräsentiert – auch die Umweltlobby ist nicht zu unterschätzen. Allein für den VCS weibeln sieben Parlamentarier. Die Greina-Stiftung zur Erhaltung der alpinen Fliessgewässer zählt acht Parlamentarier in ihren Reihen, erhält gar Support bis weit ins bürgerliche Lager hinein. Mit 15 Repräsentanten besonders prominent vertreten sind die Gewerkschaften: Mario Fehr (SP/ZH) ist Präsident des Kaufmännischen Verbands, der St.  Galler Paul Rechsteiner steht an der Spitze des Gewerkschaftsbundes, und die Grossgewerkschaft Unia ist mit Jean-Claude Rennwald und André Daguet gleich im Duopack in den Räten vertreten.

«Hauptsache ist», so Hirter, «dass diese Vertretung transparent gemacht wird, und zwar gegenüber einer breiten Öffentlichkeit.» Dies sei im Übrigen ausser in den USA fast nur noch in der Schweiz der Fall, während beispielsweise in England oder Frankreich vieles hintenherum laufe.

Oskar Freysinger mag Hans Hirters Postulat nicht viel abgewinnen. Der SVP-Nationalrat aus dem Wallis nimmt prinzipiell keine Mandate an. «Ich bin Volksvertreter», sagt er. Er kritisiert, dass zu viele Lobbyisten die beiden Räte bevölkerten. In der Gesundheitskommission des Ständerats beispielsweise seien 7 von 15 Mitgliedern Krankenkassenvertreter. Oskar Freysinger will jetzt, dass auch die Nebenbezüge der Parlamentarier offengelegt werden müssen. Im Nationalrat ist er damit vor Jahresfrist durchgekommen, im Ständerat jedoch abgeblitzt. Doch er kämpft weiter: «Ich gebe nicht auf.»