Die national-konservative Partei SVP hat mit ihrer vom Schweizer Volk angenommenen Initiative für das Abbremsen der Einwanderung typische populistische Angstargumente genutzt: Ausländer kommen in Massen, sorgen für überfüllte Züge, strapazieren die Sozialsysteme, durch sie steigen die Mieten und Bodenpreise. Vor Ausländerkriminalität, Asylmissbrauch und Kulturwandel in den Führungsetagen warnt die SVP.

In der Realität sind die wenigsten Regionen der Schweiz überbevölkert verglichen mit anderen Ländern. Es gibt zwar viele Ausländer, rund 23 Prozent beträgt der Anteil. Doch sie sorgten in der Vergangenheit dafür, dass die Schweiz trotz ihrer geringen Grösse wirtschaftlich prosperierte. Steuervorteile lockten zudem grosse Konzerne an und die von ihnen benötigten Fachkräfte, die die kleine Schweiz nicht selbst ausbilden kann, zogen ins Land. Aus diesem Grund warnten sämtliche Wirtschaftsgrössen – ob von multinationalen Konzernen oder mittelständischen Unternehmen – eindringlich vor der SVP-Initiative. Dem schlossen sich einheillig die Gewerkschaften an und sämtliche Parteien der Schweiz.

Lohndumping als Angstmacher

Das Bevölkerungswachstum, angetrieben durch den Zustrom aus dem Ausland, brachte bislang die Wirtschaft auf Trab, stellte das unabhängige Schweizer Wirtschaftsforschungsinstitut BAK Basel schon voriges Jahr fest und warnte bereits ohne die Masseneinwanderungsinitiative der SVP, dass die Bevölkerungszunahme als Wachstumsmotor künftig nicht einmal mehr ausreiche.

Doch nun wurde Lohndumping zum grossen Angstmacher in der Schweiz. Dabei fehlt diesem Argument die Grundlage. Billige Spezialisten aus dem Ausland zögen die Jobs an sich undsenkten zugleich die Löhne, reklamierte die SVP. Die Tatsache: Zahlen des Schweizer Bundesamts für Statistik zeigen, dass die Reallöhne seit dem Start der Personenfreizügigkeit zwischen EU und Schweiz 1999 innerhalb von dreizehn Jahren um 8,2 Prozent stiegen – im selben Zeitrahmen in den Jahren davor zogen die Löhne nur um 4,6 Prozent an.

Ein grosser Sorgenpunkt ist zudem der häufige Auftritt von Ausländern in allen Bereichen des Lebens. Die Spitäler der Schweiz beispielsweise sind zu sehr grossen Teilen mit Ausländern besetzt. Vor allem Deutsche, aber auch etwa österreichische Ärzte und Pflegepersonal stehen im OP oder arbeiten auf der Station. Man traue sich kaum, dort den eigenen Dialekt zu sprechen, so werden kritische Stimmen laut. Das mag verständlich sein. Jedoch investiert die Schweiz zu wenig in die Ausbildung von Medizinpersonal, wie schon lange bekannt ist, diskutiert wird und doch nichts geschieht. Das Problem: Die Arztausbildung ist immens teuer. Und längst sind auch Schweizer Kantone finanziell immer schlechter aufgestellt. Es fiel ihnen also leichter, die gut ausgebildeten Ärzte und Stationspersonal aus dem Ausland anzuheuern – die ihnen nun zu viel werden.

Das Rezept der SVP

Gern triumphieren Schweizer auf, wenn ihre Wirtschaftskraft demonstriert werden kann, ihre günstigen Steuern, ihre direkte Demokratie, ihre schöne Landschaft. Oft wird dann betont, wie wichtig die Schweiz sei, ein wie viel besseres Leben die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern bietet. Wie erschrocken nahmen Schweizer vor einiger Zeit zur Kenntnis, dass Deutsche beginnen, stärker wieder abzuwandern. Es war eine Erschütterung des Selbstverständnisses, das bessere und attraktivere Land zu sein.

Es liegt eine gefährliche Kluft zwischen der Selbstüberhöhung und der Verlustangst. Sie scheinen den Blick auf die Realtitäten zu verstellen. Obwohl die Arbeitslosenquote mit 3,5 Prozent enorm niedrig ist, die florierende Wirtschaft eufür Wohlstand sorgt, konnte die SVP Angst vor Ausländern schüren, die etwas von diesem Wohlstand wegnehmen könnten statt ihn zu verstärken.

Das Rezept der SVP, das die Schweizer nun wollen: Kontingente, wieviele Ausländer ins Land dürfen und eine mögliche Beschränkung des Familiennachzugs, des Aufenthaltsrechts, der Sozialleistungen. Arbeitssöldner heuert die Schweiz damit an. Keine Menschen, denen es um das Wohl des Landes geht. Die Schweiz will sich die Rosinen herauspicken, gute Arbeitskräfte – aber die Familie soll lieber weg bleiben. Die Kinder der angeheuerten Spezialisten könnten ja die Kinderbetreuung beanspruchen, ein nicht arbeitender Partner Kindergeld oder andere Sozialleistungen kassieren. Auch das Argument, Ausländer würden schliesslich die Krankenkassenkosten treiben, da sie ja auch krank würden, sind gefallen – dabei zahlen sie natürlich ins teure Krankensystem ein. Ausländer beziehen einmal Rente, zahlen aber auch hierfür vorab Beiträge.

Wohlstand aufs Spiel gesetzt

Die Schweiz präsentiert sich mit der Annahme der Initiative gegen Masseneinwanderung als ängstliches, als trauriges Land. Es passt zum Ja für ein Verbot zum Bau von Minaretten. Es passt auch zum rückständigen Verhalten der Schweiz beispielsweise gegenüber arbeitenden Frauen, denen erst 1971 das Wahlrecht gegeben wurde – im Kanton Appenzell Innerrhoden sogar erst 1990. Frauen sind noch seltener im Job oder in Führungspositionen anzutreffen schweizweit als in vielen anderen europäischen Ländern. Kein Wunder: Sie müssen bis zur Geburt eines Kindes arbeiten und 14 Wochen danach an den Arbeitsplatz zurück. Ein Kinderkrippenplatz kostet in Vollzeit zwischen 1000 und 2000 Franken. Es herrscht die Erwartung vor, dass Frauen mit ihren Kindern zu Hause bleiben. Fortschritt klingt anders.

In einer globalisierten Welt wird die Schweiz vermutlich nicht lange auf die Rechnung dieses Kurses der Abschottung warten müssen. Es ist kaum einsichtig, warum etwa die EU die mit der Personenfreizügigkeit gekoppelten Erleichterungen für Schweizer Unternehmen und Reisende aufrecht erhalten sollte – denn sie sind untrennbar mit der Freizügigkeit gekoppelt.

Bislang profitiert die Schweizer Wirtschaft dadurch nicht nur von guten Fachkräften aus dem Ausland. Sie kann auch leichter Produkte exportieren, weil nötige Genehmigungen zwischen Schweiz und EU angepasst wurden. Produkte werden vereinfacht zugelassen für den Verkauf in EU-Ländern. Agrarprodukte können leichter gehandelt werden, weil Zölle abgebaut und Vorschriften etwa für Pflanzenschutz gegenseitig anerkannt werden. Schweizer Fluglinien wie die Swiss haben durch die EU-Verträge Zugang zum Luftverkehr der europäischen Märkte. Schweizer Forscher werden mit EU-Mitteln gefördert, wie die anderer Länder der Europäischen Union auch. Zwischen 2007 und Mitte 2012 sind rund 1,6 Milliarden Franken an Fördermitteln der Europäischen Union in die Schweiz geflossen.

Die Schweiz setzt ihren Wohlstand aufs Spiel. Es fehlt an Augenmass.

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Kristina Gnirke ist Redaktorin der Bilanz und deutsche Staatsbürgerin.