Lehrerinnen und Lehrer mit wenig Erfahrung benoten Mädchen bei gleicher Leistung in Physik oft schlechter als Knaben. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der ETH Zürich. Obwohl ein Mädchen eine Frage genau gleich wie ein Klassenkamerad beantwortet, muss sie mit einer schlechteren Note rechnen. Solch unterschiedliche Bewertung komme im Fach Physik regelmässig vor, schrieb die ETH Zürich am Montag in einer Mitteilung.

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Die Lernforscherin Sarah Hofer bat 780 Lehrerinnen und Lehrer aus der Schweiz, Österreich und Deutschland, die in der Sekundarschule Physik unterrichten, eine nur zum Teil korrekte Prüfungsantwort aus der klassischen Mechanik zu benoten. Diese war in jedem Fall exakt gleich formuliert, aufgrund eines Einleitungstextes ging jedoch der eine Teil der Teilnehmenden davon aus, eine Schülerin zu bewerten, der andere von einem Schüler. Die Fragestellung der Studie war den Teilnehmenden nicht bekannt.

Unerfahrene Lehrer am ungerechtesten

Beim Vergleich der Noten stellte sich heraus, dass Lehrerinnen und Lehrer mit weniger als zehn Jahren Erfahrung das fiktive Mädchen schlechter bewerten als den fiktiven Schüler. Bei Lehrpersonen mit fünf oder weniger Jahren Berufserfahrung machte der Unterschied in der Schweiz 0,7 Noten aus. In Österreich sogar 0,9.

«Lehrerinnen und Lehrer mit wenig Erfahrung lassen sich offenbar stärker von Kontextinformationen wie dem Geschlecht beeinflussen», liess sich Hofer in der Mitteilung zitieren. Es sei bekannt, dass Vorurteile oder Stereotype bei der Bewertung dann zum Tragen kämen, wenn dem Bewertenden nicht genügend Informationen zur Verfügung stünden oder er stark beansprucht oder gar überfordert sei.

In Deutschland zeigte sich indes ein spezielles Bild: Während Lehrer die Schüler unabhängig vom Geschlecht gleich bewerteten, liessen sich Lehrerinnen von ihren Vorurteilen leiten. Bei weniger als fünf Jahren Berufserfahrung benoteten sie Mädchen fast eine ganze Note schlechter. Worauf diese Unterschiede beruhen, bleibt jedoch unklar.

Mädchennoten allgemein weniger aussagekräftig

ETH-Professorin Elsbeth Stern, in dessen Forschungsgruppe Hofer arbeitet, sieht die Studienergebnisse im Kontext eines grundsätzlichen Problems. Die Noten für Mädchen spiegelten weniger gut ihre tatsächlichen Leistungen wider als die für Knaben. Mal würden sie zu gut benotet, mal zu schlecht. Das verzerre das Feedback für die erbrachte Leistung und erschwere den Mädchen die Orientierung, erklärte Stern in der Mitteilung der ETH.

«Wenn man schon als Mädchen in der Schule das Gefühl kriegt, dass man in den Naturwissenschaften nicht gerecht benotet wird, dann verliert man eher das Interesse daran», befürchtet Stern. Auch frühere Studien haben gezeigt, dass sich Schülerinnen in den Naturwissenschaften für die gleichen Noten mehr anstrengen müssen als Schüler. Diese Studien untersuchten jedoch hauptsächlich das Fach Mathematik. Für Physik und den deutschsprachigen Raum ist Hofers Studie die bisher umfassendste. Sie erschien kürzlich im «International Journal of Science Education».

(sda/gku)