Die Sozialen Medien sind für die Arbeitswelt ein grosses Thema. Fühlen Sie sich persönlich gerüstet für die Zukunft?
Nicole Burth*: Ich kann mein Social Media Profil definitiv noch verbessern! Gerade in unserer Branche hat Social Media eine wachsende Bedeutung. Dort eine Meinung zu vertreten, Follower zu sammeln und auch beeinflussen zu können, wird immer wichtiger.

Ist denn Digitalisierung tatsächlich die grösste Herausforderung momentan?
Sie ist sicher zentral, gerade weil das Thema so viele betrifft. In der Schweiz sind ein Fünftel der Arbeitskräfte Niedrigqualifizierte. Die Automatisierung führt dazu, dass diese weniger Einsatzmöglichkeiten haben werden und sich die Nachfrage nach Spezialisten erhöht. Eine weitere grosse Herausforderung ist der demographische Wandel, der auch in der Schweiz diesen Fachkräftemangel akzentuieren wird. Darum müssen wir uns alle kontinuierlich weiterbilden.

Machen Arbeitnehmer in diesem Bereich genug?
Bei den Niedrigqualifizierten stellen wir fest, dass sich relativ wenige um ihre Weiterbildung kümmern. Anders bei den Hochschulabsolventen: 80 Prozent setzen auf Weiterbildung. Diese Differenz akzentuiert natürlich das Problem.

Wie kann man gegensteuern?
Gegensteuern kann man, indem sich Arbeitnehmer kontinuierlich gemäss den Marktbedürfnissen weiterbilden. Auf Bundesebene müssen Bildungsinitiativen gefördert werden. Die Unternehmen sind in der Pflicht, entsprechende Angebote für Mitarbeitende bereitzustellen. Unsere Branche hält beispielsweise für Weiterbildungen einen Fonds bereit. Wer rund zwei Monate bei uns temporär arbeitet, kann bereits auf gewisse Leistungen zurückgreifen. Nicht alle Berechtigten machen aber davon Gebrauch. Teils liegt es also an den Arbeitskräften.

Und die andere Seite?
Auch bei Schweizer Unternehmen gibt es Potenzial. Sie reagieren oft, wenn es schon zu spät ist. Idealerweise würden sie zukünftige Veränderungen antizipieren: Welche Jobs braucht es noch, welche nicht, von welchen mehr und entsprechend Weiterbildungen anbieten.

Oft hört man, dass zusammen mit Techjobs auch sogenannte Helferjobs zunähmen – etwa Hundeausführer. Es werden also auch neue Jobs geschaffen.
Das ist so. Der Personal-Service-Bereich wächst tatsächlich. So geht die Weltbank davon aus, dass ein neuer Job im Technologiesektor fünf neue Arbeitsplätze in der gleichen Stadt generiert. Das bietet neue Möglichkeiten für Niedrigqualifizierte. Allerdings gibt es einen Haken: Man darf nicht unterschätzen, wie wichtig gerade in diesem Bereich Sprachen sind. Wer kein Deutsch oder Französisch spricht, hat einen Nachteil. Sprachen fördern ist wichtig.

Wie haben sich diese Veränderungen in der Arbeitswelt auf das Geschäft von Adecco ausgewirkt?
Die Temporärbranche hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Gleichzeitig ist das Helfergeschäft um 8 Prozent rückläufig. Das ganze Wachstum kommt also von den Qualifizierten – das reicht von Kellnern bis Ingenieure.

Daher auch die neuen Marken wie Badenoch & Clark oder Spring Professional, mit denen Adecco jetzt auch auf dem Schweizer Markt auftritt?
Genau. Die Marke Adecco steht in den Köpfen vieler noch für Helferjobs – da kommen wir her. Inzwischen hat sich das Unternehmen gewandelt. Mit unseren neueren Marken sprechen wir Besserqualifizierte an. Wir rekrutieren heute auch anders: Wir warten nicht mehr auf Spezialisten, sondern suchen aktiv. Durch den Fachkräftemangel hat sich dies verstärkt: Aktives Abwerben war nur beim Topkader üblich, heute betrifft dies auch Fachspezialisten.

Sie haben das Problem des Fachkräftemangels angesprochen. Ist die Politik gefordert?
Unterstützung wäre sicher willkommen. Dank dem dualen Bildungssystem sind wir in der Schweiz zwar gut aufgestellt, aber der Fachkräftemangel existiert nichtsdestotrotz und er wird sich noch verschärfen.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
An drei Orten. Erstens sollten MINT-Qualifikationen – also Fähigkeiten aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – stärker gefördert werden. Es darf nicht mehr heissen: Mädchen mögen keine Mathe. Zweitens sollte die Kinderbetreuung – Tagesschulen etwa – praktischer organisiert werden. Damit liesse sich das Frauenpotenzial besser erschliessen. Gute Ansätze dazu gibt es. Doch ausländische Beispiele zeigen, es geht noch besser. Drittens gilt es, Ungleichheiten zu korrigieren. Ich denke da an die teurere Pensionskasse für ältere Arbeitnehmer. Für den Fachkräftemangel ist das nicht förderlich.

Können Ausländer beim Fachkräftemangel in die Bresche springen?
Die Schweiz ist heute attraktiv für ausländische Arbeitskräfte und auch Schweizer bleiben gerne hier. Diese Attraktivität gilt es zu bewahren. Gleichzeitig braucht es neue Leute: Pensionierungen und fallende Geburtenraten reissen bis 2030 ein Loch von einer halben Million Arbeitskräfte. Deshalb ist es unerlässlich für den Wirtschaftsstandort Schweiz, dass wir flexibel Fachkräfte rekrutieren können, auch im Ausland.

Wen können Sie heute problemlos vermitteln?
Polymechaniker, Handwerker wie etwa Schreiner, IT-Spezialisten mit Programmiersprachkenntnissen, Ingenieure und im Sommer pünktlich zur Grillsaison auch Metzger. Dann aber auch Ärzte und Pflegepersonal – da sind wir seit 30 Jahren aktiv. Neben Adecco Medical & Clinical Experts haben wir neu für Ärzte die Marke Spring Professional Healthcare lanciert. Eine hohe Nachfrage garantiert aber keine einfache Platzierung: Fachkräfte haben grosse Ansprüche – Wochenendarbeit etwa ist unbeliebt. Das macht die Vermittlung nicht einfach.

Welche Rolle spielt Vitamin B heute noch?
Vitamin B hat eine negative Konnotation, dabei ist es nichts anderes als eine Empfehlung. Stelle ich jemand Neues ein, gehe ich damit ein Risiko ein. Trotz Lebenslauf und Bewerbungsgesprächen kenne ich diese Person nur bedingt. Wird aber jemand empfohlen, hat das einen Wert. Heutzutage wird immer und überall bewertet und empfohlen, denken Sie an Uber, Airbnb und ähnliche Dienste. Das sorgt für Transparenz  – auch auf dem Arbeitsmarkt.

Sie sprechen die verbesserte Transparenz an. Wie sieht das bei Softskills aus? Diese werden immer wichtiger – gleichzeitig lassen sie sich aus dem Lebenslauf nur bedingt herauslesen.
Das ist richtig. Für Softskills gibt ein Lebenslauf wenig her. Assessments werden deshalb bei uns immer wichtiger. Damit kann man Teamfähigkeit, Führungsqualitäten und vieles mehr gezielt abfragen. Auch die Digitalisierung wird uns in diesem Bereich weiterbringen. Daten aus Assessments und aus erfolgten Vermittlungen können systematisch analysiert werden. Gesucht ist die perfekte Kombination: Welche Qualifikation und welche Softskills haben zu einer erfolgreichen Vermittlung geführt.

Welche Veränderungen in der HR-Welt beobachten Sie?
Innerhalb der Unternehmen werden HR-Funktionen wichtiger. Es wird immer zentraler, die richtigen Leute zu finden und diese längerfristig zu binden: Stichwort Fachkräftemangel. Dabei sind Weiterbildungen und Mitarbeiterzufriedenheit wichtige Punkte. Auch hat sich die ganze Rekrutierung völlig verändert – ebenso bei uns. Früher brachten die Bewerber ihre Lebensläufe in die Adecco-Filialen. Heute läuft die Rekrutierung fast ausschliesslich elektronisch.

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* Nicole Burth leitet seit zwei Jahren als CEO die Geschicke von The Adecco Group Switzerland. Zum internationalen Personaldienstleister stiess die frühere Bankerin 2005. An der Universität Zürich hat Nicole Burth Volkswirtschaft studiert, zudem ist sie Chartered Financial Analyst (CFA).

 

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