Herr Kubicki, die Freien Demokraten sind zurück, zumindest auf Länderebene. Wie gut stehen die Chancen, dass sie ab nächstem Jahr in Berlin wieder vertreten sind?
Wolfgang Kubicki*: Wir haben in der Tat drei erfolgreiche Landtagswahlen hinter uns, mit dem bitteren Beigeschmack, dass wir den Einzug in den Landtag von Sachsen-Anhalt nur ganz knapp verpasst haben. Die Arbeit der letzten Jahre hat sich ausgezahlt. Wir liegen inzwischen in allen Meinungsumfragen bei 7 bis 8 Prozent. Das kann sich sehen lassen.
Das deutsch-schweizerische Verhältnis hat in den letzten Jahren unter dem Steuerstreit gelitten. Was kann die Schweiz erwarten, wenn die FDP in Deutschland wieder stärker wird und womöglich sogar wieder mitregiert?
Deutschland neigt zur Anmassung gegenüber der Schweiz und anderen kleineren Ländern. Doch auch das sind demokratische Rechtsstaaten. Gelegentlich muss man in Deutschland daran erinnern, dass die deutsche Rechtsordnung keine Weltgeltung beanspruchen kann. Wir können nicht kleinere Länder darauf verpflichten, sich unseren Gedankengängen anzuschliessen, was die Steuergesetzgebung und was rechtsstaatliche Verfahren angeht.
Genau das ist passiert in den letzten Jahren.
Das mag sein, doch wenn Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb besser abschneiden will, dann muss es bei sich selbst anfangen und die Steuern senken, anstatt den Fehler bei den anderen zu suchen. Im internationalen Vergleich ist Deutschland eine Steuerwüste. Ich bin der Meinung, wir sollten mit der Schweiz auf Augenhöhe verkehren.
Heisst das, das ist nicht der Fall?
Ich denke in der Tat, etwas mehr Demut stünde uns Deutschen gut an. Die Schweiz hat eine längere demokratische Tradition als Deutschland.
In Baden-Württemberg hat die SPD, Merkels Koalitionspartner, gerade das schlechteste Wahlresultat ihrer Geschichte eingefahren. Was ist eigentlich so verlockend an einer Regierungsbeteiligung?
Uns ging es zwischen 2009 und 2013 nicht anders an der Seite der CDU. Aber wenn wir die Auseinandersetzung scheuen, dann dürfen wir nicht antreten. Jede parlamentarische Kraft muss das Ziel haben, mitzugestalten. Eine Partei, die nicht regieren will, hat das Vertrauen der Wähler verloren, bevor sie antritt.
Also: «Ran an die Fleischtöpfe», wie es ein deutscher Kollege formulierte?
Die Regierungsbeteiligung ist kein Selbstzweck. Es geht darum, die eigenen Vorstellungen in die Praxis der Politik umzusetzen. Das geht auch, ohne das Vertrauen der Wähler zu verlieren.
Wie?
Man muss sich klar positionieren. Wir haben 2012 in Schleswig-Holstein nach zweieinhalb Jahren Koalition mit der CDU mit einem Wähleranteil von 8,2 Prozent das zweitbeste Ergebnis unserer Geschichte eingefahren. Es geht also, wenn man es richtig macht.
Keine Angst vor Merkel also?
Ich habe keine Sorge vor einer Koalition, und die Überlegung, dass die FDP allein regieren könnte, ist noch etwas abenteuerlich.
Kann die FDP mit der stark nach links gerückten Merkel-CDU eigentlich noch koalieren?
Die letzten Wahlergebnisse waren ja nicht gerade berauschend für die CDU. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass es auch innerhalb der CDU zu einem Nachdenkprozess kommt, wie man sich für die Bundestagswahlen aufstellen will.
Mit den Sozialdemokraten hat die FDP zuletzt in den 1970er-Jahren unter Helmut Schmidt regiert. Eine Alternative?
Es ist noch immer so, dass wir am meisten Übereinstimmungen mit der CDU haben. Schnittmengen gibt es für die FDP aber mit allen demokratischen Parteien, ausser mit der AfD und der Linkspartei.
Welche?
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat kürzlich der Vermögenssteuer eine Absage erteilt und darüber hinaus erklärt, die SPD müsse sich darum kümmern, dass der arbeitenden Bevölkerung mehr Geld in der Tasche bleibt. Das ist doch schon was. Das sind Ansätze, auch über andere Koalitionsmöglichkeiten nachzudenken.
Wird es einen Minister Kubicki geben?
Das ist eher unwahrscheinlich, weil ich mein ganzes politisches Leben darauf ausgerichtet habe, meine Unabhängigkeit zu bewahren und meinen Beruf als Anwalt und Strafverteidiger weiter ausüben zu können. Daraus schöpft man ja auch eine gewisse Kraft im politischen Betrieb. Ich müsste meinen Beruf aufgeben.
Das wollen Sie nicht?
So verlockend ist ein Ministeramt nun auch wieder nicht. Man kann ja auch als Fraktionsvorsitzender einer Regierungspartei im Parlament eine Menge gestalten. Das ist mir in Schleswig-Holstein in den Jahren 2009 bis 2012 gut gelungen.
Warum hat es der Liberalismus in Deutschland so schwer?
Ich glaube nicht, dass das stimmt. Nach der Bundestagswahl von 2013 haben ja alle im Bundestag verbliebenen Parteien erklärt, dass sie nun als legitime Nachfolger der liberalen Kraft tätig werden wollen und sich als Vertreter des liberalen Bürgertums sehen. Wir wissen aus vielen Umfragen und Analysen, dass rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung mit liberalen Ideen sympathisiert und sich vorstellen kann, die Freien Demokraten zu unterstützen. Das ist ein schönes Potenzial.
Das die FDP nicht ausschöpft.
Wir haben in Hamburg das beste Ergebnis seit 40 Jahren und in Bremen das beste Resultat seit 25 Jahren erzielt. Das zeigt, dass die Wähler, die uns 2013 verlassen haben, zu uns zurückfinden. Wir wollen sie nicht aufhalten, auf diesem Weg weiterzugehen. Es gibt keinen Grund, das Potenzial nicht zu heben. Wenn wir schlecht abschneiden, dann liegt das nicht an den Wählern, sondern an der Performance der FDP.
Was sind die Entwicklungen in Deutschland, die sie als Liberalen am meisten beunruhigen?
Dass wir mittlerweile eine Stimmung haben, in der Intoleranz salonfähig ist. Vorurteile bestimmen mehr als alles andere das Geschehen. Dass wir eine Bundesregierung haben, die es unterlässt, für die demokratischen Grundwerte zu kämpfen. Wir lassen zu, dass ein Staatschef wie Erdogan, den ich nicht für einen lupenreinen Demokraten halte, sondern für einen kleinkarierten Despoten, seine Vorstellungen von Kunst-, Meinungs- und Pressefreiheit nach Europa transportiert.
Sie sprechen von Jan Böhmermann.
Es wird darauf ankommen, innere Liberalität nach aussen zu verteidigen, gerade im Zuge der Flüchtlingskrise und angesichts der Terroranschläge. Terror ist mit rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen und nicht indem man versucht, Fakten zu schaffen, die mit den Überzeugungen eines demokratischen Gemeinwesens nicht in Übereinstimmung stehen.
Die Ermächtigung zur Strafuntersuchung – ein Fehler?
Unbedingt. Man kann nicht die Kunst- und Meinungsfreiheit in Sonntagsreden hochhalten und sich schlicht und einfach vom Acker machen, wenn man sie verteidigen soll, um es freundlich zu formulieren. Die Tatsache, dass Angela Merkel nun ausgerechnet Erdogan darum gebeten hat, sich für uns um die syrischen Flüchtlinge zu kümmern, darf nicht dazu beitragen, dass die Kanzlerin es gleichzeitig zulässt, dass demokratische Werte verraten werden.
Die Wirtschaftspolitik der Koalition – eine Chance für die FDP?
Es gibt ein Umdenken in Deutschland, auch wegen der Flüchtlingskrise. Die Menschen begreifen, dass es wichtig ist, ein bestimmtes Mass an Wohlstand zu haben und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Wir könnten es uns im wahrsten Sinne des Wortes ja nicht leisten, diese Menschen zu integrieren, wenn nicht entsprechende Steuereinnahmen generiert werden. Die Menschen begreifen auch, dass die sozialen Wohltaten, welche diese Regierung verteilt, nur möglich sind, wenn die Leistungen finanziert werden können.
Wirklich?
Es gibt wieder ein stärkeres Bekenntnis zur Marktwirtschaft und zur privaten Leistungsbereitschaft. Zu Recht, denn alles andere ist zum Scheitern verurteilt. Die Menschen verstehen das und deshalb kehren sie zu uns zurück.
Wie schädlich ist die Politik der grossen Koalition?
Es wird einige Jahre dauern, bis die Bremsspuren der Politik von Andrea Nahles und Angela Merkel sichtbar werden. Die Beschäftigung wird zurückgehen, es wir zu weniger Wachstum und zu tieferen Steuerausfällen kommen – mit allen Konsequenzen für die Finanzierbarkeit des staatlichen Gemeinwesens. Doch eine gleiche Verteilung auf tiefem Niveau hilft niemandem. Wir wollen, dass das Wohlstandsniveau steigt und dass es möglichst vielen Menschen bessergeht.
Sie sagten einmal, Sie hätten ein «Renitenzgen». Wie geht es Ihnen damit zurzeit in Deutschland?
Wir haben in Deutschland mittlerweile eine Verbotskultur, die ihresgleichen sucht. Es gibt eine Tendenz der Politik, sich immer stärker in die Lebensgestaltung der Menschen einzumischen. Aber, wenn ich das in Richtung Schweiz sagen darf: Den hinhaltenden Widerstand gegen staatliche Übermacht gibt es nicht nur in der Schweiz, den gibt es auch in Deutschland – zum Glück für die freie Gesellschaft.
Sie vertreten Hanno Berger, einen der Hauptbeschuldigten im Kölner Strafverfahren um europaweite Dividendengeschäfte, bei denen der deutsche Staat um Milliarden betrogen worden sein soll. Warum?
Es steht völlig in den Sternen, ob mit diesen Transaktionen gegen das deutsche Steuerrecht verstossen wurde. Ich bezweifle das entschieden. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber bis ins Jahr 2012 gebraucht hat, um ein Gesetz zu korrigieren, soll man nicht denjenigen anlasten, die das Gesetz befolgt haben, sondern denjenigen, die es versäumt haben, das Gesetz vernünftig zu formulieren.
Wird die Staatsanwaltschaft spätestens vor Gericht scheitern?
Ich bin optimistisch, dass das das Ergebnis sein wird. Wenn man sagt, und das gibt der Entscheid des Bundesfinanzhofes von 1999 her, dass sowohl der wirtschaftliche als auch der juristische Eigentümer einer Aktie Rückerstattungsansprüche haben und wenn man damit die Grundlage schafft für Mehrfachrückerstattungen, dann ist das das Problem des Gesetzgebers und nicht derjenigen, die sich auf das Gesetz stützen. Anders sähe es aus, wenn es kriminelle Absprachen gab, doch das sehe ich gegenwärtig nicht.
Das Beispiel der Dekabank und anderer Institute zeigt: Auf die strafrechtliche Beurteilung kommt es gar nicht mehr an. Die Banken müssen ohnehin zahlen, weil sie das Reputationsrisiko nicht tragen können.
Finanzminister Schäuble sagt, das stimme nicht, doch der öffentliche Druck ist in der Tat immens. Das zeigen auch die Panama-Papers. Steuervermeidung wird pauschal als Steuerhinterziehung dargestellt und kriminalisiert. Dabei handelt sich um legale und politisch gewollte Möglichkeiten, Steuern zu sparen. Ich kann im Ansatz, Steuern zu sparen, nichts Verwerfliches erkennen.
* Wolfgang Kubicki ist seit 1996 Vorsitzender der FDP-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein. Seit Dezember 2013 ist er auch stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. Er ist Ökonom und Rechtsanwalt.