Heute ist alles Klima. So wollen viele das Auto durch ÖV und Velo ersetzen. Sie glauben, Letztere belasteten die Gesellschaft weniger und seien klimaschonend.

Das ist falsch. Das Amt für Raumentwicklung (ARE) und das Bundesamt für Statistik (BFS) schätzen die Belastung der Allgemeinheit durch den Verkehr wegen Umwelt-, Klima-, Lärm-, Unfall-, Infrastruktur- und Betriebskosten akribisch. Wenn man ihre Zahlen pro Personenkilometer rechnet, kosten ÖV und Velo um ein Vielfaches mehr als das Auto. Nur bezüglich Umwelt und Klima schneiden ÖV und Velo besser ab. Aber das liegt weitgehend an der kreativen Buchführung von ARE und BFS.

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Beim ÖV wird angenommen, er fahre mit Strom aus eigenen Wasserkraftwerken der Verkehrsbetriebe und sei deshalb praktisch klimaneutral. Doch dieser Strom könnte für anderes verwendet werden. Dafür müsste er aufs öffentliche Stromnetz geleitet werden. Als Folge würden automatisch andere Kraftwerke abgeschaltet. Das wären zumeist CO2-Schleudern irgendwo in Europa. So gerechnet fahren unsere Züge (und Elektroautos) also nicht mit sauberem, sondern mit stark klimabelastendem Strom.

In einer vernünftigen Ökobilanz müssen diese «Klimaopportunitätskosten» mitgerechnet werden. Leider ist dann das Reisen im ÖV oft klimaschädlicher als im Auto.
Beim Velo ist der amtliche Trick noch frivoler. Obwohl die ganze Debatte um Energie und Klima geht, wird das Velo als Perpetuum mobile behandelt. Doch Velofahrerinnen und Velofahrer brauchen zusätzliche Energie. Dafür müssen sie mehr essen, was das Klima belastet.

«Den Energie- und Muskelverbrauch müssen Velofahrerinnen und Velofahrer durch zusätzliche Nahrungsaufnahme ausgleichen.»

Sparsame Autos brauchen auf 100 Kilometer 5 Liter Benzin und verursachen so 12 Kilogramm CO2-Emissionen, also 120 Gramm pro Fahrzeugkilometer – und bei einer Besetzung mit 4 Personen 30 Gramm pro Personenkilometer. Velofahrende verbrauchen auf 100 Kilometer bei normaler Fahrt rund 2500 Kilokalorien (kcal). Den Energie- und Muskelverbrauch müssen sie durch zusätzliche Nahrungsaufnahme ausgleichen. So bräuchten sie für die 2500 kcal etwa 1 Kilo Rindfleisch. Das verursacht in der Produktion 13,3 Kilogramm CO2.

Die Kolumne «Freie Sicht»

In der Kolumne «Freie Sicht» schreiben Isabel Martínez, Ökonomin an der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich, Reiner Eichenberger, Professor für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, Ökonom Klaus Wellershoff von Wellershoff & Partners sowie der «Handelszeitung»-Co-Chefredaktor Markus Diem Meier.

Fleisch essende Velofahrerinnen und Velofahrer verursachen also pro Personenkilometer 133 Gramm CO2 – das Vierfache des gut besetzten Autos. Wenn sie die Fahrenergie aus Milch gewinnen, verursachen sie pro Personenkilometer 35 Gramm CO2, also immer noch fast 20 Prozent mehr als das Auto. Leider gilt die klägliche Bilanz auch für Veganerinnen und Veganer.

Viele vegane Speisen sind erstaunlich CO2-intensiv. Gut fürs Klima sind eigentlich nur reine Nudelesserinnen und Nudelesser. Sie verursachen pro Personenkilometer etwa 12 Gramm CO2, also knapp die Hälfte des Autos. Aber leider werden sie bald Eiweissmangelerscheinungen haben.

Stellungnahme der Redaktion

Liebe Leserinnen und Leser

Dieser Beitrag zur Kostenwahrheit im Verkehr von Reiner Eichenberger, Ökonomieprofessor an der Universität Freiburg, hat lebhafte Debatten ausgelöst. Vielen Dank für Ihre Kommentare auf unserer Website und in den Sozialen Medien. Eichenberger ist langjähriger Kolumnist der «Handelszeitung» und beschäftigt sich in der Forschung und in unserer Kolumnen «Freie Sicht» regelmässig mit Verkehrsfragen. Das Meinungsgefäss «Freie Sicht» teilen sich vier profilierte Schreiberinnen und Schreiber, die frei gewählte Themen aus ökonomischer Optik analysieren. Die «Freie Sicht» ist persönlich gehalten und soll zum Denken und zur Debatte anregen, was die Beiträge von Prof. Eichenberger zweifellos tun. Um die Debatte über externe Kosten und Nutzen unterschiedlicher Verkehrsträger zu vertiefen, werden wir in Form von weiteren Meinungsbeiträgen auf das Thema eingehen. Lesen Sie hier die Replik von Grünen-Nationalrätin Natalie Imboden.

Hier hat Autor Reiner Eichenberger zudem auf seine Kritiker geantwortet.

Stefan Barmettler, Co-Chefredaktor Handelszeitung