Sie leben seit März in der Schweiz. Wie kam es dazu?
Wolfgang Beltracchi (WB): Wegen der Wahlergebnisse in Frankreich. Wir lebten 25 Jahre lang in einem Dorf nahe Montpellier. Früher wählten dort zwei Prozent den Front National. Nachdem wir in Deutschland unsere Strafe abgesessen hatten, gingen wir wieder zurück. Doch inzwischen ist der Wähleranteil auf 40 Prozent gestiegen. Für mich ist die Schweiz noch die einzige Demokratie in Europa. Ihr dürft noch mitbestimmen hier.
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Und wieso nicht zurück in die Heimat nach Deutschland?
WB: Gehts noch! Ich wollte nie in Deutschland leben. Nach dem offenen Vollzug dort haben wir uns gefragt, wer uns überhaupt noch aufnimmt. Ich bin ja praktisch ein Schwerverbrecher (lacht).
Helene Beltracchi (HB): Wir hatten immer gute Beziehungen zur Schweiz. Die allererste Ausstellung war in Bern. Eigentlich hat für uns mit der Schweiz die Freiheit wieder angefangen.
 
Gab es noch andere Gründe?
WB: Ja, klar. 60 Prozent meiner Sammler leben hier.
HB: Da sind einige sehr berühmte Sammlerfamilien dabei.
 
Namen?
WB: Nein, das machen wir nicht. Wir sind ja auch in der Schweiz, weil hier viel passiert. Unter anderem wurden hier Episoden der 3sat-Serie produziert, in der ich Prominente porträtiere.
 
Sie leben jetzt in Meggen am Vierwaldstättersee. Warum denn ausgerechnet hier?
WB: Das ist Zufall. Ich brauchte ein Atelier mit einer Raumhöhe von mindestens vier Metern. Das findet man hier nicht überall. Im Saal sind wir für die nächsten fünf Jahre eingemietet mit Option auf weitere fünf. Emil Steinberger, den wir gut kennen und den ich mal zusammen mit seiner Frau porträtierte, hatte hier einen seiner ersten Auftritte überhaupt.
HB: Wir wohnen gleich um die Ecke. Es war gar nicht so einfach, hier eine Wohnung zu finden. Wir waren vorher monatelang in einem Bed and Breakfast.
WB: Wir fühlen uns total wohl, es ist schön ruhig, und man hat nicht so weit zum Flughafen. Ich kann sehr gut arbeiten in Meggen. Auch wenn mich inzwischen jeder im Dorf kennt. Wenn ich zum Bäcker gehe, will immer irgendwer ein Autogramm. Grossartig!
Wolfgang Beltracchi

Perfekte Grösse: Das Atelier befindet sich in einem ehemaligen Tanzsaal. Die neue Wohnung der Beltracchis ist in Gehdistanz.

Quelle: Vera Hartmann
Haben Sie Ihr Haus in Montpellier verkauft?
WB: Das ging in die Konkursmasse. Nach dem Prozess konnten wir Insolvenz anmelden. Es gab nur acht oder neun Gläubiger, weil wir nie direkt an Sammler verkauften, sondern an die internationalen Häuser, also nur an Experten und Spezialisten. Die haben wir bezahlt. Von unseren Film- und Buchrechten erhalten sie noch bis Januar 2018 Anteile. An denkünftigen Einnahmen aus der Kunst waren sie nicht so interessiert. Sie nahmen damals an, ein Ex-Fälscher werde ohnehin nie mehr Geld mit Kunst verdienen. Sie wollten lediglich 50 Prozent der Einnahmen bis 2015.
 
Wie viel haben die Gläubiger verloren?
WB: Gefordert wurden 20 Millionen. Das betrifft aber nur die nachgewiesenen Bilder. Das meiste konnten wir zurückzahlen, auch durch den Verkauf meiner Häuser. Eines hat alleine vier Millionen gebracht. Ich schätze, dass etwa zehn Millionen zusammenkamen. Ein Gläubigeranwalt sagte neulich, wir hätten einen riesigen wirtschaftlichen Schaden angerichtet. Da muss ich aber widersprechen. Ein Beispiel: 1985 verkauften wir in New York für 25'000 Dollar einen Campendonk. 2009 sahen wir das Bild an der Art Basel wieder, wo es für 2,2 Millionen angeboten wurde. Am Ende verdienten einige Leute sehr viel Geld.
 
Sie haben 300 Bilder gemalt. Es sind aber nur 70 bekannt. Warum decken Sie den Rest nicht auf?
WB: Die meisten Besitzer wissen es wahrscheinlich, behalten es aber für sich. Viele sind glücklich mit den Werken und wollen ihr Bild einfach nicht outen.
40 Jahre Fälschung
Während vier Jahrzehnten malte Wolfgang Beltracchi (66) nach eigenen Angaben über 300 Bilder im Stil grosser Meister. Er kopierte die Signatur von 100 Künstlern, darunter Pablo Picasso, Georges Braque, André Derain, Max Ernst und Heinrich Campendonk. Seine Frau Helene (59) verkaufte die Werke an Galeristen und Auktionshäuser. Dazu tischte sie diefiktive Geschichte ihres Grossvaters Werner Jägers auf, der Kunstsammler gewesen sein soll. Beltracchi malte Werke, die es nicht gab, aber sehr gut hätte geben können.
 
Keiner hinterfragte die Lüge. «Alle, die diese Geschichte hörten, wollten sie glauben», erklärt ein Kunstexperte im Dokumentarfilm «Die Kunst der Fälschung» den Mechanismus. «Sie waren gebannt von der Geschichte vom Grossvater Jägers.» Die Käufer zahlten sechsstellige Beträge. Das teuerste Bild kostete 1,8 Millionen Euro. Später wurden die Werke an Auktionen für deutlich höhere Beträge versteigert. Beltracchi wurde zwar reich, doch viele Zwischenhändler verdienten an seinen Bildern noch viel mehr.
 
2010 flog der Betrug auf. Bei einem Campendonk verwendete er ein Titanweiss, das es 1914 noch gar nicht gegeben hatte. Nach 14-monatiger U-Haft sass er eine sechs- und Helene Beltracchi eine vierjährige Strafe im offenen Vollzug ab. Jetzt will er sich als seriöser Künstler beweisen. Für die Wanderausstellung «Kairos» nächstes Jahr malt er 23 Bilder mit derHandschrift grosser Künstler aus 2000 Jahren europäischer Kunstgeschichte. Für die Deko der nächsten Ausgabe von Art on Ice zeichnet er Figuren aus bekannten Bildern nach.
Wolfgang Beltracchi

Wolfgang Beltracchi und seine Frau Helene.

Quelle: Vera Hartmann
Warum machen Sie die restlichen Bilder nicht publik?
WB: Warum sollte ich?
HB: Wir können doch nicht irgendwas erzählen, und dann verklagen sie uns, weil wir was vermeintlich Falsches behaupten.
WB: Wenn jemand mit einem meiner Bilder zu mir kommt und fragt, ob es von mir sei, gebe ich eine ehrliche Antwort.
 
Wie viele Beltracchi-Bilder hängen Ihrer Meinung nach noch an Schweizer Wänden?
WB: Nicht viele. Ein Grossteil wurde in die USA und nach Japan verkauft. Die Japaner haben eine Menge, da bin ich mirsicher.
 
Sie haben schon Werke von sich in Schweizer Museen entdeckt.
WB: Dazu äussere ich mich eigentlich nicht. Aber in der Lausanner Fondation de l’Hermitage sah ich mal eins. Die Ausstellung hiess «Hundert Meisterwerke der Moderne». Ich habe es dann geoutet. Es war ein Derain.
Wolfgang Beltracchi

In seinem neuen Atelier am Vierwaldstättersee malt Wolfgang Beltracchi gerade an einem «neuen William Turner».

Quelle: Vera Hartmann
Wissen Sie, wo das Bild jetzt ist?
WB: Nein. Mich hat nie interessiert, wo die hingehen. Meine Sache ist das Malen. Ich suchte nie die Nähe zu meinen Bildern.
 
Nach welchen Kriterien haben Sie die Werke ausgesucht?
WB: Eine lange Geschichte. Ich entdeckte irgendwann, dass ich jede Handschrift machen kann. Ich kann den Maler assimilieren und ein neues Bild von ihm machen. Ich machte ganze Werkgruppen von Malern. Ich kopierte ja nicht, sondern malte neue Bilder. Als Gag malte ich fürs französische Fernsehen mit rechts einen Cézanne und gleichzeitig mit links einen Duffett.
 
Aber es gibt noch einige Künstler, die Sie nicht angetastet haben.
WB: Es ist die Kunst, die mich interessiert. Ich malte etwas über hundert Künstler. Viele waren gar nicht so berühmt. Zweite Liga, sozusagen. Campendonk war anfangs auch nicht so teuer. Ich habe mit dafür gesorgt, dass er so teuer wurde. Diebesten Campendonks sind alle von mir.
Wolfgang Beltracchi

Während vier Jahrzehnten malte Wolfgang Beltracchi nach eigenen Angaben über 300 Bilder im Stil grosser Meister.

Quelle: Vera Hartmann
Wir nehmen einmal an, Sie wählten die Maler bald nach potenziellem Wert aus, als Sie irgendwann Bilder für über eine Million verkaufen konnten.
WB: Natürlich haben wir ab und zu gesagt, wir bräuchten mal wieder eine Million, also mach ich mal wieder ein Bild (lacht). Im Ernst: Ich wählte am Anfang Maler aus, die mir gefielen. Es war nicht so eine Frage des Geldes. Die Kunst ist einfach mit den Jahren teurer geworden. Das hat mich manchmal sogar überholt. Einzelne Bilder wurden kurz nach dem Verkauf auf Auktionen für das Zehnfache versteigert.
 
Wie konnte das so lange funktionieren? Sind Sie so gut oder die Experten so schlecht?
WB: Der Experte ist immer so schlecht, wie der Fälscher besser ist. Verstehen Sie? Ich bin einfach der Beste. Ich sage immer: Ich habe einen genetischen Defekt. Denn ich kann jeden malen. Und zwar so gut, dass kein Experte und kein Sammler etwas merkt.
HB: Ein Kunsthistoriker machte nach mehreren Treffen mit Wolfgang eine Analyse über ihn. Sein Fazit: ein unfassbares Talent, kombiniert mit absoluter Angstfreiheit und krimineller Energie.
 
Wie haben Sie die Technik jeden Malers genau adaptiert?
WB: Malerei besteht aus Bewegung und Zeit. Jeder, der mit dem Pinsel einen Strich auf eine Leinwand malt, macht das anders. Das ist der Duktus, die Handschrift des Malers. Wenn ich ein Bild anschaue, sehe ich die Bewegung. Ich kann sie einfach absorbieren und wiedergeben.
 
Sie müssen nicht üben?
WB: Nie.
HB: Die Vorbereitung dauert lange. Aber das ist eine intellektuelle Vorbereitung. Eine Recherche. Ideen für Bilder entstanden in alltäglichen Situationen. Er wollte ein Motiv malen und machte das einfach in einer bestimmten Handschrift. Manchmal dauerte eine solche Vorbereitung ein halbes Jahr.
Wolfgang Beltracchi

Beltracchi: «Ich kopiere keine Bilder. Ich kann jeden Maler assimilieren und dann ein neues Bild von ihm machen.»

Quelle: Vera Hartmann
Was kosten Ihre Bilder heute?
WB: So zwischen 50'000 und 150'000 Euro.
 
Millionenbeträge gibts also nicht mehr.
WB: Na gut, ich verkaufe dann schon ein paar. Ich male noch etwa 20 Stück im Jahr, und die meisten finden einen Käufer. Eine grössere Zeichnung von mir kostet heute schon 20'000 Euro.
 
Ihre Kunden wollen wohl immer noch, dass Sie die grossen Meister nachmalen.
WB: Die Kunden wollen Bilder haben, die ihnen gefallen. Ich mache Ausstellungen, bei denen die Leute glauben, da hingen zehn verschiedene Maler. Ich arbeite an Themen. Das letzte Thema war «Ballets Russes 1909–1929». Für das letzte Album von Enigma habe ich zu jedem Song ein Aquarell gemacht. Pro Jahr mache ich vier Porträts. Wir nennen das unsere Grundsicherung. Damit verdiene ich so viel Geld, dass ich alle meine Kosten gedeckt habe, inklusive des Studiums unserer beiden Kinder.
 
Was kostet ein Porträt?
WB: 50'000 Euro. Die meisten müssen aber ein Jahr warten, bis sie dran sind.
Wolfgang Beltracchi

Beltracchi: «Ich male heute vier Porträts pro Jahr. Damit decke ich alle meine Kosten.»

Quelle: Vera Hartmann
Noch mehr verdienen Sie wahrscheinlich mit Fernsehprojekten und den Rechten an Ihrer Geschichte.
WB: Wir arbeiten an einer Serie, die auf drei Jahre angelegt ist. Aus unserem Briefwechsel in der U-Haft entsteht ein Bühnenstück. Netflix will eine mehrteilige Geschichte mit uns machen. Aber vieles lehnen wir ab.
HB: Wir waren in Verhandlungen mit der Produktionsfirma LBI, die viel mit Leonardo Di-Caprio macht. Sie wollten einen Spielfilm drehen im Stil von «Catch Me If You Can». Aber wir lehnten ab, weil sie den Film nach ihren Vorstellungen machen wollten. Unsere Geschichte ist eben noch nicht zu Ende erzählt. Wir wollen noch das ultimative Gesetz brechen, dass ein Fälscher niemals zum Künstler wird. Die Kunstszene akzeptiert das einfach nicht. Wir wollen beweisen, dass es eben doch geht. Und wenn wir es geschafft haben, werden wir die Rechte verkaufen.
 
Das klingt alles nach einer grossen Inszenierung.
WB: Ist es ja auch.
HB: Was glauben Sie, ist das wahre Kunstwerk?
 
Das Leben?
HB: Ganz genau, das eigene Leben. Wir haben nur eine Chance.
WB: Ein Gläubigeranwalt sagte zu mir: Sie sind kein Künstler, Sie sind ein Popstar. Meine Antwort: Selbst wenn ich ein Popstar wäre, würde das nicht ausschliessen, dass ich auch ein Künstler bin.
 
Ist das für Sie eine Form von Rehabilitierung in der letzten Phase des Lebens?
WB: Natürlich. Mir macht das auch Spass. Meine nächste Ausstellung «Kairos» startet im Oktober 2018 in Venedig in der Biblioteca Nazionale Marciana mit direktem Zugang zum Markusplatz. Ein wunderschöner Raum. Das ist der Wahnsinn!
 
Das Interview erschien in der Dezember-Ausgabe 12/2018 der BILANZ.
Dirk Schütz
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