Seit den Weltkriegsjahren ist die Schweiz im Kontext der globalen Sicherheits- und Wirtschaftslage nicht mehr so gefordert gewesen wie heute. Dabei geht es nicht um punktuelle schweiz-spezifische Problemfälle, sondern um internationale Krisen, in denen auch die Schweiz steckt und die unseren Wohlstand sowie unsere Sicherheit unmittelbar gefährden.
Direkt betroffen sind wir von einer EU, welche ihre hausgemachten Probleme – zum Beispiel bei den Staatsschulden oder bei der Überfremdung – nicht lösen kann, und welche sich selber in geopolitische Konflikte manövriert hat. Kriegsherde in unmittelbarer Nachbarschaft zu Europa und eine ausser Kontrolle geratene Terrorgewalt zwingen auch bei uns den Gesetzgeber und die Behörden zum Handeln. Um sich greifende Macht- und Sanktionspolitik zwischen Staaten, mit denen wir traditionell gute Beziehungen pflegen, fordern unsere Neutralität heraus. Und mittels Protektionismus sowie internationalem Rechtsmissbrauch herrscht schon seit längerer Zeit ein Wirtschaftskrieg zwischen den Globalmächten, in welchem die Schweiz zunehmend zerrieben wird.
Keine überhasteten Reaktionen gegenüber der Türkei
Eine der aktuellen Herausforderungen ist die Beziehung zur Türkei. Die jüngsten Vorfälle haben nun die wildesten politischen Forderungen aufs Tapet gebracht. In Anbetracht der für Europa und die Schweiz grossen strategischen Bedeutung dieses Landes am Bosporus ist es verfehlt, Drohgebilde aufzubauen, zu deren Umsetzung man eh die Kraft nicht hat – aber gleichzeitig damit die Zwangspartnerschaft aufs Spiel setzt. Die Türkei ist unser natürlicher Schutzwall gegenüber den islamischen Extremisten. Eine offene Flanke in dieser Region würde für Europa neben der Gefährdung der militärstrategischen Sicherheitszone auch eine Überflutung von Immigranten bedeuten, was auf unserem Kontinent zu einer Destabilisierung führen würde und langfristig in einem Krieg ausarten könnte.
Dabei hätte gerade die Türkei das wirtschaftliche Potenzial, um in einer liberalen Handelsbeziehung beidseitig zur Prosperität beitragen zu können. Bereits scheint die EU ihre Warnungen wieder zu relativieren und lässt über ihren Generalsekretär verlauten, dass man für die sogenannten «Säuberungsaktionen» ein gewisses Verständnis habe. Die Schweiz tut gut daran, in ihrer Aussenpolitik Vernunft und analysierte Realität walten zu lassen. Eine Gruppe militärischer Führungspersonen wollte eine demokratisch gewählte Regierung stürzen und hat dabei Menschenleben vernichtet. Jedes Land würde eine solche Staatskrise nach seiner Kultur und mit seinem Verständnis über Rechtsstaatlichkeit bewältigen. Wir sollten endlich davon abkommen zu glauben, nur unsere Demokratie und Rechtsordnung sei die einzig wahre.
Keine fristgerechte Einigung mit der EU
Verbinden sollten uns die anerkannten Menschenrechte, über deren Einhaltung der Europarat wachen muss. Selbstverständlich gelten in unserem Lande unsere Gesetze, und hier muss gerade auch die Meinungsfreiheit der verschiedensten türkischen Volksgruppierungen gewahrt bleiben. Es ist jetzt Aufgabe der Bundesanwaltschaft zu prüfen, ob mit Beschimpfungen auf elektronischen Plattformen und mit Namensmeldungen von regierungskritischen Personen gegen schweizerische Gesetze verstossen wurde. Erst wenn strafrechtliche Abklärungen ein Fehlverhalten der türkischen Regierung aufzeigen, soll der Bundesrat auf diplomatischem Wege intervenieren. Die Schweizerische Aussenpolitik sollte wieder vermehrt im Zeichen eigener Landesinteressen und einer grundlagenbasierten Neutralität stehen.
Die kommende Herbstsession der eidgenössischen Räte setzt unsere Aussenpolitik auf den Prüfstand. Denn im EU-Dossier müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Es wird sich weisen, ob die Kraft vorhanden ist, den Volkswillen und unsere Landesinteressen auch aussenpolitisch durchsetzen zu wollen. Es sollte nun klar sein, dass es keine fristgerechte Einigung mit der EU geben wird, welche unserem Verfassungsartikel 121a zur Masseneinwanderung gerecht wird.
Konsequenterweise muss nun das Parlament die bundesrätliche Umsetzungsvorlage verabschieden, welche zur Eindämmung der Zuwanderung eine einseitige Anwendung der Schutzklausel im Personenfreizügigkeitsabkommen vorsieht. Dass wir hier unseren wichtigsten Handelspartner brüskieren, ist absehbar. Aber unsere Errungenschaft der direkten Demokratie hat eben ihren Preis, den zu zahlen es sich jedoch lohnt.
Unnötige Rücksichtnahme auf die EU
Vielmehr muss die Frage gestellt werden, welche aussenpolitische Strategie denn in Bezug auf eine schrittweise Entfesselung unserer Abhängigkeit zur EU verfolgt wurde. Am Beispiel Russland kommen einem Zweifel an einem weitsichtigen Verhalten auf. Zwar hat sich die Schweiz offiziell nicht den EU-Sanktionen angeschlossen, handhabt aber die Beziehungen zu Russland in der Praxis restriktiver als einzelne EU-Mitgliedstaaten. Es ist stossend, dass Promotoren des Sanktionsregimes wie zum Beispiel Frankreich innerhalb der letzten zwei Jahre ihre Investitions- und Handelstätigkeiten mit Russland vermehrfacht haben. Während europäische Regierungsvertreter sich in Moskau die Türklinke weiter reichen, hat die offizielle Schweiz Handelsgespräche auf eine untere technische Beamtenebene gesetzt, anstatt einen möglichen Alternativmarkt zur EU anzupeilen.
Einmal mehr überwiegt das Ducken vor der EU als ein selbstbewusstes Vertreten unserer eigenen Landesinteressen. Auch das zögerliche Verhalten gegenüber Grossbritannien, anstatt mögliche Chancen des Brexit anzupacken, lässt nichts Gutes erahnen und ist eine weitere unnötige Rücksichtnahme auf die EU. Es ist dringend angezeigt, dass die aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat ihren Einfluss auf den Bundesrat in diesen Themen verstärkt geltend machen.
* Hans-Peter Portmann, FDP Nationalrat Zürich, Mitglied der Aussenpolitischen Kommission APK-N und Mitglied der EFTA/EU-Delegation.