Teurer Marschbefehl: Armee liefert Covid-Impfstoff

Die Armee macht das, sie schafft das. Sie verteilt den Impfstoff. An dieser Idee berauschte sich wohl der Bundesrat, als er im Sommer entschied, dass das Militär die Corona-Impfstoffdosen in der Schweiz verteilen soll. Doch tatsächlich macht die Armee nur die halbe Arbeit. Sie liefert Impfstoffe bloss in 26 Kantone. Danach muss jeder selber für sich schauen. Der Chef des Logistikunternehmens Giezendanner, Benjamin Giezendanner, hat für diese nationale Strategie wenig Verständnis. «Es ist wenig plausibel, dass die Armee die Grobverteilung machen muss. Wer will solche Impfstofftransporte überfallen oder stehlen?» Das Zwischenschalten der Armee habe das Ganze sehr kompliziert gemacht. «Jetzt müssen 26 Kantone ein separates Logistikkonzept erarbeiten, eigene Kühltruhen beschaffen und eigene Transporte organisieren. Es wäre sicher einfacher, wenn der Bund einen einzigen privaten Logistiker damit beauftragt hätte, die ganze Lieferkette abzuwickeln.» Im Ruhrgebiet liefert Kühne+Nagel den Impfstoff Dass es anderswo mit Privaten allein läuft, zeigt sich im deutschen Ruhrgebiet. Dort hat Nordrhein-Westfalen die Impfstoffverteilung dem Schweizer Logistiker Kühne+Nagel überantwortet. Das geht so: Die Impfstoffdosen werden in ein zentrales Lager des Bundeslandes geliefert, in kleinere Mengen umgepackt und täglich an 53 Impfzentren und weitere Einrichtungen in ganz Nordrhein-Westfalen verteilt. Anders gesagt: Ein Einziger macht, was bei uns 27 Organisationen tun sollten. «Was für eine Region mit 18 Millionen Einwohnern geht, ginge auch für die Schweiz mit 8 Millionen Personen», sagt ein Insider. Doch die Schweiz will es anders. Künstlich lange Transportwege, Dutzende von Schnittstellen und viele involvierte Stellen. Die jetzige Vorstellung des Bundes sieht so aus: Die ausländischen Hersteller liefern die Dosen zur Armeeapotheke in der Nähe von Bern. Diese hat extra Kühlschränke dazugekauft, die bis zu minus 80 Grad Celsius kühlen können.So viel kostet der Covid-19-Impfstoff Der Kredit für die Impfstoffdosen beträgt 400 Millionen Franken. Die Armee kauft sie ein. Vereinbart sind 5,3 Millionen Dosen von Astra Zeneca, 7,5 Millionen von Moderna und 3 Millionen von Pfizer-Biontech. Zusätzliche Dosen für 1,6 Millionen Menschen kauft der Bund über Covax. In der Apotheke werden die Dosen umgepackt, notabene von Milizsoldaten mit wenig Erfahrung. Danach gehen die Dosen an 20 bis 26 Orte – wie viele es genau sind, ist offen, weil man in der Schweiz Monate verspätet dran ist. Immerhin legen einige Kantone ihre Lager zusammen. Aber jeder muss sein eigenes sicherstellen und mit Steuergeldern bezahlen. Danach gehen die Dosen in kleineren Mengen weiter über Private, die jeder Kanton im Schnellverfahren anheuert. Schliesslich gelangen die Dosen in die Impfzentren und zu mobilen Impfequipen. Übliche Impfstoffverteilung über Private Normalerweise läuft die Impfstoffverteilung in der Schweiz nur über Private – bei ihnen wäre alles Nötige vorhanden: die IT-Logistik, die Scanner, die Kühlschränke, die Fahrzeuge, das Trockeneis zur Kühlung und die Fachleute. Der Grossist Galenica gibt Auskunft: «Für die Lagerung und den Transport von Vakzinen bei 2 bis 8 Grad Celsius verfügen alle Logistikunternehmen von Galenica – Alloga, Galexis und Unione Farmaceutica Distribuzione – über die entsprechende Infrastruktur und Erfahrung und können die Kantone bei Bedarf auch in der Feinverteilung unterstützen. Dies ist heute schon bei der Verteilung der saisonalen Grippeimpfstoffe der Fall.» Das Gleiche wie Galenica sagen Logistiker. Die Armee entgegnet, dass es hier es nicht um eine gewöhnliche Impfung, sondern um Spezialimpfstoffe gehe, die bei tiefen Temperaturen transportiert werden müssen. Doch auch hierfür gibt es private Infrastrukturen. Nochmals Galenica: «Im Bereich von Produkten, die bei minus 20 oder gar minus 80 Grad Celsius gelagert und transportiert werden müssen, bestehen Lagerkapazitäten und zertifizierte Prozesse bei der Firma Alloga in Burgdorf, welche als Logistikdienstleister für gewisse Hersteller Produkte lagert.» Armee muss Transportbewilligungen beantragen Für den Transport würden, so Galenica, «üblicherweise Spezialtransportfirmen beauftragt, welche die Produkte zu den Leistungserbringern liefern, das heisst zu Spitälern und Arztpraxen». Galenica ist der bekannteste Medizingrossist hierzulande, doch es gibt auch weniger bekannte, aber ebenso zertifizierte, darunter Galliker aus Luzern. Die Firma verfügt ebenfalls über Kühlschränke mit minus 80 Grad Celsius und über die Transportbewilligungen von Swissmedic, die jeder haben muss, selbst die Armee. Doch Letztere muss jetzt extra eine Lizenz bei Swissmedic beantragen. Die Verteilung ist keine Hexerei. Dazu brauche es keine Spezialfahrzeuge, sagen die Logistiker unisono: «Wir können in den Kantonen Lieferwagen oder Kleinlaster einsetzen. Die Kühlung erfolgt mit Trockeneis in Kühlboxen, auch bei Impfstoffen, die vorgängig bei minus 70 Grad Celsius gelagert wurden.» Einer formuliert es einfach: «Trockeneis rein, Impfstoff rein, Deckel zu – und ab die Post.» «Die Armee wird es genau gleich machen», sagt ein anderer. Amherd sieht Armee als sinnvollsten Weg Und dennoch sagt die fürs Dossier verantwortliche Bundesrätin Viola Amherd, dass dies privat nicht möglich sei. Amherd beruft sich auf «Expertenmeinungen und Marktabklärungen»: «Das nationale Potenzial ist nicht vorhanden, um grosse Mengen von Impfstoffen entgegenzunehmen, zu lagern, zu kühlen und zu verteilen», beantwortete sie am Montag im Parlament eine Frage von Nationalrat Benjamin Giezendanner. Deshalb sei der Weg via Armee und die Kantone sinnvoll. Giezendanner moniert, dies sei vorgeschoben. Die Vorstellung, dass auf nationaler Ebene keiner zur Verfügung stehe, in den Kantonen dann aber die gleichen Logistiker, die national agieren, zum Einsatz kämen, sei merkwürdig. Beispiel Appenzell Ausserrhoden: Dort sollen 17'000 Personen in der ersten Runde geimpft werden. Die Armee liefert von Bern nach Herisau. Im Kanton werden sie über «einen professionellen Pharmavertreiber verteilt». Dieser verfüge auch «über ein eigenes, geeignetes Zwischenlager», sagt ein Sprecher. «Privat wäre die Logistik in der Schweiz machbar gewesen», sagt Giezendanner. Erhebliche Kosten für Steuerzahler Die Schweizer Methode hat ihren Preis. Den Kantonen und damit den Steuerzahlern entstehen erhebliche Kosten. Wie viel, darüber schweigen die Armee und die Kantone. Giezendanner sieht, wie die Auftragsvergabe derzeit läuft: Der, der die besten Kontakte zu einem Kanton hat und am schnellsten offeriert, erhält den Zuschlag. Im Rennen sind Galenica, Planzer, Galliker und viele andere. «Die hohen Kosten» seien hauptsächlich auf die «herausfordernden Impfstoffe und das kurze Zeitfenster zurückzuführen – und nicht auf die Wahl der Logistiklösung», betont Rudolf Hauri, Präsident der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte, auf Anfrage. Giezendanner ärgert dieses Argument: «Hätte SP-Bundesrat Alain Berset den Auftrag für die Impfstofflogistik im Sommer in einem fairen Wettbewerb ausgeschrieben, wäre erstens ein Privater zum Zuge gekommen, der Erfahrung hat, zweitens wäre es effizienter gekommen und drittens günstiger.» Man hätte sich «die eine Ebene der Logistikkette», nämlich die Armee, sparen können.

Teurer Marschbefehl: Armee liefert Covid-Impfstoff

Impfstoffverteilung durch die Armee: Komplizierter und teurer geht es nicht.