Detail of a rocket missile on the agricultural field near Kyiv  area, Ukraine, 06 April 2022 (Photo by Maxym Marusenko/NurPhoto via Getty Images)

Putins Krieg mit dem Hunger

Seraina Gross Handelszeitung
Von Seraina Gross
am 29.04.2022 - 06:14 Uhr

Rakete im Weizenfeld: Der Krieg in der Ukraine zerstört wichtige Getreidevorräte.

Quelle: NurPhoto via Getty Images

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Wie der Ukraine-Krieg eine weltweite Weizenkrise hervorruft und drei Wege, sie zu lösen.

Das Problem

Die Ukraine und Russland zählen zu den Kornkammern der Welt. 10 Prozent des Weizens weltweit kommen aus der Ukraine, zusammen mit Russland sind es 30 Prozent. Doch auch bei Mais, Soja und Sonnenblumenkernen gehören die beiden Ländern zu den bedeutendsten Lieferanten weltweit. Nun aber liegt vor allem die ukrainische Landwirtschaft wegen des Kriegs am Boden. Ganze Betriebe stehen still. Die männlichen Arbeitskräfte sind im Krieg, der wenige Diesel wird für den Betrieb militärischer Fahrzeuge gebraucht, Ersatzteile sind Mangelware. Um 20 Prozent tiefer wird die Getreideernte in der Ukraine in diesem Jahr ausfallen, rechnet der britischen Geheimdienst.

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«Die Anbausaison für Nahrungsgetreide 2022 ist auf der Nordhalbkugel kgelaufen», sagt Bettina Rudloff, Spezialistin für Ernährung an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Was jetzt nicht angesät sei, das werde auch nicht mehr ausgesät. 

Dazu muss man wissen: Die ukrainische Landwirtschaft ist sehr stark industrialisiert, die bewirtschafteten Flächen sind riesig. Landwirtschaftliche Betriebe können hier schon mal 2000 Menschen beschäftigen und 120’000 Hektaren umfassen. Das entspricht annähernd der Fläche des Kantons Aargau. Zum Vergleich: Der Schweizer Bauer bewirtschaftet im Durchschnitt gut 20 Hektar Land, der deutsche 60. 

Auch die russischen Bauern leiden. Zwar nicht unter dem Krieg selbst, aber die Sanktionen beissen, welche die USA, die EU und viele weitere Staaten wie die Schweiz verhängt haben. Das ist durchaus gewollt, auch wenn Nahrungsmittel eigentlich ausgenommen sind. Gestörte Geschäftsbeziehungen und Lieferketten, Schwierigkeiten beim Zahlungsverkehr und die unsichere Sicherheitslage am Schwarzen Meer machen deshalb auch den russischen Bauern zu schaffen.

Putins Krieg verschärft die Ernährungssituation. Der Getreideanbau ist dabei nur das eine. Dazu kommt die Bedeutung Russlands und der Ukraine als Standorte für die Herstellung von Dünger. 15 Prozent des weltweit gehandelten Stickstoffdüngers kommen aus Russland, beim Dünger auf Basis von Pottasche sind es 17 Prozent.

Dabei war die Situation bei den Düngemitteln schon vor dem Krieg angespannt. Die EU hat nämlich schon im vergangenen Jahr die belarussische Belaruskali mit Sanktionen belegt, als Reaktion auf die brutale Niederschlagung der dortigen Demokratiebewegung durch Präsident Lukaschenko. Das belarussische Unternehmen zählt zu den grössten Düngemittelherstellern weltweit.

Die Abhängigkeiten sind enorm. Und im Fall von Russland verheerend. Denn wie beim Gas so wird auch bei Weizen, Mais, Sonnenblumenöl und anderen Nahrungsmitteln die eine Frage wie ein Damoklesschwert über den nächsten Monaten hängen: Was wird Putin tun? Wie hart wird er die Karte der Getreideexporte spielen, um den Westen unter Druck zu setzen und seinen Feldzug der Destruktion und Destabilisierung weiter führen zu können?

Gut möglich, dass Russland einzelne Länder bevorzugt behandelt

Wie mächtig das Instrument der Exportbeschränkung ist, zeigte sich im März. Allein schon die Ankündigung von russischer Seite, den Export von Getreide zu unterbinden zu wollen, reichte, um die Getreidepreise in die Höhe schiessen zu lassen.

Der Krieg habe wie zuvor die Corona-Krise gezeigt, wie anfällig das weltweite Ernährungssystem sei und wie schnell Schocks arme Länder an ihre Grenzen brächten, sagte Alexandra Gavilano, Spezialistin für Ernährung bei Greenpeace.

Klar ist auch: Das gezielte Beliefern einzelner Entwicklungsländer ist eine gute Gelegenheit für Russland, diese in die eigene Einflusssphäre zu ziehen. Gut möglich also, dass Russland einzelne Länder bevorzugt behandelt, so wie es während der Pandemie etwa Venezuela bevorzugt mit seinem Impfstoff Sputnik versorgte.