Beim ersten Zusammentreffen wurde Klartext gesprochen. Thomas Enders und Noël Forgeard, seit Ende Juni 2005 Co-Chefs des Airbus-Mutterkonzerns EADS, versicherten sich gleich nach ihrer Ernennung gegenseitig: Wenn du dich mit mir anlegst, schiesse ich scharf zurück! Beide sagen öffentlich, dass sie den Job als EADS-CEO lieber alleine machen würden und bisher eine gemeinsame Ebene nicht gefunden haben. Nach Harmonie, wie sie ihre konsensverliebten Vorgänger Rainer Hertrich und Philippe Camus vorgelebt haben, hört sich das nicht an.

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Der zackige deutsche Reserveoffizier Enders (Spitzname: «Major Tom»), zupackend und geradlinig, und der hochgradig ehrgeizige, politisch versierte Franzose Forgeard repräsentieren die beiden Seiten des politischen Tauziehens um den Mehrländerkonzern EADS. Forgeard hatte mit Rückendeckung von Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac den Machtkampf angezettelt. Zunächst wollte er Hertrich und Camus alleine beerben, ohne Partner also, und als er damit scheiterte, schlug er vor, als Co-CEO gleichzeitig Chef der wichtigsten Sparte, Airbus, zu bleiben. Die deutsche Seite, vertreten durch Grossaktionär DaimlerChrysler, verhinderte das – einen weiteren Punktsieg der Franzosen sollte es nicht geben. Zu frisch ist die Erinnerung an den erfolgreichen Beutezug des französischen Pharmakonzerns Sanofi-Synthélabo gegen die halb deutsche Aventis. Daimlers Noch-Chef Jürgen Schrempp ist überdies ehemaliger Luftfahrtmanager; er hat immer besonderes Interesse an der EADS gezeigt.

Die Deutschen setzten sich durch. Neuer Lenker der Flugzeugsparte ist Gustav Humbert, ein eher unauffälliger, aber geachteter und durchsetzungsfähiger Ingenieur; Forgeard hat keinen Zugriff mehr auf das Tagesgeschäft bei Airbus. Ob Humbert, der lange unter Forgeard gearbeitet hat, telefonische Interventionen des Franzosen ignorieren könnte, ist eine ganz andere Frage. Co-CEO Enders liess in vertraulicher Runde durchblicken, zwischen ihm und Forgeard gebe es immerhin keine versteckten Messer mehr. EADS-Finanzvorstand Hans Peter Ring, ein erfahrener Manager, gibt sich optimistisch: «Die beiden werden partnerschaftlich zusammenarbeiten.»

Für die Europäer hängt viel davon ab, dass die Führungskrise endgültig beigelegt ist, sofern sie ihren Vorsprung vor dem ewigen Rivalen Boeing nicht verspielen wollen. Die Amerikaner haben sich aus ihrem Tal der Tränen befreit; bei der Luftfahrtmesse in Le Bourget vor einigen Wochen herrschte am Boeing-Stand regelrechte Aufbruchstimmung.

Auch bei Boeing amtiert seit Juli ein neuer Vorstandschef, James McNerney, zuvor CEO beim Mischkonzern 3M und Leiter des Bereichs Flugzeugtriebwerke bei General Electric. Er ersetzt Harry Stonecipher, der über eine konzerninterne Liebesaffäre gestürzt ist – die gegen von ihm selbst durchgesetzte Verhaltensregeln verstiess. Von McNerney wird erwartet, dass er die relativ selbstständigen Sparten Zivilflugzeuge und Rüstung kürzer an die Leine nimmt und «den Konzern noch globaler ausrichtet», sagt Horst Teltschik, Boeing-Präsident für Deutschland, den weltweit viertgrössten Flugzeugmarkt, und gleichzeitig VR-Mitglied beim Pharmakonzern Roche.

McNerney startet zu einer günstigen Zeit. So langsam verblassen die Skandale um Industriespionage gegen den Rüstungskonkurrenten Lockheed Martin und um Preisabsprachen mit dem Verteidigungsministerium, die McNerneys Vorvorgänger Philip Condit das Amt gekostet haben. Der neue Dreamliner 787 verkauft sich bestens, fast 260 Bestellungen hat Boeing für den Langstreckenflieger vorliegen, der 2008 an die ersten Kunden ausgeliefert werden soll. Die Nachfrage «hat unsere Erwartungen noch übertroffen», sagt Teltschik. Intern hatte der Konzern mit der Hälfte gerechnet. Boeing hat mit der 787 das geliefert, was der Markt will: einen Flieger mit besserer Aerodynamik, ausgefeiltem Cockpit, neuen Materialien, vor allem aber: einen, der sparsam mit dem teuren Flugbenzin haushaltet.

Der Erfolg am Markt liess auf sich warten. Boeing hatte sich auf früheren Erfolgen ausgeruht, die Flugzeugpalette veraltete seit Anfang der achtziger Jahre. Danach folgte lediglich noch eine echte Neuentwicklung: die zweistrahlige 777 (Triple Seven). Die satten Renditen aus der Zeit des Monopols bei den Jumbojets, geschätzte 30 Millionen Dollar pro verkaufte 747, konnte Boeing per Quersubventionierung dazu verwenden, bei den Margen der kleineren Maschinen «flexibler zu sein», sagt EADS-Mann Ring. Das habe Boeing gegen die Airbus-Konkurrenz «in vielen 737-Deals durchaus geholfen».

Den Airbus-Riesenflieger A380 nahm Ex-Boeing-Chef Condit sträflich lange nicht ernst. «Wir haben Airbus sehr lange unterschätzt», sagt Teltschik diplomatisch. Joe Campbell von der Investment-Bank Lehman Brothers, einer der weltbesten Luftfahrt-Analysten, warf Boeing schlicht «Arroganz» vor.

Als sich abzeichnete, dass der A380 auf grosses Interesse stösst, breitete sich Nervosität bei den Amerikanern aus, sie machten einen Fehler nach dem anderen. Condit schrieb Briefe an die Airlines und empfahl darin, statt auf den A380 lieber auf Boeing-Jumbos zu setzen. Den Fluggesellschaften offerierte er neue und verlängerte Jumbos, die Namen wie 747X Stretch trugen; vier Milliarden Dollar wollte sich Boeing die Entwicklung kosten lassen – nicht wenig im Vergleich zu den zwölf Milliarden, die der komplett neue A380 kostet. Dennoch war das Interesse an einem renovierten 747-Jumbo äusserst überschaubar. Diese Erfahrung wiederholte sich beim futuristischen Sonic Cruiser, der nahe an der Schallgeschwindigkeit fliegen sollte. Den Zeitgewinn, rund eine Stunde auf der Strecke zwischen Europa und New York, hätten sich Airlines und Passagiere aber mit deutlich höherem Spritverbrauch erkauft; auch dieses Projekt musste mangels Nachfrage eingestampft werden.

Noch im Juni an der Luftfahrtmesse Le Bourget erklärte Alan Mulally, Chef der Zivilflugzeugsparte bei Boeing, dass man befürchtet hatte, «wir müssten bis Jahresende die Einstellung der 747-Produktion bekannt geben». Nun sind aber doch einige Bestellungen erfolgt. Auch die betagte 767er-Reihe stand schon vor dem Aus; Airbus hat dieses Marktsegment mit seinem A330, den auch die Swiss betreibt, quasi von Boeing übernommen.

«Der verletzte Stolz hat Boeing wachgerüttelt», weiss EADS-Chef Forgeard. Mulally begann, die veraltete Produktion zu modernisieren. Während Airbus längst industrielle Herstellungsmethoden eingeführt hatte, wurde bei Boeing vieles noch in Handarbeit gemacht. Das konnte dazu führen, dass eine defekte Flugzeugtür nicht einfach ausgetauscht werden konnte, «weil eine Ersatztür nicht ohne weiteres passte», sagt ein Wartungsingenieur. Mittlerweile ist Boeing in Fragen der Fertigung an Airbus herangekommen. Auch hatte Boeing, fett und träge geworden, lange Zeit unrentable Produktionslinien durchgeschleppt. Umso tiefere Schnitte mussten Condit und Stonecipher ansetzen: Zwei veraltete Baureihen, die kleine 717 und die mittelgrosse 757, liessen sie mangels Nachfrage auslaufen. In vier Jahren strichen sie 40 000 Arbeitplätze, praktisch jeden zweiten Job im Geschäftsbereich Zivilflugzeuge.

Jetzt ist die gute Laune zurückgekehrt, die Stimmung im Konzern derzeit «ausserordentlich optimistisch», sagt Teltschik. Von den weltweit insgesamt 685 Flugzeugbestellungen im ersten Halbjahr hat sich Boeing etwas mehr als die Hälfte geangelt. Gerade haben die Amerikaner die Listenpreise ihrer Flieger erhöht, im Schnitt um 3,5 Prozent, auch das ein Ausdruck wachsender Zuversicht. Und mit der neuen 787 hat Boeing, unter dem Druck des Marktes, den Konservatismus im Einsatz neuer Technik und Materialien über Bord geworfen: Der sparsame «Plastikflieger» wird die Basis liefern für Flugzeugfamilien der Zukunft.

Damit hat Boeing zu einem Technologiesprung angesetzt, der Airbus noch bevorsteht. Der A380 enthält zwar zahlreiche Verbesserungen und begründet, mit Raum für mehr als 800 Passagiere, eine neue Grössenklasse, aber den grossen Innovationsschritt holt Airbus mit dem A350 nach. Er soll gegen die 787 antreten. Unter dem Eindruck der Welle an Bestellungen für diese Maschine war der A350 zunächst hastig als Ableger des etablierten A330 geplant. Die Airlines reagierten frostig, und Airbus verstand. Im Herbst soll ein «all new 350» auf die Spur gebracht werden.

Hier war Boeing seit langer Zeit einmal wieder Antreiber und nicht Getriebener. «Wir haben grossen Respekt vor dem, was Boeing mit der 787 vorhat», gibt ein EADS-Kadermann zu. Noch dieses Jahr wohl wird der neue Boeing-Chef McNerney nachlegen und nun doch einen Gegner für den A380 entwickeln lassen. Arbeitstitel: «747 Advanced». EADS-Manager Ring glaubt allerdings nicht, dass das Jumbo-Konzept «derart verbessert werden kann, dass es zu einem echten Konkurrenten für den A380 wird».

Boeing hat zwar mit der 787 einen ersten Befreiungsschlag geschafft, zahlt aber den Preis für die Versäumnisse der Vergangenheit. Über Jahre hinweg gab der Konzern zu wenig Geld für Zukunftsprojekte aus; noch Anfang dieses Jahrzehnts betrug der Umsatzanteil für Forschung und Entwicklung bei Boeing ungefähr ein Drittel dessen, was Airbus investierte. Richard Evans, der bis Mitte 2004 beim britischen Flugzeugbauer BAe Systems Chairman war, schätzt den Investitionsbedarf bei Boeing, um Airbus einzuholen, im kommenden Jahrzehnt auf 40 bis 50 Milliarden Dollar.

Derzeit haben EADS und Airbus die Nase vorne. Die Europäer hatten in den zurückliegenden Jahren mehr Bestellungen und Auslieferungen als Boeing, und auch 2005 wird Airbus bei den Lieferungen wieder vorn liegen: Mindestens 360 Maschinen sollen die Werkhallen verlassen, Boeing rechnet mit 320 Maschinen.

Verstricken sich die neuen Männer an der Führungsspitze nicht in Kompetenzgerangel, dann spricht einiges dafür, dass EADS den Vorsprung halten kann. Zumal der A380 zu einer Cash-Cow werden kann, so wie es die 747 jahrzehntelang für Boeing war. Sind die ersten Superflieger im Liniendienst, dürfte eine zweite Welle an Bestellungen kommen. Analysten rechnen damit, dass allein im ersten Jahr 50 bis 100 Orders eingehen. Und auch der A350 findet Anklang. Bisher liegen bereits 125 Kaufzusagen vor, obwohl die Boeing 787 laut Liste rund 30 Millionen Dollar billiger ist und die Amerikaner ihre Maschine mit «sehr aggressivem Pricing», wie es bei Airbus heisst, in den Markt pressen. Für Airbus sprechen zudem die breite, modernere Produktpalette und die «commonality» der Baureihen, also ihre Ähnlichkeit in den Cockpits und bei Reparaturen. Das spart enorme Kosten bei der Schulung der Piloten, bei Wartung und Ersatzteilen; auch die Swiss hat deshalb auf eine reine Airbus-Flotte umgestellt. Noël Forgeard warnt jedoch vor Selbstzufriedenheit: Es sei «riskant für Airbus, sich als Nummer eins zu fühlen; wir müssen stets der Herausforderer bleiben».

Nachholbedarf hat EADS im Rüstungsbereich. Beide Konzerne sind ähnlich aufgestellt, bei Boeing allerdings beträgt der Anteil des Militärgeschäfts rund die Hälfte, bei EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) sind es erst 20 Prozent. Boeing kam auch deshalb ohne grössere Blessuren durch die Luftfahrtkrise, weil das US-Militär für Nachfrage sorgte; diese Geschäfte sind für den Konzern sehr lukrativ. EADS will den Rüstungsanteil zumindest auf ein Drittel steigern, wenn nötig durch Firmenkäufe, und bis 2007 die Rendite in allen Konzernbereichen auf zehn Prozent bringen. Bisher schafft nur die Zivilflugzeugsparte Airbus diese Hürde.

Doch das Militärgeschäft im EADS-Konzern entwickelt sich. Am Kampfjet Eurofighter hat auch die Schweiz Interesse, vom Transportflugzeug A400M sind 180 Maschinen an die europäischen Partnerstaaten verkauft; schon das sichert die Produktion für die ersten 20 Jahre. Der Kampfhubschrauber Tiger verkauft sich bestens, und bei zivil nutzbaren Helikoptern ist EADS sogar Weltmarktführer. Weiterer Hoffnungsträger ist das Tankflugzeug auf Basis des A330. Einen Grossauftrag aus England hat EADS bereits verbucht, aber das richtige Geld wird in den USA verdient: Die sparsamen Streitkräfte in Europa lassen nur Gewinnmargen bis etwa fünf Prozent durchgehen, in den USA liegen die Renditen weit im zweistelligen Bereich. Das US-Militär wird nach und nach seine Tankerflotte von 500 Maschinen austauschen, der Gesamtauftrag wäre 100 Milliarden Dollar wert. EADS kämpft um ein Stück von diesem Kuchen – dass Boeing alles bekommt, gilt nach den zurückliegenden Skandalen als unsicher.

Boeing hat also Airbus noch nicht eingeholt, aber sich auf Schlagdistanz herangekämpft – so wollen es die Airlines haben. Richard Branson, Gründer der Virgin Airlines, lobte Forgeard vor einigen Monaten dafür, «dass er in der Luftfahrtindustrie wieder ein Gleichgewicht geschaffen hat», indem er den Underdog Airbus zu einem echten Gegner für den langjährigen Monopolisten Boeing formte. Horst Teltschik weiss: «Die Airlines sind begeistert, dass nicht nur einer, sondern zwei Anbieter am Markt sind.» Man kann sie in Verhandlungen gegeneinander ausspielen. Gehen Preisgespräche zwischen Airline und Hersteller in die Endphase, sitzt ein Team des anderen Anbieters oftmals im Hotelzimmer nebenan. Rabatte von 30 bis 40 Prozent auf die Listenpreise können Grossbesteller herausschlagen.

Und trotzdem, sagt ein Analyst einer Grossbank, bilden die beiden Hersteller «ein Duopol wie aus dem Bilderbuch». Airbus und Boeing haben sich den Markt aufgeteilt und leben gut davon. Die Renditen sprechen für sich: Airbus hat im ersten Halbjahr stolze 12,8 Prozent Betriebsgewinn erzielt. Und selbst die Amerikaner kamen mit ihrem schwächelnden Zivilflugzeuggeschäft auf 7,3 Prozent.

Deshalb werden sich die Konzerne auch nicht unnötig wehtun bei ihrem aktuellen Streit um Subventionen, der vor die Welthandelsorganisation (WTO) getragen worden ist. Boeing bekommt Milliarden aus Töpfen für Technologieförderung oder Steuererleichterung, EADS erhält umfangreiche staatliche Kredite für Neuentwicklungen. Sie müssen komplett und mit Zinsen zurückgezahlt werden – nur dann nicht, wenn ein Projekt floppt. Was allerdings noch nie vorgekommen ist. Ein Entscheid der WTO könnte Jahre auf sich warten lassen und brächte womöglich Unannehmlichkeiten für beide Hersteller. Bisher haben EADS und Boeing nicht direkt miteinander geredet, aber «sicherlich sind beide Seiten an einer Einigung interessiert», sagt Horst Teltschik.

Schmerzen leidet also keiner der beiden Hersteller – nicht einmal, wenn sie hohe Rabatte gewähren. «Ausgangspunkt sind die Listenpreise, und die sind sehr hoch», sagt ein Airline-Mann. Beide werden sich hüten, den Absatz durch Kampfpreise vorübergehend zu steigern und sich damit langfristig die Gewinnmargen zu verderben. Das durchaus erwünschte Gleichgewicht kostet also auch die Airline-Kunden bares Geld – Airbus und Boeing sind so etwas wie Migros und Coop der Luftfahrt. Und ein Flugzeug-Aldi oder -Lidl ist noch lange nicht in Sicht.

Lediglich in einem Punkt liegt EADS abgeschlagen zurück, ohne grosse Chancen, Boeing einzuholen: bei den Gehältern der Vorstandschefs. Die Vorgänger von Enders und Forgeard, Rainer Hertrich und Philippe Camus, haben 2004 rund 2,2 Millionen Euro verdient, Forgeard hatte ähnlich viel. Bei Boeing kam Harry Stonecipher schon 2004 auf 2,9 Millionen Euro, und James McNerney wird 5,7 Millionen Euro im Jahr einstreichen. Hinzu kommt ein Paket von rund 40 Millionen Euro an Aktienoptionen und Altersvergütung. In Amerika ist eben alles etwas grösser. Nur die Flugzeuge nicht mehr.

Dirk Ruschmann
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