Carolina Müller-Möhl hat einen Tipp für junge Frauen: Dranbleiben!

Sie haben Ihr Politikstudium mit einer Arbeit über die Nichtverbreitung von Atomwaffen abgeschlossen. Das war in den Neunzigern. Carolina Müller-Möhl: Das stimmt, und mein erster Schritt ins Berufsleben war dann ein Praktikum bei der UNO in New York. Wo ich die Gelegenheit hatte, im Büro der Vereinten Nationen für Abrüstungsfragen (Unoda) erste Einblicke in die weltpolitischen Realitäten zu gewinnen. Plötzlich hat das Thema Atomwaffen wieder bedrückende Aktualität. Der Krieg in der Ukraine ist eine menschliche Katastrophe und schwer zu ertragen. Dass nun Putin eine entsprechende Drohung ausgesprochen hat, erschüttert uns alle zusätzlich. Wie können Sie helfen? Es war klar, dass es umgehend Hilfe braucht für die Menschen, die jetzt fliehen müssen, und zwar finanzielle. Glücklicherweise arbeiten wir in der Müller-Möhl Foundation bereits seit der Corona-Zeit mit zwei passenden Organisationen zusammen, eine davon ist die Caritas. So konnten wir bereits in den ersten Kriegstagen Mittel an die richtige Stelle bringen, um den Frauen und Kinder zu helfen, die sich aus der Ukraine nach Polen retten. Und wie sind Sie als Investorin vom Krieg betroffen? Sie sind wohl eine der grössten privaten Investorinnen in der Schweiz? Wir sind vernünftig aufgestellt. In der Krise leidet natürlich auch unsere Performance. Aber ich bin eine langfristige Investorin und unser Portfolio ist entsprechend aufgebaut. Wir gehen keine unnötigen Risiken ein. Ziel ist, eine stetige, nachhaltige Entwicklung unseres Portfolios zu erzielen. «Aktuell braucht es einen Energiemix, bei dem Atomenergie dazugehören kann.» Sie setzen stark auf Nachhaltigkeit, jetzt steigen der Ölpreis und die Aktien von Rüstungsherstellern. Ich werde nach wie vor sicher nicht auf dem Buckel des Krieges in Ölfirmen und Waffenlieferanten investieren. Energie ist aber zu einem zentralen Thema geworden. Wir alle müssen uns künftig damit beschäftigen: für die Schweiz, für die Schweizer Wirtschaft und schliesslich für uns alle. Viele fordern, die Abhängigkeit vom russischen Gas zu kappen. Einige hoffen hier auf einen Schub für die Energiewende, realistischer erscheint ein Comeback der Atomkraft. Wir müssen nach nachhaltigen Energiequellen suchen und noch viel innovativer werden. Da wären wir mit unseren Hochschulen dazu prädestiniert, Lösungen zu erarbeiten. Aktuell braucht es aber einen Energiemix, bei dem Atomenergie dazugehören kann. Der Angriff Russlands wird das Nachdenken über die Herkunft von Energie langfristig massiv prägen und verändern. Sie verwalten Ihr Vermögen über ein Single Family Office – wie stark sind Sie persönlich investiert? Wir – meine zwei Verwaltungsräte und ich – beraten uns regelmässig. Der finale Entscheid liegt dann bei mir. Selbstverständlich tausche ich mich auch täglich mit meinem Team aus. Und wenn es das Thema erfordert, beschäftigen wir zusätzlich externe Fachteams. Ich sehe mich als Executive Chairwoman und stehe auch gerade, wenn wir einen Fehlentscheid treffen.Zur Person Carolina Müller-Möhl ist eine Schweizer Investorin und Philanthropin. Nach dem Unfalltod ihres Mannes hat sie Anfang des Millenniums die Müller-Möhl Group gegründet, die sie seit über 20 Jahren leitet. 2012 gründete sie die Müller-Möhl Foundation, welche sich für die Themen Bildung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Standortförderung einsetzt. Mit einem Vermögen von 700 bis 800 Millionen Franken zählt die «Bilanz» sie zu den Reichsten der Schweiz. Sie amtet ausserdem als Verwaltungsrätin bei Orascom und der «Neuen Zürcher Zeitung» sowie als Aufsichtsrätin bei Fielmann. Von 2004 bis 2012 war sie Verwaltungsrätin von Nestlé. Darüber hinaus hat sie mehrere Stiftungs- und Beiratsmandate inne. Sie setzt sich seit Jahren für die Gleichstellung von Frauen ein. Früher waren Sie stärker in Einzelinvestments investiert, beim Tech-Konzern Ascom, beim Handelshaus DKSH oder beim Schweizer Implantathersteller Plus Orthopedics. Das ist korrekt, ist aber auch schon 15 Jahre her. Unsere letzten Aktien von Ascom, DKSH und Plus Orthopedics haben wir schon lange verkauft. Seither ist viel passiert an den Märkten und unser Portfolio hat sich entsprechend stark gewandelt. Heute sind Sie breiter investiert. 60 Prozent unseres Portfolios ist in Wachstumsthemen investiert, 40 Prozent sind konservativ angelegt. Wir sind über alle Anlageklassen breit aufgestellt. Von Private Equity und Direktinvestitionen bis hin zu Hedgefonds, Bond Proxies, Immobilien, Versicherungsverbriefungen und anderen Spezialthemen. Ist Ihr Risikoappetit gesunken? Mit 60 Prozent der Assets im Bereich Wachstum – da würden viele sagen, das ist keine risikofreie Strategie. Angesichts der breiten Diversifikation und verschiedener anderer stützender Massnahmen kann ich aber gut schlafen. Mein persönlicher Fokus liegt heute auf Investments in Private Equity. Da haben wir über die letzten Jahre unter anderem in die Bereiche Health Care und Food 4.0 investiert. Ein Thema, das mich besonders interessiert, ist Digital Health. Ein Beispiel dazu ist etwa die US-Firma Patientpop, ein Softwareentwickler, der Digitaldienstleistungen für Ärztinnen und Ärzte anbietet. Digital Health – ein Modethema. Da haben Sie recht. Mich interessiert es jedoch schon sehr lange, es gehört quasi zur Familiengeschichte: Mein Vater ist Psychiater, meine Mutter Psychologin, meine Schwester ist Professorin für Neurologie. Und das zweite Thema, das mich fasziniert, ist Food 4.0. «Ich gebe zu, ich esse immer noch gerne mal ein Steak.» Geht das Interesse auf Ihr Verwaltungsratsmandat bei Nestlé zurück? Ja und Nestlé hat seither viel investiert in diesem Bereich, ein grosses Forschungs- und Entwicklungszentrum gebaut, einen Accelerator, mit Platz für Startups und neue Ideen. Seitdem Mark Schneider am Ruder ist, hat der Aktienkurs um 40 Prozent zugelegt. Wir können sehr zufrieden mit der Arbeit von Herrn Schneider sein. Aber ich weiss aus meiner Zeit als Verwaltungsrätin, dass Nestlé ein top Managementteam hat und gegen 300’000 Mitarbeitende. Da tragen ganz viele zum Erfolg der Firma bei. Schlägt sich Ihre Investmentpräferenz in Ihrem Konsum nieder? Sind Sie Vegetarierin geworden? Ich gebe zu, ich esse immer noch gerne mal ein Steak, bin also keine Vegetarierin. Aber ich esse definitiv viel weniger Fleisch als früher. Hat Sie das breite Fleischersatzangebot noch nicht überzeugt? Doch. In der Corona-Zeit verbrachten wir viel Zeit zu Hause, haben sehr viel gekocht und all die pflanzenbasierten Produkte ausprobiert. Darunter hat es tolle Angebote. Wir sind zudem an einer Firma beteiligt, die auf nicht tierisches Milchprotein setzt. Sie heisst Perfect Day, eine Firma aus Kalifornien. Eine der grossen Fragen ist zweifellos: Wie können wir bei wachsendem Konsum die Ernährung sicherstellen? Die Firma Beyond Meat war der grosse Höhenflieger beim pflanzlichen Fleischersatz. Haben Sie die auch auf dem Radar? Wir haben uns die Firma tatsächlich angeschaut, aber sie war uns schon früh zu teuer. Wir haben den Vorteil, dass wir nicht unter Zeitdruck investieren müssen. Ich mache auch keine kurzfristigen Trends mit; die Themen müssen wirklich tragen. Wir nehmen uns die Zeit, die Firmen und Titel sehr genau anzuschauen. Welchen nicht? Traden und Stock Picking liegt uns nicht. Sie sitzen in vier Verwaltungsräten und in diversen Beiräten, Gründungs- und Beratungsgremien. Wir zählen 15 Mandate. Zum Peak waren es noch mehr, und das waren definitiv zu viele. Ihr Tag hat auch nur 24 Stunden. Es ist überhaupt nicht so, dass ich jedes Mandat übernehme, das an mich herangetragen wird. Besonders gerne angenommen habe ich immer Mandate, die sich direkt mit zivilgesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen. Beispiele dafür sind Avenir Suisse, Bertelsmann Foundation oder Economiesuisse. Dann liegen mir Next-Generation-Themen am Herzen, weshalb ich bei der Pestalozzi-Stiftung, der Excellence Foundation und im Beirat der ZHdK dabei bin. Und last but not least, aber das wissen Sie ja, liegt mir die Frauenförderung am Herzen. Alles Themen, die aus meiner Sicht zentral sind für den Erfolg unseres Landes. Trotzdem – ist das nicht einfach sehr viel? Doch. Wie viele andere hat mich die Pandemie zu einem plötzlichen Stopp gezwungen. Ich hatte Zeit zum Nachdenken und habe entschieden, dass ich in den nächsten Jahren ein Rebalancing vornehmen will. Weniger Mandate? Ich werde über die nächsten zwei, drei Jahren Mandate abgeben und mich fokussieren auf Mandate mit dem Thema Next Generation. Dazu gehören die VR-Mandate bei Orascom und bei Fielmann. Beides Familienunternehmen, bei denen gerade die Söhne mit Anfang dreissig die Leitung übernommen haben: Naguib Sawiris und Marc Fielmann. In beiden Fällen eine sehr spannende und herausfordernde Arbeit. Was bringen Sie bei Fielmann und bei Orascom ein? Ich hoffe, ich kann Marc Fielmann und Naguib Sawiris eine gute Ratgeberin sein. Nämlich dort, wo sie wirklich Rat suchen. Ich war selbst jung, als ich plötzlich Verantwortung übernehmen musste, und weiss, wie es dann auf einmal viele Berater und Beraterinnen geben kann, auch ungebetene. Es ist wichtig, eigene Entscheidungen treffen zu lernen. Gerade die Übergabe von erfolgreichen Familienunternehmen an die nächste Generation ist ein kritischer Moment. Hier möchte ich unterstützen und darf dabei auf zwanzig Jahre Erfahrung als Mandatsträgerin und Unternehmerin zurückgreifen. Und wie sieht Ihre Next-Gen-Planung bei der Müller-Möhl-Gruppe aus? Ihr Sohn arbeitet in New York. Er arbeitet dort bei einem spannenden Tech-Unternehmen und sammelt erste Erfahrungen nach dem Studium. Dann werden wir weitersehen. Am Dienstag ist Weltfrauentag. Sie setzen sich seit Jahren für mehr Frauen in Toppositionen in der Schweizer Wirtschaft ein. Was haben Sie erreicht? Ein Tag zum Feiern! Als ich vor 15 Jahren in Verwaltungsräte eintrat, war ich oft die einzige Frau im Gremium. Das ist heute zum Glück nicht mehr so. Und trotzdem sollten gerade wir Frauen uns kontinuierlich bemühen, andere Frauen nachzuziehen. Der Anteil der Frauen in Geschäftsleitungen ist nur leicht gewachsen. Die Veränderung braucht länger, als man denkt. Das ist so. Aber ich kann sehr hartnäckig sein. Es braucht auch Mut und Durchhaltewillen: den Mut, als Frau im Gremium das Thema Gleichstellung anzusprechen, und das Durchhaltevermögen, dies immer wieder zu tun. Das hat seinen Preis, denn glauben Sie mir, man macht sich damit nicht nur Freunde. Was hat sich verändert? Heute bin ich nicht mehr eine der wenigen, die die Relevanz von gemischten Teams herausstreicht. Heute findet man einfacher Frauen für die entsprechenden Gremien. Sie sind viel sichtbarer. Bei Orascom sitzen nur zwei Frauen im Verwaltungsrat – neben sieben Männern. Da haben Sie ja noch Raum, um Druck zu machen. Das sehen Sie absolut richtig. Naguib Sawiris ist jung und verkörpert die nächste Generation. Ich bin da sehr optimistisch. Samih Sawiris, dessen Vater, ist ein Visionär, er hasst Papier, ist der Mikromanager. Wie tickt sein Sohn? Naguib kennt sich in allen digitalen Themen hervorragend aus, hat ein erfolgreiches Startup im Silicon Valley gegründet und ist nun dabei, Orascom auf das nächste Level zu bringen. Und wenn wir gerade bei Zahlen sind: Beim Brillenkonzern Fielmann liegt der Frauenanteil in der Geschäftsleitung bei 25 Prozent. Lange gab es bei Fielmann keine Frau im Vorstand. Wir haben das mit Marc Fielmann thematisiert. Seit dem letzten Jahr hat Fielmann jetzt eine Frau im Vorstand. Und natürlich diskutieren wir immer wieder grundsätzlich, wie es Fielmann gelingen kann, mehr Frauen in geschäftsleitende Positionen zu bringen. «Mein Rat ist eigentlich immer der Gleiche: Bleib dran. Nicht aufgeben.» Bei welchen Organisationen ist es besonders schwierig, Frauen zu fördern? Dort, wo Mandate an Funktionen gekoppelt sind. Beispielsweise ans VR-Präsidium oder an den CEO. Denn dann werden grossmehrheitlich Männer in die Gremien nominiert. Da diese Positionen bis heute primär männlich besetzt sind. Die Professorin Iris Bohnet hat für solche Fälle in ihrem Buch «What Works» einige smarte Änderungsvorschläge gemacht. Zusätzlich erlaube ich mir die Bemerkung: Letztlich ist der Wille zentral, das heisst, wer sein Gremium diverser machen will, findet Wege. Was raten Sie den Frauen, die am Anfang ihres Berufsweges stehen? Mich erreichen tatsächlich viele Anfragen – auch per E-Mail oder per Linkedin – zum Beispiel von Frauen, die unsicher sind, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut bringen sollen. Mein Rat ist eigentlich immer der Gleiche: Bleib dran. Nicht aufgeben. Was sind die wichtigsten Fragen? Oft sind es Frauen, die nach dem Studium drei bis fünf Jahre lang in einem Job waren und nun eine Familie gründen wollen. Gerade kürzlich hatte ich einen Anruf von einer jungen Frau, in einer guten Stellung bei einem grossen Unternehmen. Sie sagte, sie arbeite Tag und Nacht, habe zwei kleine Kinder, und weil der Mann gut verdiene, überlege sie sich, eine Zeit lang mit Arbeiten aufzuhören. Der Klassiker. Was haben Sie dieser Frau gesagt? Ich plädiere stets dafür, nicht auszusteigen, sondern im Arbeitsmarkt zu bleiben. Und wenn die Frau wegen eines Kindes reduzieren will? Nach der Zeit im Mutterschutz kann sie von 100 auf 80 Prozent reduzieren. Pensen unter 80 Prozent aber machen es für eine Karriere schwierig. Wichtig ist, sich gut zu organisieren, sich helfen und beraten zu lassen. Ich sage den jungen Frauen: Bleibt dabei, auch wenn es eine anstrengende Phase sein wird. Es lohnt sich in allen Aspekten. Wir reden beim Thema Vereinbarkeit oft über die Mütter und wie sie es stemmen können. Was ist mit den Vätern? Vielleicht rede ich darüber weniger, weil es für mich eine absolute Selbstverständlichkeit ist, dass die Partnerschaft gleichberechtigt sein sollte. Meine Eltern haben beide 100 Prozent gearbeitet, haben sich den Haushalt fifty-fifty geteilt, auch die Erziehungsaufgaben. Mein Vater hat ebenso oft eingekauft und das Nachtessen zubereitet wie meine Mutter. Das ist mein Selbstverständnis. Ihre Eltern waren Akademiker mit entsprechendem Einkommen. Das bestreite ich nicht, im Haushalt hatten wir in der Tat zusätzliche Unterstützung. Aber nochmals: Ich bin aufgewachsen mit dem Selbstverständnis, dass der Mann und die Frau den gleichen Anteil leisten im Beruf wie in der Familie. Denken Sie, dass Ihre Erfahrung die Normalität in den Schweizer Familien abbildet? Eine gleichberechtigte Aufteilung? Dass dem nicht so ist, zeigen ja leider schon die offiziellen Statistiken des Bundesamtes. Da haben wir noch einen Weg vor uns.

Carolina Müller-Möhl hat einen Tipp für junge Frauen: Dranbleiben!

«Gerade wir Frauen sollten uns bemühen, andere Frauen nachzuziehen»