Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat die ausgelaufene zehntägige Waffenruhe in der Ostukraine nicht verlängert. Stattdessen werde die "Anti-Terror-Operation" der Armee gegen die prorussischen Separatisten fortgesetzt, sagte Poroschenko in der Nacht zum Dienstag in Kiew.

«Wir werden in die Offensive gehen und unser Land befreien. Die Nichtfortsetzung der Feuerpause ist unsere Antwort an die Terroristen, Freischärler und Marodeure», betonte der prowestliche Staatschef in einer Fernsehansprache. Die Separatisten hätten «auf krasse Weise» gegen den Waffenstillstand verstossen.

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Forderung: Befreiung aller Geiseln

«Nach der Diskussion der Situation habe ich, als Oberkommandierender, den Entschluss gefasst, das Regime der einseitigen Feuerpause nicht fortzusetzen», unterstrich Poroschenko. Er verhängte aber nicht das Kriegsrecht und schloss auch Gespräche mit den Aufständischen nicht aus.

Poroschenko wiederholte die Forderung nach Befreiung aller Geiseln, die noch in der Hand von prorussischen Kämpfern sind. Zudem müsse Russland «den Saboteuren und Waffenlieferanten» Einhalt gebieten. Ferner müssten die Grenzen zwischen Russland und der Ukraine von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kontrolliert werden.

Aus Reihen der Armee gab es die Forderung, die Waffenruhe nicht zu verlängern, weil dies den Rebellen weitere Möglichkeiten gebe, sich zu regruppieren und neue Angriffe vorzubereiten. «Wir sind zur Einstellung des Feuers in jedem Moment bereit, sobald wir sehen, dass sich alle Seiten an die Erfüllung der Hauptpunkte des Friedensplans halten», sagte der Präsident.

Unerwarteter Entscheid

Die Entscheidung war nicht unbedingt erwartet worden. Zuvor hatten Poroschenko und Kremlchef Wladimir Putin noch bei einer Telefonkonferenz mit Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel über ein Abkommen zum Waffenstillstand gesprochen.

Die angestrebte Vereinbarung zwischen den moskautreuen Separatisten und den ukrainischen Regierungseinheiten sei Teil eines Fünf-Punkte-Plans zur Beilegung des Konflikts, teilte das Kanzleramt nach dem Telefonat mit, an dem auch Frankreichs Präsident François Hollande teilgenommen hatte.

Nach Angaben des ukrainischen Aussenministeriums wurden seit Ausrufung der Waffenruhe durch die Regierung am 20. Juni 27 Soldaten getötet. «Unser Friedensplan, als Strategie für die Ukraine und den Donbass, bleibt in Kraft», betonte Poroschenko in der Ansprache. Wer von den Separatisten die Waffe niederlege, habe eine Chance auf Amnestie.

Zuvor hatte sich Putin bei dem Telefonat überraschend bereiterklärt, ukrainischen Grenzbeamten den Zutritt auf russisches Territorium zu gestatten. Gemeinsam mit russischen Kollegen sollten sie die Grenze an den Stellen kontrollieren, an denen die Separatisten auf ukrainischer Seite Grenzposten besetzt halten, teilte Aussenminister Sergej Lawrow in Moskau mit.

Zudem sollen Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) künftig auf russischer Seite ihrer Aufgabe nachkommen können.

Neuer Waffenstillstand als Ziel

Der Westen und die Ukraine hatten Russland wiederholt vorgeworfen, nicht genügend zu unternehmen gegen Waffenlieferungen an die Separatisten über die russisch-ukrainische Grenze. Der EU-Gipfel hatte Moskau gar ein Ultimatum bis zu diesem Dienstag gesetzt und mit weiteren Sanktionen gedroht.

Angeblich stimmten alle vier Seiten überein, dass die Kontaktgruppe aus der Ukraine, Russland und OSZE «so schnell wie möglich» wieder mit Vertretern der Separatisten verhandelt. «Vorrangiges Ziel solle die Vereinbarung über einen beiderseitigen Waffenstillstand sein», hiess es.

Die militanten Gruppen in der Ostukraine äusserten sich allerdings skeptisch. Ein solches Treffen könne frühestens an diesem Dienstag stattfinden, sagte der Separatistenanführer Andrej Purgin. Verhandelt werden müsse dann über die Freilassung von mehr als 190 gefangenen Aufständischen durch die Regierung sowie einen Fluchtkorridor.

(sda/chb)