Konjunkturpolitik ist eine tolle Sache. Kein Zweifel: Über die vergangenen fünfzig Jahre hat die Ökonomie der Politik da ein Mittel in die Hand gegeben, das hilft, die negativen Ausschläge der Konjunktur zu mildern. Das hat natürlich seinen Preis. 

Mit der Geldpolitik kann man Zinsen senken und Geld drucken. Im Aufschwung muss man die expansiven Massnahmen aber wieder zurücknehmen, will man ein Ansteigen der Inflation verhindern. Mit aktiver Fiskalpolitik kann man über staatliche Mehrausgaben die Konjunktur stützen. Im Aufschwung muss man die so geschaffenen Budgetdefizite aber wieder zurückführen, will man eine starke Zunahme der Staatsverschuldung verhindern. So weit die Theorie.

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Über den Autor

Klaus Wellershoff ist Ökonom bei Wellershoff & Partners

In der Praxis sieht das teilweise anders aus. Von einem Anheben der Zinsen oder einer Zurückführung der massiven Ausweitung der Basisgeldmenge ist schon länger keine Rede mehr. Die in der Vergangenheit dafür häufig gehörten Begründungen sind die anhaltend tiefen Inflationsraten, die damit niedrigere Nominalzinsen erlauben, sowie die Feststellung, dass das viele gedruckte Geld in der Wirtschaft nicht angekommen sei.

Die Ausweitung der Defizite ist populär, die Rückführung unpopulär

In der Geldpolitik sehen wir in vielen Ländern, dass die Geldmenge wächst, die der realen Wirtschaft zur Verfügung steht. Gleichzeitig sind die Zinsen stärker gesenkt worden, als die Inflationsraten zurückgegangen sind. In der nächsten Wachstumsphase wird das viel Arbeit für die Zentralbanken geben, soll ein deutliches Ansteigen der Inflation vermieden werden.

In der Fiskalpolitik ist die Lage noch ungemütlicher. Hier ist der Zusammenhang zwischen Budgetdefiziten und Wachstum nämlich nicht nur theoretisch in einer losen Form gegeben, sondern qua Definition unmittelbar und direkt. Eine Ausweitung der Staatsausgaben bedeutet mehr Nachfrage und damit Wachstum. Eine aktive Rückführung der Staatsausgaben bedeutet genauso automatisch weniger Wachstum. Fiskalpolitik ist grosso modo ein Nullsummenspiel.

«Das perfide an der Fiskalpolitik aber ist, dass bei einer verzögerten Rückführung der Defizite die Verschuldung jährlich ansteigt, ohne dass es zu einem Mehr an Wachstum kommt.»

Das perfide an der Fiskalpolitik aber ist, dass bei einer verzögerten Rückführung der Defizite die Verschuldung jährlich ansteigt, ohne dass es zu einem Mehr an Wachstum kommt. Genau darin wird die grosse Herausforderung für die Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre liegen. Die Defizitausweitung ist in der Regel populär, die Rückführung ist dagegen unpopulär und birgt die Gefahr eines konjunkturellen Rückschlags.

Die baldige Reduktion der Staatsschulden ist zwingend geboten

Wem das zu theoretisch ist, mag sich an die fiskalischen Folgen der Finanzkrise erinnern. Während die Amerikaner keine aktive Reduktion ihrer in der Krise entstandenen Defizite angestrebt haben, haben die Europäer mithilfe einer Schuldenbremse ihre Defizite deutlich reduziert. Die Folge: Vor Ausbruch der Corona-Krise lag das US-Defizit bei 7 und das Euro-Land-Defizit bei weniger als 1 Prozent des Volkseinkommens. Den Preis für diese Politik haben die Europäer mit einer Rezession, der sogenannten Euro-Krise, zahlen müssen.

«Angesichts dieser Zahlen erscheint eine Rückführung der Defizite im kommenden Jahr zwingend geboten, wollen wir eine Explosion der Staatsverschuldung verhindern.»

Heute liegen die Defizite der Industrienationen deutlich höher als in der Finanzkrise. Die USA werden dieses Jahr etwa 25, die Euro-Zone 15 und selbst die Schweiz gegen 10 Prozent erreichen. Angesichts dieser Zahlen erscheint eine Rückführung der Defizite im kommenden Jahr zwingend geboten, wollen wir eine Explosion der Staatsverschuldung verhindern. Dass das passiert, erscheint aber wenig wahrscheinlich. Welcher Politiker könnte angesichts der Omnipräsenz von Corona in den Medien so einen unpopulären Schritt wagen? Wir alle gewinnen gerne – und verlieren ungern.

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