Corona-Impfpass: Die Risiken und Chancen

Ob Hotelier, Event-Veranstalter oder Airlines: Die Aussicht, wenigstens Corona-Geimpfte schon bald wieder normal begrüssen zu dürfen, beflügelt die Branchenvertreter. Zumal die EU noch in diesem Monat einen Gesetzesentwurf für einen «digitalen grünen Pass» als Impfnachweis vorlegen will. In Israel gibt es bereits Vorteile für Geimpfte. Nur: Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein Impfpass – also eine Bescheinigung, gegen Covid-19 geimpft zu sein – die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen kann? Erste und wichtigste Voraussetzung: Geimpfte sind nicht nur selbst gegen eine Infektion geschützt, sie können das Virus auch nicht übertragen. Daten aus Israel und England deuten darauf hin, dass die Impfung die Transmission tatsächlich unterbricht. Man darf also vorsichtig optimistisch sein, dass diese Bedingung erfüllt sein wird. Die Frage ist, wann. Der Zürcher Epidemiologe Milo Puhan geht davon aus, dass es noch «längere Zeit» dauern wird, «bis wir hier gesicherte Erkenntnisse haben». Bis dann bleibt der Impfpass Theorie. Ist eine Ungleichbehandlung zulässig? In einem zweiten Schritt wird zu klären sein, ab wann es gerechtfertigt ist, Geimpfte und Nichtgeimpfte ungleich zu behandeln. Die Nationale Ethikkommission (NEK) meint – ebenso wie die Europäische –, dass eine Ungleichbehandlung erst zulässig ist, wenn alle Risikogruppen geimpft sind, also alle Älteren und alle mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder schweren chronischen Lungenerkrankungen. In der Schweiz sind das rund zwei Millionen Menschen, rund ein Viertel der Bevölkerung. Aktuell werden in der Schweiz pro Tag rund 20’000 Impfungen durchgeführt. Selbst die Durchimpfung der Risikogruppen dürfte noch dauern. Die Ethikkommission begründet ihren Standpunkt unter anderem damit, «dass es sich um eine vermeidbare Ungleichbehandlung handle», wie es Samia Hurst, Ethikerin am Unispital Genf und NEK-Mitglied, formuliert. Es bestehe sehr oft die alternative Möglichkeit, Schutzmassnahmen zu ergreifen. Welche Rolle der Impfpass spielen kann, wird sich auch daran entscheiden, ob sich dieser sehr rigorose Standpunkt durchsetzen wird oder derjenige, wonach eine Ungleichbehandlung auch dann zulässig ist, wenn noch nicht alle die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen. Erübrigt sich der Impfpass? Ebenso wichtig: Braucht es den Impfpass überhaupt noch, wenn alle Risikogruppen geimpft sind? Oder hat es sich erübrigt, weil die Pandemie vorbei sein wird? «Gute Frage», sagt die Genfer Ethikerin. Dass die Pandemie irgendwann überstanden ist, sei nicht sicher. Bei den Massnahmen gehe es ja nicht nur um die Risikogruppen, sondern um den Schutz der ganzen Bevölkerung. Es sei zwar zu erwarten, dass «wir uns dann in einer weniger akuten Phase der Pandemie befinden». Entscheidend sei aber, wie gross der Schaden sei, den das Virus dann noch anrichten könne; etwa wenn sich sehr viele Menschen auf einmal infizieren und es trotzdem zu einer Überlastung der Spitäler kommt und der Zugang zu den Gesundheitsleistungen nicht mehr gewährleistet werden kann, wie das in den bisherigen Infektionswellen teilweise der Fall war. Long Covid und Mutationen Hinzu kommt: Long Covid tritt längst nicht nur bei älteren Patienten und Patienten mit Vorerkrankungen auf, sondern auch bei Jungen und Gesunden. Schliesslich gibt es noch ein Szenario, das die Bedeutung des Impfpasses schmälern könnte: Fluchtmutationen, also genetische Veränderungen, die das Virus macht, um die Immunität zu umgehen. Sie könnten dazu führen, dass die Impfungen nicht mehr wirken, weil das Immunsystem das Virus nicht mehr erkennt. Bis jetzt hat erst der Impfstoff von AstraZeneca Zeichen von Schwäche gezeigt. Nur: Je stärker die Immunität der Bevölkerung, desto grösser der Druck auf das Virus, sich zu verändern. Das Ergebnis wäre ein erneutes Wettrennen der Industrie gegen ein Virus, das ständig mutiert. Die bisherigen Erfahrungen stimmen zuversichtlich, dass sich insbesondere die RNA-Impfstoffe schnell anpassen lassen. Sollte dies allerdings nicht gelingen, so würde der Impfpass obsolet. Wie stehen verschiedene Branchen zum Thema Impfpass? Ein Überblick: ▶︎ Reisen Was reiselustigen Menschen in Europa bald flächendeckend blühen könnte, hat die Hotelgruppe Allsun nun vorweggenommen: «Zukünftig soll nur noch ein Urlaub mit Corona-Impfung in den Allsun-Hotels möglich sein», teilte die Tochter des grossen deutschen Veranstalters Alltours kürzlich mit. Hotel-Zutritt nur für Geimpfte: Begrüssenswerte Sicherheitsmassnahme oder eine Diskriminierung all jener, die sich nicht impfen lassen wollen oder können? Walter Kunz vom Schweizer Reiseverband (SRV) votiert fürs Erstere: «Bei einer allfälligen Impfpflicht sehe ich keine Diskriminierung. Schon heute muss man sich für gewisse Destinationen ja beispielsweise gegen Gelbfieber impfen lassen», sagt der Geschäftsleiter des SRV, dem alle relevanten Schweizer Reiseveranstalter und über 600 Reisebüros angehören. Eine Covid-19-Impfung, sagt Kunz, «wäre also einfach eine weitere Reiseformalität». So setzen auch viele Airlines auf einheitliche Impfpass-Regeln. Denn auch im zweiten Corona-Jahr sind kaum Flieger unterwegs und die Buchungslage für die kommenden Monate ist mau. Anbieter wie Lufthansa-Tochter Swiss verbuchen enorme Verluste und können nur per Staatshilfe überleben. Doch im Flugverkehr sind nur weltweit einheitliche Regeln sinnvoll, aber genau dies scheint unwahrscheinlich. Immerhin kündigte der Luftfahrt-Branchenverband Iata an, Ende März einen Covid-19-Reisepass anzubieten. Das digitale System für Testergebnisse und Impfzertifikate soll helfen, das Fluggeschäft anzukurbeln und Quarantäne der Reisenden zu vermeiden. Mit der Impfung würden die Reisebranche und ihre Kunden jene Sicherheit zurückerhalten, die seit Frühling 2020 komplett abhandengekommen ist. Das alleinige Zaubermittel sieht SRV-Chef Kunz in der Impfung aber nicht. Oder noch nicht: «Solange die Impfung nicht für jedermann erhältlich ist, sehen wir dieses Instrument noch nicht als Covid-19-Gamechanger für die Reisebranche.» ▶︎ Gastronomie Restaurants, Bars oder Clubs könnten Geimpfte bevorzugt behandeln. Rechtlich wäre das möglich, denn anders als im öffentlichen Bereich gilt bei privaten Unternehmen die Vertragsfreiheit. Zumindest solange es keine gesetzliche Regelung gibt, die eine solche Ungleichbehandlung untersagt. Ganz unproblematisch ist dies jedoch nicht: Schliesslich geht es um persönliche Gesundheitsdaten, die ein Privatunternehmen nicht ohne weiteres verlangen darf. Alleine schon deshalb bedarf es eines landesweiten Gesetzes. Für den Branchenverband Gastrosuisse steht fest: «Ein Impfschutz darf nicht Zugangskriterium zu Veranstaltungen oder Lokalen werden.» Würden die Gastwirte entscheiden müssen, wen sie ins Restaurant oder in die Beiz lassen, würden sie in eine Rolle gedrängt, die sie laut dem Verband «unmöglich erfüllen können». Zumal eine Impfung für den Restaurantbesuch gar nicht notwendig sei, da die Schutzkonzepte in der Gastronomie sich bewährt hätten. So hält man etwa beim Zürcher Gastrounternehmen Bindella, das mehr als vierzig Restaurants in der Schweiz betreibt, auch nichts von einer Vorzugsbehandlung für geimpfte Gäste. Die Betreiber von Bars und Clubs warten ebenfalls gespannt auf entsprechende Vorgaben der Politik. «Es darf nicht sein, dass nur für das Nachtleben besondere Zugangsbeschränkungen gelten», warnt Alexander Bücheli von der Schweizer Bar und Club Kommission (SBCK). ▶︎ Veranstaltungen Ähnlich wie beim Restaurantbesuch liegt die Entscheidung bei anderen Freizeitaktivitäten wie dem Zugang zu einer Veranstaltung beim Betreiber. Einige Konzert- und Festivalveranstalter werden wohl auf eine Kombination von Impfungen und Schnelltests setzen. Die Branche wünscht sich aber klare Vorgaben vom Bund – was den Zeitpunkt wie auch die Kriterien für die Wiederaufnahme von Veranstaltungen angeht. Kritisch gegenüber Einschränkungen wie einer Impfpflicht für den Event-Besuch ist der Verband der Schweizer Konzert-, Show- und Festivalveranstalter (SMPA). Entscheidender als Zugangskriterien wie Impfungen oder Schnelltests sei es, Planungssicherheit durch die Politik zu erhalten, vor allem finanzieller Art. Um grössere Events wieder planen zu können, fordern die führenden Veranstaltungs- und Messeverbände der Schweiz einen Schutzschirm für Corona-bedingte Absagen. Ticketcorner, einer der grössten Händler für Veranstaltungstickets des Landes, zeigt sich gelassen gegenüber der Einführung eines Impfausweises. Zumal die Veranstalter über den Zugang zu einem Konzert oder Ähnlichem entscheiden und nicht Ticketcorner. Indes hat das Unternehmen vorgesorgt und technische Lösungen entwickelt, in der Hoffnung, dass Veranstaltungen bald wieder stattfinden können. Bucht man ein Ticket, werden Plätze automatisch gemäss den Distanzregeln zugewiesen. Und sollte es zu Zugangsbeschränkungen kommen, kann per Check-in-App geprüft werden, ob eine Impfung oder ein negatives Testergebnis vorliegt. ▶︎ Verkehr Nur Geimpfte im ÖV? Bis zu einem allfälligen Impfobligatorium für Reisende in Zügen und Bussen ist es ein weiter Weg. Dies lassen Äusserungen der Verantwortlichen des öffentlichen Verkehrs erahnen. Politisch eine wichtige Rolle dürfte die Entwicklung in der EU in dieser Frage spielen. Sollte sie sich zu einem Impfobligatorium als Voraussetzung für einen Kauf oder eine Dienstleistung durchringen, etwa im touristischen Verkehr, dürfte die Schweiz nachziehen. «Es ist alles offen», sagte eine mit dem Dossier vertraute Quelle des Bundes. Klar wäre es bei den Leistungen im ÖV: Es besteht eine Transportpflicht. Das Parlament müsste also ein Impfobligatorium ins Gesetz schreiben. Selbst touristische Bahnen, die sich ausländische Gäste zurückwünschen, zeigen sich skeptisch gegenüber einer Impfvorschrift. «In unseren Augen genügen die bestehenden Schutzmassnahmen im ÖV und im touristischen Verkehr», sagte eine Sprecherin der Jungfraubahnen. Dies habe die Sommer-, Herbst- und Wintersaison gezeigt. Das Haupthindernis für internationale Gäste, etwa aus China und Indien, sei heute, dass Europa und die Schweiz keine Schengen-Visa erteilten. Der Anbieter des Goldenpass, MOB, glaubt, dass sich die Frage des Impfpasses international entscheide. Sollte eine Impfpflicht zur Beförderung als obligatorisch erklärt werden, so dürfte dies «ziemlich kompliziert umzusetzen sein», aber ja, man würde es tun, sagte ein Sprecher.

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