Angsterfülltes Kreischen, das sich mit spitzen Lustschreien paart – Geräusche und Gefühle, die derart kombiniert ansonsten nur in dunklen, mit Leder ausgeschlagenen Kellerräumen zu hören sind. Hier jedoch dringen die Emotionen bis hinaus auf die Zufahrtsstrasse: Hier, das ist der Europa-Park im deutschen Rust, der dank einer Million Schweizer Gäste pro Jahr als helvetische Exklave gelten kann.

Während sich oben auf den Schienen der blau gestrichenen Achterbahn «Blue Fire» und auf dem 70 Meter hohen «Silver Star» Augen weiten und Arme nach vorne strecken, reiht sich unten in den Warteschlangen ein erwartungsfrohes Grinsen an das nächste. Doch in einigen Gesichtern liegt auch nackte Beklemmung.

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«Ich habe immer behauptet, dass Achterbahnfahren zum Teil eine Mutprobe ist», sagt Branchenlegende Werner Stengel. In unserem durchorganisierten Leben, weiss Stengel, «fehlen Erlebnisreize und Überraschungseffekte» – die liefert der Ritt auf der Stahlschiene. Und Patrick Spieldiener, der diese Reize und Effekte in Metall übersetzt, sagt abgeklärt: «Ich finde es toll, was unsere Branche auf die Beine stellt.»

Schweizer Heimspiel

«Unsere Branche»: Die Vereinnahmung des Achterbahnwesens durch Spieldiener ist nicht zu hoch gegriffen. Spieldieners 1967 gegründete Familienfirma Intamin – ein Akronym für INTernational AMusement INstallations – ist weltweit führend im Bau von Coastern, wie Achterbahnen auf der ganzen Welt genannt werden. Und Intamin, mit Wurzeln im Wallis und in Schwyz, diente zudem als Blutspender für die Fahrspassbranche.

Insbesondere für Bolliger & Mabillard (B&M): Zwei Mitarbeiter eines Stahlbaulieferanten, der unter dem Schirm Intamins in den Bau von Achterbahnen eingeführt wurde, machten sich mit dem erworbenen Know-how davon und traten ab 1988 gegen Intamin an. B&M ist heute im Coaster-Geschäft eine der ersten Adressen.

Daneben drehen weitere Schweizer Bahnbauer ihre Runden. Sie spielen zwar global keine Rolle – aber sie unterstreichen, was bei uns kaum jemandem bewusst ist: Die Schweiz ist eine Weltmacht im Bau von Achterbahnen. Der globale Spassmarktführer heisst Helvetia.

Von den Anfängen des Gyro-Towers

Doch so betrüblich es ist: Ein Teil des Ruhms gebührt den Nachbarländern. Die Brüder Robert und Reinhold Spieldiener stammten aus Zell am See in Österreich und waren um 1960 ins Wallis eingewandert. Sie fanden Arbeit beim Seilbahnbauer Willy Bühler, wo auch ihr Landsmann Alphons Saiko werkte. Diese drei arbeiteten eine Bestellung ab, die den Geburtsprozess der Schweizer Achterbahnindustrie einläutete: Der Stockholmer Freizeitpark Gröna Lund wollte einen Aussichtsturm.

So entstand der Gyro-Tower, ein schlanker Stengel, an dem sich eine ringförmige Kabine nach oben schraubt und an der Spitze einige Runden dreht, bevor sie sich wieder gemächlich zur Erde senkt. Schnell meldeten sich Interessenten, vor allem US-Freizeitparks, die fortschrittlicher waren als die europäischen.

Doch Bühlers sprachen kein Wort Englisch, das Auslandsgeschäft war ihnen nicht geheuer. Also machten sich Robert Spieldiener und Saiko 1967 mit Intamin selbständig – und als klar war, dass sich das neue Business tragen würde, stiess ein knappes Jahr später Reinhold dazu. Diese drei hatten dann lange Zeit die Firma zu gleichen Anteilen, bis sich Saiko, bereits im Pensionsalter, zurückzog.

Angebotspalette wurde immer breiter

Die Türme erwiesen sich als Verkaufsschlager, auch der Europa-Park legte sich einen zu. Intamin entwickelte sie weiter, 1969 etwa erhob sich der 91 Meter hohe «Oil Derrick» in Arlington, Texas, noch heute ein beliebter Aussichtspunkt im dortigen Park Six Flags Over Texas. Six Flags, einer der weltweit grössten Betreiber von Freizeitparks, «war sicher im ersten Jahrzehnt der wichtigste Kunde – die haben uns dahin gebracht, wo wir sind», sagt Patrick Spieldiener, Reinhold Spieldieners Sohn.

Die Angebotspalette wurde Jahr für Jahr breiter. Erstes klassisches Fahrgeschäft waren dann die «Drunken Barrels», Sitzfässer auf einer geneigten, rotierenden Plattform. Ureigene Intamin-Innovationen sind etwa «die Rundboote bei Wasserfahrgeschäften, später die Magnetbremstechnologie oder Freifallertürme». Die Magnetbremse, die Intamin patentieren liess, kam zunächst in den Türmen zum Einsatz, später auch in den immer höher werdenden Achterbahnen, deren Züge mehr Tempo und damit Bewegungsenergie auf der Rückkehr in den Bahnhof mitbrachten.

Regelrecht abgeschossen

Auch die Linearmotoren führte Intamin im Vergnügungsbusiness ein – um «Launch Coaster» anzutreiben, also Bahnen, die nicht klassisch per Kette oder Kabel einen Lifthügel hochgezogen werden und von hier aus allein mit kinetischer Energie den Rest der Strecke bewältigen, sondern die regelrecht abgeschossen werden. Und so eröffnete 1997 im Six Flags Park Magic Mountain bei Los Angeles «Superman: Escape from Krypton».

In sechs Sekunden beschleunigt das Fahrzeug in der Horizontalen auf 160 km/h, fährt mit dieser Energie einen 126 Meter hohen, senkrechten Turm hinauf, läuft sich kurz vor Ende der Strecke tot und rollt auf derselben Schiene zurück. Weil der Abschuss kurzzeitig mehrere Megawatt Strom brauchte, flackerte in der Umgebung des Parks immer mal wieder das Stromnetz, was nicht alle Anwohner lustig fanden.

Als Abhilfe erfand Intamin das Hydraulikkatapult. Hier wird komprimierter Stickstoff auf den Hydraulikmotor losgelassen. Dieser Antrieb kommt etwa bei der «Kingda Ka» im Six Flags Park New Jersey zum Einsatz, mit über 200 km/h lange Zeit die schnellste Achterbahn der Welt und mit ihrer Gipfelhöhe von 139 Metern bis heute die höchste. Design und Konstruktionsrechnungen für «Kingda Ka» hatte das Münchener Büro Stengel geliefert.

Der Wegbereiter

Werner Stengel ist nichts weniger als der Wegbereiter für den modernen Achterbahnbau. Der heute 79-Jährige, mit zwei Bauingenieursabschlüssen, einem Ehrendoktor und dem deutschen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, war Anfang der sechziger Jahre aus Bochum nach München gekommen, in «die nördlichste Stadt Italiens» – um hier seinen zweiten Abschluss zu machen. Für einen Ferienjob, er war ja bereits ausgebildeter Statiker, landete er beim Ingenieurbüro Brunner, das «eigentlich vor allem Stahlbeton machte, aber für einen Herrn Schwarzkopf einen Auto-Scooter bauen sollte».

Schwarzkopf, gelernter Karosseriebaumeister und im schwäbischen Münsterhausen beheimatet, war bereits im Bau von Fahrgeschäften für Schausteller aktiv. Jeden Montag kam Schwarzkopf zu Brunner, doch die Ingenieure machten alle einen Bogen um das Projekt. Stengel erbarmte sich, nahm die Unterlagen übers Wochenende mit nach Hause und rechnete alles fertig. Am Montag «fiel Schwarzkopf aus allen Wolken».

Eine langjährige Zusammenarbeit

Damit begann eine langjährige Zusammenarbeit. Stengel hatte gespürt, dass er in einem Zukunftsmarkt gelandet war. Er schlug ein Stellenangebot von Schwarzkopf aus und gründete sein eigenes, freies Ingenieurbüro. Schwarzkopf indes expandierte, doch ihm fehlte ein internationaler Vertrieb. Den übernahm 1974 die bereits breit vertretene Intamin, und so lernte Stengel Reinhold Spieldiener kennen, damals, so Stengel, «die treibende Kraft bei Intamin».

In dieser Zeit entwickelte Stengel seine drei wichtigsten Innovationen. Erst dank ihnen sind die heutigen, rasend schnellen Bahnfahrten mit engen Kurven und Inversionen (Fahrfiguren, bei denen die Passagiere kopfüber stehen) möglich: «die Klothoide, die Raumkurve und die Herzlinie».

Schleudertraumata waren an der Tagesordnung

Achterbahn-Loopings waren in den siebziger Jahren mit Gesundheitsgefahren verbunden. Die Rückhaltebügel waren noch rudimentär, also musste die Bahn den Looping möglichst schnell durchfahren, damit oben der Anpressdruck in den Sitzen ausreichte. Deshalb betrug die Krafteinwirkung auf die Passagiere unten an der Looping-Einfahrt bis zu 7 g – ähnlich viel, wie wenn man im Auto mit 30 km/h an eine Mauer kracht. Zudem stand inmitten des Loopings dann der Kopf schlagartig fast still, rotierte aber um die eigene Achse – Schleudertraumata waren an der Tagesordnung.

Stengel jedoch kannte aus dem Strassenbau die Klothoide: Die Biegung beginnt mit sehr weitem Radius und wird bis zum Scheitel immer enger. Daraus konstruierte er einen Looping, der wie eine stehende Ellipse aussieht – Problem gelöst. 1976 feierte der heutige Looping-Standard Premiere im Coaster «Great American Revolution» im Six Flags bei L.A. Er dreht noch heute seine Runden.

Das Ende des langjährigen organisierten Erbrechens

Noch wichtiger waren die beiden weiteren Entwicklungen. Während die Hersteller früher nur gerade und kreisförmige Schienen bogen, was am Kurveneingang abrupt zu grossen körperlichen Belastungen führte, bauen sich mit der Raumkurve heute Radien und Seitenneigung ganz allmählich auf, viel schonender also. Und die Herzlinie sorgt dafür, dass bei einer Rolle um die Längsachse nicht mehr der Schienenträger die Drehachse bildet, was Kopf und Magen bedenklich in Wallung bringt. Seitdem dreht sich quasi die Schiene um das Herz der Fahrgäste. Der Oberkörper geht also viel kleinere Wege, Gehirn und Magen samt Inhalt werden in Ruhe gelassen – das Ende des langjährigen organisierten Erbrechens.

Nicht zufällig sind viele der dank Stengel möglich gewordenen Fahrfiguren aus dem Kunstflug entlehnt, darunter so malerische wie der Korkenzieher oder der Immelmann. Und Dynamik ist nur eine der zahlreichen Ingenieursdisziplinen, die im Achterbahngeschäft zusammenwirken müssen; Maschinenbau, Statik, Metallkunde, Elektronik, Stahlbau, Holzbau, Schweisstechnik, sogar Medizin: Durch Datenerhebung bei Nasa, Luftwaffe und eben bei Kunstflugpiloten hat Stengel herausgefunden, dass die Belastung maximal 6 g für höchstens eine Sekunde betragen sollte. Innert einer Sekunde kann das Blut noch nicht aus dem Gehirn entweichen.

Über Jahrzehnte hat Stengel solches Wissen aufgebaut, weltweit gut 700 Achterbahnprojekte betreut. Jede Bahn fährt er sechs Mal Probe: vorne, in der Mitte und hinten, jeweils links und rechts. Das Fahrgefühl sei eben überall anders. Inzwischen hat er sogar seine eigene Fahrfigur, den «Stengel-Dive».

Eine dunkle Stunde

Mit Schwarzkopf erlebte Stengel aber auch eine dunkle Stunde: den Unfall der Indoor-Achterbahn «Mindbender» 1986 im kanadischen Edmonton. Drei Menschen starben, Auslöser waren wohl Herstellungsfehler. Die Gerichtsprozesse trieben Schwarzkopf in den Bankrott – und Vertriebspartner Spieldiener, der den Niedergang hautnah miterlebte, fuhr künftig zweigleisig, um den Schweizer Firmenbetrieb nicht durch juristische Risiken aus Nordamerika zu gefährden: Intamin gründete einen neuen Firmensitz in Liechtenstein. Das löste Verspannungen mit der Steuerverwaltung aus, doch die seien heute Vergangenheit, sagt Spieldiener. Den Schweizer Firmenteil baut er längst wieder aus.

Alles andere als vergangen ist eine Entwicklung, die ebenfalls in den achtziger Jahren ihren Lauf nahm. Damals nutzte Intamin als Lieferanten für Metallbau Giovanola in Monthey. Walter Bolliger leitete dort den Bereich Amusement Rides, Claude Mabillard die Konstruktion. In dieser Zeit fiel viel Know-how zum Achterbahnbau bei Giovanola an. Dieses Wissen nahmen die beiden mit, als sie 1988 Bolliger & Mabillard (B&M) gründeten.

Spieldieners waren bedient, nicht nur weil ein direkter Konkurrent startete, sondern auch weil Giovanola unter der Führung des damaligen VR-Präsidenten Pascal Couchepin – der spätere FDP-Bundesrat – selbst in den zukunftsträchtigen Achterbahnbau einsteigen wollte. Intamin, die Giovanola zuvor saniert und die Aktienmehrheit übernommen hatte, zog sich schrittweise zurück. Heute lässt Spieldiener etwa bei der slowakischen Stakotra schweissen – gleiche Qualität zu einem Drittel der Schweizer Lohnkosten.

Bolliger gilt als «schwieriger Charakter»

Wo B&M ihre Schienen biegt, ist hingegen unbekannt, manche sagen, in Spanien, manche sprechen von Ohio – Bolliger selbst redet jedenfalls nicht. Er spreche, lässt er mitteilen, ausschliesslich mit Kunden. Die Branche schüttelt ohnehin den Kopf über ihn. Er gilt, freundlich formuliert, als «schwieriger Charakter». Auch mit Stengel soll der Kontakt gestört sein.

Dabei war er es, der Bolliger die ersten 25, 30 Bahnen ingenieurtechnisch auf die Stützen stellte; ohne Hilfe aus München, soll Bolliger seinerzeit gefleht haben, werde er schon seine ersten Aufträge nicht erfüllen können. Stengel half – bis B&M der Ansicht war, man könne das nun allein. Stengel will dies nicht bestätigen, gibt aber immerhin zu: «Mit Intamin war die Zusammenarbeit immer gut, mit B&M gab es durchaus auch Unstimmigkeiten.»

Family Business

Die globale Achterbahnbranche ist wie eine Familie: Überschaubar, man kennt sich und trifft sich, redet miteinander, aber genauso gern übereinander, und immer wieder knirscht es im Gebälk.

Tatsächlich gibt es regelrechte Stammbäume, ausgehend von Intamin und Schwarzkopf. Nach der Pleite von Schwarzkopf übernahm der Münchener Maschinenbauer Maurer einige Restbestände; er mischt heute in kleinerem Rahmen in der Branche mit. Und 1982 verselbständigte sich Schwarzkopfs Elektronikchef Hubert Gerstlauer, stieg allmählich zu einer Branchengrösse auf, zunächst vorsichtig, zuletzt aber schneidig: Seine «Takabisha» in Japan hat mit 121 Grad das steilste Gefälle; die Passagiere hängen kopfüber, bevor sie in die Tiefe stürzen. Gerstlauer errichtete auch den «Smiler» im britischen Alton Towers, mit 14 Überkopfelementen aktuell Inversions-Weltmeister. Ein Unfall vor einigen Monaten, als dessen Ursache ein Bedienungsfehler gilt, brachte die Bahn jedoch vorerst zum Stillstand.

Schweizer Firmen haben Geburtshilfe geleistet

Der wichtigste Blutspender der Branche ist jedoch Intamin. Neben den Giovanola-Abgängern Bolliger und Mabillard hatten noch andere bei den Schweizern das Geschäft gelernt. Etwa der Deutsche Peter Schnabel, der den Intamin-Vertrieb in den USA führte und dort 1994 Premier Rides gründete, schon zwei Jahre später aber dem Amerikaner Jim Seay verkaufte; Premier ist heute in den USA der wichtigste Anbieter. Daneben existiert dort S&S, die 2002 die ebenso traditionsreiche wie finanzschwache Arrow Dynamics gekauft hatte, ihrerseits aber 2012 in der japanischen Sansei Yusoki aufging.

Auch für weitere Schweizer Firmen hat Intamin Geburtshilfe geleistet. Peter Ziegler, ein Ex-Intamin-Mann, gründete 1995 Bear Rides (Bear stand für Best Amusement Rides) und zügelte sie später unters Dach des Flumser Maschinenbauers Bartholet. Ziegler hat sich zurückgezogen; heute firmiert die Vergnügungsbereitstellung bei Bartholet unter dem Namen Swiss Rides und ist spezialisiert auf Seil- und Einschienenbahnen, Riesenräder und gemütliche Bootsfahrten. Und Willi Walser, der 15 Jahre für Intamin gearbeitet hatte, machte sich 1997 mit ABC Rides («Always Best Construction») selbständig. Die Firma konzentriert sich vor allem auf Wasserfahranlagen und kleinere Familienfahrgeschäfte. Zwischen ABC Rides und Intamin hat sich eine lose technische Kooperation eingespielt, in Wollerau bewohnen heute beide Firmen dasselbe Bürogebäude.

Im weltweiten Bahngeschäft spielen neben Intamin, B&M, Gerstlauer und Premier vor allem noch zwei Firmen mit: die holländische Vekoma, deren Bedeutung allerdings abnimmt; sie soll früher viel für die Disney-Parks gefertigt haben, qualitativ jedoch nicht mehr auf Augenhöhe sein. Ganz anders hingegen Mack Rides, die Keimzelle des Europa-Parks: Schon seit 1780 baut die Familie Mack in Waldkirch im Schwarzwald Transportfahrzeuge, Wagen für Schausteller, Karussells.

Mack Rides wagt mehr

Parkgründer und Senior Franz Mack galt im Achterbahnbau als notorisch vorsichtig, doch seit seinem Tod 2010 wagt Mack Rides mehr. Unter der Regie von Franz’ Enkel Michael (36) hat Mack Rides den «Blue Fire» gebaut, der als erste Mack-Bahn Inversionen aufweist. «Wir haben die grösste Produkttiefe im Markt», sagt Michael Mack, praktisch alles macht man selber in Waldkirch.

Mack beschäftigt eigene Bildhauer, um die Fahrzeuge zu verzieren, sogar die Schienen biegen sie selber, das ist höhere Handwerkskunst – deren Qualität ist elementar für das Fahrgefühl, die Toleranz beträgt weniger als ein Zehntelmillimeter. Die Schienen werden in Standardcontainer verladen und weltweit verschifft. Und Mack Rides wächst: 17 Bahnen wurden 2014 ausgeliefert, «und wir hatten 30 Prozent des Weltmarktes an Schienenmetern».

Keine konkreten Marktdaten

Konkrete Marktdaten gibt es keine, Umsätze werden verschwiegen; nicht einmal, wer wie viele Bahnen baut, ist systematisch erfasst. Konsens besteht nur darin, dass der Weltmarkt dank der Schwellenländer wächst; allein in China sollen 140 Parks im Bau sein. Es gilt die Branchenregel: Wirtschaftsaufschwung = Fernreise, Krise = Freizeitpark.

Bei den Herstellern kommt hinzu, dass die Projekte oft länger als ein Jahr dauern und somit Zahlungseingänge und Umsätze beträchtlich schwanken. Doch Mack sollte inzwischen Sichtkontakt zu den Leadern Intamin und B&M haben. Bei Intamin beträgt der Gruppenumsatz rund 100 Millionen Franken, davon dürfte das Vergnügungsgeschäft 70 Millionen liefern. B&M soll punkto Umsatz auf Augenhöhe liegen.

Eine Faustregel lautet: Eine kleine Bahn kostet zwei bis drei Millionen Franken, grosse Attraktionen zehn bis fünfzehn Millionen, weltweit beachtete Kracher wie «Kingda Ka» oder der «Smiler» 25 bis 30. Verdient hat der Hersteller damit noch nicht viel; lohnend sind erst «Winner»; Bahnen, die sich zehn Mal oder öfter verkaufen lassen. Ein einziger Verkauf bedeutet meist Verlust, zwei oder drei Kunden decken die Entwicklungskosten. Zweistellige Renditen, sagt Spieldiener, erreiche man oft nicht: Einstellig, sagt Michael Mack, «ist die Realität».

Rolls-Royce der Schiene

Die Schweizer Intamin und B&M unterscheiden sich deutlich. Bolliger baut pro Jahr nur wenige Bahnen, die aber gelten als die teuersten der Branche. Ihre Eigenheiten sind etwa am «Silver Star» im Europa-Park, der 2002 an den Lifthügel ging, zu studieren. Weiträumiges Layout, schwere Schienen und Züge, die einerseits Laufruhe und Komfort gewährleisten, andererseits aber keine engen, verschraubten Fahrfiguren zulassen. Deshalb betiteln Achterbahnfans B&M gern als «Rolls-Royce der Branche», zumal die Qualität unbestritten stimmt.

Sie kritisieren aber häufig die Streckenführung als einfallslos; Diversität unter den B&M-Bahnen zeige sich vor allem darin, dass Fahrgäste wahlweise auf, unter oder neben der Schiene sitzen. Einzige Neuerung waren die «Dive Coaster», deren Wagen mit Kinobestuhlung senkrecht nach unten rasen – etwa am «Oblivion» im Gardaland bei Verona zu besichtigen.

Charakteristisch ist in jedem Fall der mächtige «Backbone»: der kastenförmige Schienenträger, dessen Hohlraum beim Überfahren ein dunkles Rauschen von sich gibt. Die hundertste B&M-Bahn, benannt nach dem mystischen Vogelkönig «Valravn», soll 2016 in Cedar Point, Ohio, anfahren. Sechs Weltrekorde für die «Dive»-Kategorie, trommelt Cedar Point, werde sie aufstellen: Schneller, höher, weiter.

Intamin nimmt mehr Risiko

Intamin, die bereits rund 1000 Bahnen gebaut hat, nimmt mehr Risiko – und wagt sich immer wieder an Neuerungen. Von Intamin stammen nicht nur die höchste Bahn, «Kingda Ka», oder die mit 240 km/h schnellste, «Formula Rossa» in Abu Dhabi, sondern auch die ersten «4th Dimension Coaster», deren Sitze frei rotieren. Immerhin hat Spieldiener 200 Mitarbeiter zu bezahlen, und ohnehin war es von Anfang an das Erfolgsrezept von Intamin, auch ausgefallene Kundenideen Realität werden zu lassen, die breiteste Produktpalette zu führen.

Abweisen musste Intamin aber jenen Parkbesitzer, der von einer Bahn träumte, in der die Mitfahrer in Särgen liegen sollten. Aktuell wohl spektakulärstes Projekt ist der «Skyplex» in Orlando, Florida. Eine Achterbahn wird sich rund um dieses Hochhaus schlängeln. Spieldiener darf noch nichts darüber erzählen.

Mit der Bahn durch Welten

Im Trend liegen derzeit thematisierte Bahnen: Die Züge durchfahren «Welten», etwa im Europa-Park die der Filmreihe «Arthur und die Minimoys». Oder Bahnen, die «vor einer nicht erkennbaren Leinwand stoppen, dort läuft ein Film, der Zug bewegt sich synchron dazu, das Fahrzeug kippt oder fällt auf die nächste Ebene, und dort wird eine andere Szene gespielt», erläutert Spieldiener. Auf anderen Bahnen schliesslich rasen die Fahrgäste mit aufgesetzten 3-D-Brillen durch eine virtuelle Realität. Werner Stengel könnte sich zudem vorstellen, die festgeschnallten Gäste zu aktivieren: zum Beispiel mit Schiesswettbewerben auf Ziele, die in den Stützpfeilern hängen. Schlichtes «Schneller, höher, weiter» sind für Mack, Spieldiener und Stengel jedenfalls kein Rezept für die Zukunft.

Die Angebote für die nächste Generation sind also in der Entwicklung – die Anbieter ebenfalls mitten im Umbau. Mack Rides ist bereits unter junger Führung. Werner Stengel übergab sein Büro, das zwölf Ingenieure beschäftigt, längst an seinen Schwiegersohn Andreas Wild (52). Walter Bolliger hat seinen Kompagnon Mabillard laut Branchengeflüster schon vor über zehn Jahren aus der Firma herausgekauft; er selber ist 66, seine Tochter Sophie übernimmt offenbar mehr und mehr Aufgaben in der Firma. Patrick Spieldiener ist 53, hat also noch Zeit. Er übernahm, als sein Vater Reinhold früh an Krebs gestorben war, Onkel Robert ist hochbetagt. Spieldiener will «mal schauen», was seine Söhne Kevin und Lukas vorhaben; immerhin habe er es geschafft, dass beide an der ETH Maschinenbau studieren. «Ich denke, mindestens einer wird in die Firma kommen.»

Im Spassgeschäft bleibt die Schweiz also weiterhin eine Weltmacht.