So viel Wendigkeit hätte man dem Bundesrat nicht zugetraut. Auch nicht so viel Chuzpe. Da war doch dieser 7. Juni 2019: Damals teilte der Gesamtbundesrat der EU-Kommission schriftlich und mit freudvollem Unterton mit, man habe in Bundesbern eine «insgesamt positive Einschätzung» vom ausgehandelten Rahmenabkommen gewonnen. Das hörte man in Brüssel gerne und freute sich wohl auf eine baldige Ratifizierung.

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Und heute, zwei Jahre später, ist alles ganz anders: Das Abkommen taugt nichts und wird vom Bundesrat in diesen Stunden in den Schredder geschoben. Wie ist das nur möglich? 

Viel zu lange hat man gerungen, geknetet, Exegese betrieben und Kaffeesatz gelesen. Jeder wurde befragt, jede hatte eine Meinung. Und je grösser die Unübersichtlichkeit wurde, desto stiller der Bundesrat. Statt einen Plan zu verfolgen, schob er Kulissen und weckte immer neue Hoffnungen in Brüssel. Dieses unehrliche Spiel hat enorme Kapazitäten gebunden und den Blick fürs Wichtige vernebelt.

«Die Schweiz blieb viel zu passiv und versäumte es, ihre stattliche Soft Power auszuspielen.»

So hat man es in diesem Klein-Klein sträflich versäumt, in Europa die eigene, durchaus stattliche Soft Power auszuspielen. Mit dem Ziel, in den EU-Hauptstädten ein Momentum für die Schweizer Anliegen aufzubauen, etwa in Berlin, Wien, Den Haag oder Luxemburg. Nichts dergleichen von Substanz geschah.

Stattdessen grub sich der Bundesrat in Bern ein und liess sich von Gegner jedwelcher Couleur – Bauern, Gewerkschaften, Wirtschaftsführern – den letzten Hauch von Gestaltungswillen rauben. Bis er diesen Mittwoch zum Rückzug blies.

Brüsseler Festtagsreden

Doch versagt hat in diesem unsäglichen Hüst und Hott ohne Kompass und ohne Plan auch Brüssel. Zwar wird dort in Festtagsreden gerne betont, wie sehr die kleine Schweiz mit ihrer Vielfältigkeit so perfekt zum vereinten Europa passe. Als es aber darum ging, dem Land in ein, zwei neuralgischen Punkten wie der Unionsbürgerrichtlinie oder beim Mechanismus zur Streitschlichtung entgegenzukommen, war keine Verhandlungsmasse, kein Hauch von Kompromiss vorhanden.

Während also in Bern die Provinzpolitiker regieren, denen der Mut zum Gestalten abhandenkam, agieren in Brüssel Betonköpfe, denen jeder Wille zur Agilität und zur Suche nach einem tragbaren Kompromiss fehlt.

Abgang durch die Lieferantentür

Allein die Tatsache, dass die EU-Länder auf das Recht zur Einwanderung von EU-Bürgerinnen und -Bürgern in das hiesige Sozialsystem beharrten, zeigt, dass ihnen jedes Augenmass in der Verhandlung fehlt.

Blessuren tragen bei diesem Versagen beide Akteure davon. Die Schweiz wird in Zukunft mit Nadelstichen oder Gummihämmern daran erinnert werden, dass sie sich nach jahrelangem Hin und Her mit lautem Knall durch die Lieferantentür verabschiedete.

Dieses unschöne Ende wird die Wirtschaft einige Milliarden kosten und Branchen wie Medtech, Maschinenbau und Bauprodukteherstellern einen Mehraufwand aufbürden.

Und die EU hat ihr Image als Hochburg der Politbürokraten gefestigt, die am liebsten ihren Freunden den Tarif erklären.