Martha Scheiber Die ehemalige Leiterin Asset Management der Pax über Anlagestrategien im Tiefzinsumfeld, Nachhaltigkeitsaspekte bei Investments und ihre persönlichen Finanzen.

 

Alle sprechen von einem Anlagenotstand. Spüren Sie das auch bei Ihren persönlichen Finanzen?

Martha Scheiber: Natürlich. Früher enthielt mein Portfolio Aktien und festverzinsliche Wertpapiere. Seit der Finanzmarktkrise habe ich keine Obligationen mehr gekauft. Das ist eine Reaktion auf die tiefen Zinsen. Als Privatinvestor kann man zurzeit normale Obligationen aus der Vermögensanlage streichen.

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Was für ein Anlagetyp sind Sie?

Ich bin eine sehr aktive Investorin. Anfang vergangenen Jahres habe ich praktisch alle Aktien aus meinem Depot verkauft. Einzig einige Pflichtaktien in Verbindung mit meiner beruflichen Tätigkeit sind verblieben. Dazu kommen Rohstoffanlagen.

Sie möchten auf der sicheren Seite sein.

Nein, eigentlich nicht. Ich bin keineswegs risikoavers, aber sehr risikobewusst. Nach einer zehnjährigen Aktienhausse mit Renditen weit über dem Durchschnitt ist die Wahrscheinlichkeit für eine Korrektur relativ hoch.

Frauen sind im Asset Management von grossen Unternehmen eher selten in den obersten Führungspositionen anzutreffen. Ticken sie anders als Männer?

Nein. Die Herkunft, Ausbildung, Tätigkeit und das Arbeitsumfeld sind prägender als das Geschlecht. Ich bin ein analytischer, zahlen- und faktenbasierter Mensch, der Risiken und Chancen genau abwägt. Ich hoffe, dass Männer, die diesen Job ausüben, auch so arbeiten. Wenn ich heute ein Unternehmen sehe, wo im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung nur Männer sitzen, dann frage ich mich schon, ob da nur nach Leistung rekrutiert wird. Ob dies für qualifizierte Mitarbeiterinnen sehr motivierend wirkt, wage ich zu bezweifeln.

Man sagt Frauen nach, sie würden häufig Produkte kaufen, die weniger riskant sind, sie würden weniger Transaktionen tätigen und seien bedeutend geduldiger.

Nach diesem Muster wäre ich keine typische Frau. Generell will ich mich bei meinen privaten Investments nicht überraschen lassen. Geduldiger bin ich nicht. Im Gegenteil: Ich trade für mich persönlich wohl eher viel. Allerdings will ich genau wissen, welche Risiken ich in meinem Portfolio habe, und versuche, das auch aktiv zu managen.

Welche Anlagephilosophie hat die Pax?

Wie alle Versicherungen, und speziell Lebensversicherungen, sind wir aufgrund der Rahmenvorgaben – in erster Linie wegen der Eigenkapitalvorschriften – und aus Asset-Liability-Überlegungen gezwungen, mehrheitlich in festverzinsliche Anlagen zu investieren. Eine Lebensversicherung hat sehr lange, zinssensitive Verpflichtungen. Entsprechend dominieren Obligationen mit langen Laufzeiten. Das tangiert uns derzeit wegen der tiefen Zinsen eher negativ. Es zwingt uns, das Anlagespektrum wohldosiert in Richtung von Investments mit weniger hohem Rating zu erweitern. Dazu gehören Unternehmensanleihen mit einem tiefen Investment-Grade-Rating sowie amerikanische und europäische Private-Debt-Anlagen.

Die tiefen Zinsen sind für die Manager von Versicherern und Pensionskassen auch im laufenden Jahr eine grosse Herausforderung. Wie lassen sich trotzdem ansprechende Erträge erzielen?

Wir setzen auf Aktien mit überdurchschnittlichen Dividendenrenditen sowie Immobilien mit einer hohen Cashflow-Rendite. Bei den direkt gehaltenen Immobilien kommt der professionellen Bewirtschaftung eine ganz hohe Bedeutung zu. Zudem sind wirtschaftlich genau abgewogene Renovationsstrategien notwendig. Forciert wurde auch das Geschäft mit Hypotheken, weil diese Anlagen im Vergleich mit festverzinslichen Papieren attraktiv sind. Gleichzeitig haben wir den illiquiden Anteil ausgebaut. Dazu zählt die Vergabe von Darlehen an öffentlich-rechtliche Institutionen wie Gemeinden, Kantone, Kraftwerke. Schliesslich gibt es kleinere Beimischungen von alternativen Anlagen wie Private Equity, Private Debt, Infrastruktur und Insurance Linked Securities (ILS).

Aber es ist nicht ganz einfach, in aktuell äusserst volatilen Kapitalmärkten den Wunsch nach Renditen und Sicherung des Vermögens unter einen Hut zu bringen. Welche Strategie verfolgen Sie?

Das ist immer ein Kompromiss. Sicherheit hat ihren Preis. Wichtig ist, dass ein Anleger genau weiss, wie viel Verlust er tragen kann und will. Dies geschieht kurzfristig mit Blick auf das Jahresergebnis und langfristig auf die Kapitalausstattung. Einen Teil der Aktien sichern wir systematisch mit einer rollenden regelgebundenen Derivatstrategie ab. Im Detail heisst das: Nach unten sind wir bereit, einen Verlust von 10 Prozent zu tragen. Ein grösserer Verlust ist praktisch abgesichert. In den aktuell durch die Notenbanken extrem verzerrten Märkten ist der Einsatz von Derivaten äusserst hilfreich.

Verursachen Produkte mit Rendite- und Risikovorgaben nicht hohe Kosten für die Absicherung?

Natürlich kostet es, Risiken zu vermeiden. Das ist das Grundprinzip der Versicherungswirtschaft. Ziel muss es sein, ein tragbares Risiko zu designen, und nicht, alle Risiken zu vermeiden. Als institutioneller Kunde können Sie die Profile managen. Damit lassen sich die Kosten beziehungsweise der Nutzen gegenüber Risiko versus Ertrag genau abwägen. Für Privatinvestoren ist dies schwieriger, weil sie gebündelt und teilweise komplizierte Fertigprodukte kaufen müssen. Dabei sind die eingebauten Kosten schwer zu erkennen – sogar für Finanzprofis.

Kann und soll man sich für eine Zinswende positionieren?

Ich wäre glücklich, die Zinswende käme. Aber sie wird wahrscheinlich noch sehr lange nicht kommen. Wenn die Zinsen einmal wieder steigen, dann nur äusserst langsam. Die Konjunktur ist derzeit angeschlagen. Zudem ist aufgrund der Inflationsentwicklung und des instabilen Euro-Konstrukts kein Zinsanstieg absehbar.

Der Drang an den Aktienmarkt hat das Kurs-Gewinn-Verhältnis der meisten Risikopapiere auf ein historisch hohes Niveau gehoben. Erwarten Sie trotzdem einen weiteren Anstieg der Aktienquote in den Portfolios der Versicherer und Pensionskassen?

Bei den Versicherern könnte ich es mir vorstellen, allerdings mit einer Absicherung gegen Extremverluste. Bei den Pensionskassen sehe ich es weniger, weil sie bereits über sehr hohe Aktienbestände verfügen. Eine grössere nachhaltige Korrektur ist bei den Aktien wegen der Kehrtwende in der Geldpolitik kürzlich wieder weniger wahrscheinlich. Allein schon wegen der vergleichsweise attraktiven Dividenden halten Investoren an Aktien fest.

Welche Rolle spielen alternative Anlagen wie Hedgefonds, Private Equity oder Infrastrukturanlagen?

Wir haben alternative Anlagen in letzter Zeit ausgebaut. Die Bedeutung von Private Equity dürfte zunehmen. Der Markt wächst und stellt eine interessante Alternative dar. Infrastruktur wäre mit der langen Laufzeit und den halbwegs beschränkten Risiken ideal für Versicherungen. Aber das Angebot in der Schweiz, Europa und den USA ist beschränkt. In Entwicklungs- und Schwellenländern ist uns das politische Risiko zu hoch.

Zu den tragenden Pfeilern in einem ausgewogenen Portfolio gehören die Immobilien. Wegen der grossen Nachfrage werden laufend neue Fonds aufgelegt. Setzt sich dieser Trend wegen der stabilen Erträge im Liegenschaftssektor fort?

Ja, in abgeschwächter Form. Es ist absurd: Halbleere Häuser weisen eine bessere Rendite auf als Anleihen. Das sagt ziemlich viel über die irreale Zinssituation aus. Das Angebot an guten Standorten wird immer knapper. Immobilien an peripheren Lagen sind in den vergangenen Jahren zu teuer geworden. Da werden Investoren längerfristig Federn lassen.

Soll man bei Wertschriftenfonds eher aktiv oder passiv investieren?

Entscheidend ist die richtige Mischung. Ein normaler Investor kann bei den Aktien die Kernmärkte passiv abdecken. In Entwicklungs- und Schwellenländern ebenso wie bei Obligationen sind aktive Investmentstrategien angezeigt.

Wird das auch beeinflusst durch Kostenüberlegungen?

Auf jeden Fall. Wenn man einen aktiv gemanagten Schweizer Aktienfonds mit Gebühren von 1,3 Prozent kauft, wird das durch die langjährige Outperformance kaum wettgemacht.

Die Palette an Exchange Traded Funds (ETF) hat sich über die klassischen Indexprodukte hinaus stark ausgeweitet. Was halten Sie von Investments in Smart-Beta-Produkte, die etwa weniger volatile Aktien in einen Index aufnehmen oder Titel mit einer hohen Dividende?

Diese Produkte sind spannend. Es stellt sich einfach die Frage, ob Anleger, für die solche Vehikel gedacht sind, auch wissen, wie man sie richtig einsetzt. Als Privatinvestor muss man das richtige Timing beim Einsatz haben. Wenn man diese Produkte bündelt, dann erhält man wohl wieder ein komplettes Marktprofil, aber zu höheren Kosten. Bei Pax setzten wir diese Produkte nicht ein.

Inwiefern werden Kryptowährungen künftig das Asset Management beeinflussen?

Sie sind als Wertpapierersatz in ferner Zukunft denkbar, sofern die Technologie schneller, effizienter und kostengünstiger wird. Generell glaube ich nicht an den Erfolg von privat geschaffenen Kryptowährungen, weil eine stabile Währung eine Geldmengensteuerung in Relation zum Wirtschaftswachstum voraussetzt. Zudem wird die Politik früher oder später regulierend eingreifen, wie dies bei den Tech-Firmen nun auch geschieht. In digitalen Netzwerken ist die Bildung von Monopolen fast schon ein Naturgesetz.

Geldmarkt: Anlagen in Form von Bargeld, Konten und Termingeldern. Es sind liquide Anlagen, die zwar fast keine oder eine negative Rendite abwerfen, aber schnelles Umschichten bei guten Gelegenheiten ermöglichen.

«Es ist eine absurde Situation: Halbleere Häuser weisen eine bessere Rendite auf als Anleihen.»

Die Spezialistin Martha Scheiber (54) war von 2010 bis Mai 2019 Leiterin des Departements Asset Management und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Pax Versicherung, die auf Vorsorgelösungen für die private und berufliche Vorsorge ausgerichtet ist. Die gebürtige Urnerin schloss an der ETH Zürich ein Physikstudium ab und doktorierte in Statistik und Mathematik an der HSG. Anschliessend hatte sie im Asset Management von UBS und CS verschiedene Führungspositionen inne. Nebst ihrer letzten Tätigkeit bei Pax sitzt die Finanzspezialistin im Verwaltungsrat der Luzerner Kantonalbank.