Klaus-Otto Spahn* sah eigentlich nicht ein, warum er sich selbst anzeigen sollte. «Ich hatte ja nicht viel in die Schweiz gebracht. Vielleicht ein paar Hunderttausend», erzählt der Unternehmer aus Köln. «Nach und nach», erinnert er sich, «kam ich dann aber doch irgendwie ins Schwitzen.» Als dann auch noch ein Golf-Kumpel Spahns wegen einer Daten-CD erwischt wurde, nahm er sich einen Anwalt und startete den juristischen Ablasshandel. Er zahlte die hinterzogenen Steuern nach, ging dafür straffrei aus. Alles war gut.
Dachte er. «Ich war mir sicher, dass ich die ganze Chose hinter mir hatte», erzählt er. Doch dann klingelten eine ganze Weile später die Steuerfahnder. Wie Spahn geht es derzeit vielen der rund 120’000 Selbstanzeiger. Dank ihren Aussagen kann Nordrhein-Westfalen die Daumenschrauben bei den Schweizer Banken noch einmal heftig anziehen.
Hat der Schweizer Berater Verständnis gezeigt?
«Wir haben noch ein paar Fragen zu Ihrem Fall», sagten die Beamten zu Spahn. Die Fragen waren ziemlich spezifisch. Namen wollten die Ermittler von allen, die von der Kundenbeziehung wussten. Hatte der Bankberater Verständnis dafür gezeigt, dass man sein Geld in die Schweiz bringt? Wie oft hatte man Kontakt? Hat er zur Selbstanzeige geraten?
«So wollen die Ermittler den Straftatbestand der psychologischen Beihilfe nachweisen», erklärt Lars Kelterborn, Steuerexperte der Kölner Kanzlei Luxem Heuel Prowatke Rechtsanwälte. Und der ist schon sehr früh erreicht. Es genüge teilweise schon, wenn ein Bankmitarbeiter schlicht sein Verständnis dafür bekunde, dass der Kunde sein Geld vor dem deutschen Fiskus verstecken will.
Die Steuer-CDs waren nur der Anfang
Für diese Arbeit gründete Landes-Finanzminister Norbert Walter-Borjans Anfang Jahr eigens eine spezielle Taskforce und siedelte die Spezialstelle beim Landeskriminalamt an. Es ist die erste dieser Art in Deutschland.
Denn: Die berühmten CDs waren nur der Anfang. Mithilfe der aus schweizerischen Geldhäusern gestohlenen Daten kriegten die NRW-Steuerfahnder zu Beginn ihrer lukrativen Mission Banken wie Julius Bär, UBS und Credit Suisse dran. Mehr als 500 Millionen Euro an Bussen kassierte das Bundesland insgesamt. Doch CDs sind den Fahndern nicht mehr genug. Sie haben die Selbstanzeiger als neue Möglichkeit entdeckt, den Banken Straftaten nachzuweisen – und so den Kuchen für Nordrhein-Westfalen noch einmal grösser zu machen.
Verfahren gegen einzelne Personen
Das Ganze hat System. «Sehr, sehr, sehr viele Selbstanzeiger werden derzeit noch einmal angesprochen», so Rechtsanwalt Kelterborn. Einige von ihnen würden nichts sagen und aussagen, dass sie sich an nichts erinnern. Doch einige reden eben doch. Vielleicht sind sie wütend auf die Bank, weil sie nicht früh genug gewarnt wurden. Andere waren einfach mit der Beratung unzufrieden. Wieder andere wollen alles hinter sich haben. «Ich wollte keinen weiteren Stress mehr und habe daher alles gesagt, was ich wusste», sagt Spahn.
Auf den Aussagen über Bankmitarbeiter aufbauend, können die Strafverfolger dann ein Verfahren einleiten. Das geht laut deutschem Recht nur, wenn man einzelne Personen – Bankberater oder gar Chefs – anzeigt. Ein Unternehmensstrafrecht, wie man es beispielsweise aus den USA kennt, gibt es nicht.
50 Geldinstitute im Visier
Auch dank den Aussagen von Selbstanzeiger Spahn flossen fast 39 Millionen Euro zusätzlich in die Staatskasse von NRW. Im Mai hatte die Basler Kantonalbank, bei der auch der Unternehmer Kunde war, diese Summe an NRW gezahlt, um ein Verfahren zu vermeiden. Sie dürfte nicht das letzte Schweizer Geldhaus sein, das in Walter-Borjans Kasse zahlen muss. Rund 50 weitere Schweizer Institute befinden sich im Visier der NRW-Steuerfahnder, zeigen Recherchen der «Handelszeitung». Die Zahl steigt stetig. Denn die Ermittler werden immer geschickter und die Aussagen der ertappten Steuersünder wirken für sie wie ein Aufputschmittel.
Die Bankchefs werden angesichts dieses Vorgehens fast schon zu Zynikern. Viel mehr als abwarten können sie nicht. «Wir wissen, was zu tun ist, wenn wir dran sind: Möglichst schnell vergleichen», so der Chef eines betroffenen Hauses. Zu dem Schluss sei er nach dem Austausch mit Kollegen gekommen, die den Prozess schon hinter sich hätten. Im Vergleich mit NRW seien die Steuerfahnder aus den USA «die netten Männer von nebenan». Denn wenn man mit ihnen kooperiere, dann werde man zumindest auch dafür belohnt.
Busse je nach Profit durch Steuerhinterziehung
In den Vereinigten Staaten, erzählt der Banker, sei es nämlich so, dass man mit geringeren Bussen rechnen könne, wenn man Kunden zur Selbstanzeige rate oder sogar dränge. Wenn ein Finanzinstitut das tut, werden diese Gelder aus der Summe herausgerechnet, die als Basis der Busse dient. Um die Bussen zu bemessen, orientieren sich die deutschen Steuerfahnder hingegen an den Gewinnen, die die Banken aus dem Geschäft mit den Steuersündern gezogen haben.
Um das zu errechnen, verlangen sie Mithilfe von den Banken. «Bei unserer Bank ging Anfang August ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Köln ein», berichtet ein Manager. Aufgrund der allgemein gehaltenen Formulierungen erwarte er, dass auch andere Banken es erhalten hätten. Aus dem Schreiben gehe hervor, dass die Behörden Vergehen gegen das deutsche Steuerrecht untersuchten und Zusammenarbeit erwarteten. Die Bank solle Daten über das Geschäft mit deutschen Kunden herausgeben, berichten auch andere Betroffene, die solche Post erhalten haben. Man berate sich mit Juristen, was man tun solle. Doch wahrscheinlich sei Kooperation die beste Lösung.
Nachhaltige Rufschädigung
Denn es kann alles auch noch schlimmer werden. Worauf es die Beamten in Nordrhein-Westfalen wirklich anlegten, so berichtet ein Insider aus deren Umfeld, seien Strafanzeigen gegen Geschäftsleitungsmitglieder. «Dann kann man noch höhere Bussen herausschlagen, weil ein solches Verfahren den Ruf einer Bank nachhaltig ruinieren kann.» Dass es schon derartige Überlegungen gibt, bestätigen mehrere Quellen aus NRW und der Schweiz. Ein Informant berichtet gar, dass bereits entsprechende Strafverfahren liefen.
«Rein theoretisch ist es auch da möglich, psychologische Beihilfe nachzuweisen», erklärt Rechtsanwalt Kalterborn. Das könne schon die Bonuszahlung für gute Leistungen im Geschäft mit den entsprechenden Kunden sein. Die würde ja dazu ermutigen, solche Geschäfte weiter voranzutreiben. Und sie beweise auch, dass die Geschäftsleitung von den Geschäften wisse.
Niemand will den Chef vor Gericht
Auch Thomas Eigenthaler sieht diesen Fall als Fahnder-Jackpot an. «In einer Branche, in der man keine schlechten Nachrichten gebrauchen kann, will man nicht die Geschäftsleitung vor Gericht sehen», sagt der Präsident der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, der Arbeitnehmervertretung der Steuerbeamten. «Das zermürbt.» Am Ende bleibe der Geschäftsleitung nur der Rücktritt, wenn sie vor Gericht lande. Und um das zu vermeiden, sei man vielleicht bereit, eine etwas höhere Busse zu zahlen. Doch schon jetzt seien die Strafzahlungen «unter dem Strich ein gutes Geschäft für die Landeskasse», kommentiert Eigenthaler.
Das Geld muss sich NRW mit niemandem teilen. Die Einnahmen, die das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands aus den Strafzahlungen der schweizerischen Geldinstitute generiert, werden nicht in den Länderfinanzausgleich einberechnet. Dieser sorgt für eine gleichmässige Verteilung von Steuereinnahmen zwischen finanzstarken und -schwachen Bundesländern. Die rund eine Milliarde Euro an Steuerrückzahlungen, die Nordrhein-Westfalen durch Daten-CDs und Selbstanzeigen bislang generierte, muss sich das Land mit den 15 anderen Ländern teilen. Bei Bussen ist das anders. Das macht sie so attraktiv.
Wettbewerb um die höchsten Strafzahlungen
«Und das wird von Walter-Borjans' Regierung durchaus auch so kommuniziert», heisst es aus einer nordrhein-westfälischen Steuerfahndungsbehörde. Unter den einzelnen Amtsstellen in Aachen, Köln, Münster und anderen Städten, so berichten Involvierte, sei ein regelrechter Wettbewerb ausgebrochen, wer die höchsten Bussen generieren könne. «Wuppertal ist besonders hart», so der Insider. Wer von der Staatsanwaltschaft dort Post erhalte, der müsse sich warm anziehen.
Nicht alle in NRW freuen sich aber. Bei einigen Staatsanwälten sorgt der Bussenwahn auch für Frust. Es sei nicht sehr befriedigend, immer nur auf einen Vergleich hinzuarbeiten. Aus diesem Grund habe man sich nicht für den Beruf entschieden, erzählen diverse nordrheinwestfälische Strafverfolgungsbeamte der «Handelszeitung». «Wenn ein junger Mensch in einem Warenhaus ein T-Shirt klaut, kommt er vor Gericht und wird angeklagt. Man bringt das Verfahren zu Ende«, erklärt einer stellvertrend für seine Berufskollegen. Wenn jemand aber seinen Kunden dabei helfe, riesige Millionenbeträge am Fiskus vorbei zu schleusen, komme er mit einem Vergleich davon. «Im Grunde ist das nichts anderes als eine etwas teurere Parkbusse.»
Gegenwehr der Schweizer Banker
Das kümmert die Walter-Borjans'schen Fahnder wenig. Sie machen mit voller Kraft weiter. Die Schweizer Banken wollen das jedoch nicht mehr mit sich machen lassen und setzen auf Kooperation. Derzeit befinden sich zehn Kantonalbanken unter den betroffenen Instituten, zeigen Recherchen der «Handelszeitung». Sie wollen gemeinsam einen Weg finden, die Regierung in Bern zu überzeugen, gegen das Vorgehen von NRW etwas zu tun.
Ob sie damit Erfolg haben werden, ist fraglich. Schon die Bankiervereinigung versuchte vor kurzem, Bern zu einer Intervention zu bringen. In einem Brief an Justizministerin Simonetta Sommaruga forderte Präsident Patrick Odier laut dem Branchenportal Inside Paradeplatz, dass man den NRW-Behörden Einhalt gebiete - ohne Erfolg. Das Vorgehen sei zulässig, hiess es aus dem Bundeshaus. Darauf beruft man sich auch im NRW-Finanzministerium. «Dass das Vorgehen der NRW-Behörden unbedenklich ist, sieht das Schweizer Justizministerium offenbar auch so und hat sich dementsprechend gegenüber Medien geäussert», heisst es in einer Stellungnahme. Auch Steuer-Gewerkschafts-Vorstand Eigenthaler findet das Vorgehen legitim. «Es ist nur konsequent, zu Ende zu bringen, was man mit dem Kauf der Daten-CDs angefangen hat«, ist seine Meinung. Und von den durchgesetzten Steuerrückzahlungen hätten ja auch die anderen Bundesländer etwas.
«Sensationelle Rendite»
Von Finanzminister Walter-Borjans gibt es zum Thema generell keinen Kommentar. Doch manchmal kann er sich dann doch nicht helfen und lässt durchblicken, wie wichtig die Einnahmen für seine Landeskasse sind. Die Wortwahl ist entlarvend. So sagte er über die Entscheidung zum Kauf von Daten-CDs etwa erst kürzlich zur Zeitung «Die Welt»: «Wenn man so will, haben wir da in der Tat eine sensationelle Rendite.» Das Geschäftsmodell Bankenbussen funktioniert also weiterhin prächtig.
*Name geändert.
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