Ulrich Spiesshofer ist wieder einmal auf Stippvisite in Indien, zum zweiten Mal in einem halben Jahr, zum dritten Mal in seiner zweieinhalb Jahre dauernden ABB-Regentschaft. Im Tagesrhythmus setzt die PR-Abteilung der indischen Tochter deswegen eine Medienmitteilung auf. Mit schönen Worten und netten Bildern wird beschrieben, wie der Konzernchef eine Technologiepartnerschaft mit einer indischen Hochschule unterschreibt oder die Zusammenarbeit mit einer indischen Firma lobt.

Der tatsächliche Grund seines Besuches ist aber ein anderer: Narendra Modi, der indische Premierminister, hat am Dienstag den Startschuss für sein Mega-Projekt «Stand Up India» gegeben. Der Plan sieht vor, 18'000 Dörfer ans Stromnetz anzuschliessen und bis 2030 nur noch elektrisch betriebene Rikschas durch das Land rollen zu lassen.

ABB setzt auf den indischen Markt

Spiesshofer wittert deshalb das grosse Geld. Angesichts schwacher Konjunkturentwicklung in China und Europa sucht er sein Heil in Indien. Rund 100 Millionen Dollar investiert ABB pro Jahr, zwölf Fabriken stehen im Land, 8900 Personen arbeiteten Ende 2015 für die Schweizer, in einem Jahr sollen es bereits 10'000 sein. In den kommenden Jahren sollen nochmals tausende in den Sold von ABB gestellt werden. Das Ziel: Umsatzverdoppelung.

In dieser Woche hatte Spiesshofer nun endlich Gelegenheit, dem Premier persönlich von seinen hehren Absichten im Land zu erzählen. Er habe mit Narendra Modi über dessen Reformpläne sprechen können, sagt er im Gespräch mit der indischen «Economic Times», der zweitgrössten englischen Print-Zeitung der Welt. Genaueres gab er nicht bekannt, fügte aber schelmisch – und für einen Konzernchef mit einem Jahresumsatz von fast 40 Milliarden Franken fast schon bescheiden – an: «Wenn Sie einen Premierminister treffen, dann hören Sie zuerst zu.»

Grosses Potenzial für lukrative Aufträge

Obschon sich Spiesshofer über den Inhalt des Gespräches mit dem Premier bedeckt hielt, nutzte er die Gelegenheit, um seinen Konzern im Gespräch mit der Zeitung nochmals ins beste Licht zu rücken. Die indische Tochter, notabene die einzige börsenkotierte ABB–Tochtergesellschaft, spiele eine essenzielle Rolle in seiner Strategie, so Spiesshofer.

Zunächst will ABB die Möglichkeiten nutzen, die das Land bietet. Mehr als 300 Millionen Inder haben keinen Strom. Daraus ergeben sich Chancen für lukrative Aufträge. Ausserdem leidet Indien immer wieder unter Flutkatastrophen. Erst im vergangenen Dezember stand die an der Ostküste Südindiens gelegene Stadt Chennai während Wochen unter Wasser. ABB hat selbst einen Ableger vor Ort.

Exporthub für ganze Weltgegend

Die Technologie und das Know-how des Konzerns könnten künftige Flutkatastrophen verhindern, zeigt sich Spiesshofer überzeugt. Als Beispiel verweist er auf Venedig, wo der Konzern die Automatisierungstechnik für die Flutbarrieren liefert. Man sei offen für ähnliche Kooperation mit den indischen Behörden, ergänzte Spiesshofer – ein Wink mit dem Zaunpfahl.

ABB hat in Indien aber noch Grösseres vor: Das Land soll zum Exporthub für ganz Südostasien und die Region Subsahara Afrika werden. Im Süden Indiens soll das Software- und Service-Herz des Konzerns schlagen. Die bisher 68 Business Centers, die über die ganze Erdkugel verstreut waren, sollen auf gerade einmal zwei Standorte eingedampft werden, einer davon in Indien.

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