Das wölfische Siegerlächeln scheint Martin Winterkorn geradezu ins Gesicht gefroren. Der Audi-Vorstandschef strotzt derzeit vor Kraft.

Ansehnliche 462 Millionen Euro, den Jahresgewinn für 2005, hat er gerade an die schwächelnde Konzernmutter Volkswagen nach Wolfsburg überwiesen. Und kürzlich haben die Leser der deutschen Fachzeitschrift «Auto Motor und Sport» Audi zur beliebtesten Marke gewählt. Mal wieder. «Darauf bin ich stolz», sagt Martin Winterkorn. Die Mundwinkel bekommt er einfach nicht mehr zusammen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

So richtig in Fahrt kommt der Dienstherr über 52 000 Mitarbeiter, wenn er jemandem die Details seines Qualitätsfanatismus nahe bringt. Wird ein Bauteil ins Armaturenbrett eingesetzt: «Warum ist dann die Passung oben wichtiger als unten? Weil es oben der Kunde sieht!» Oder warum dichten wir an dieser Stelle mit PVC ab? «Weil hier Wasser eindringen könnte – wir wollen aber keine Korrosion haben!»

Als geradlinig und direkt beschreiben ihn Wegbegleiter, ziemlich laut könne er werden, wenn es ihm nicht schnell genug geht mit den neuen Prototypen. Die will er übrigens immer seriennah und fahrbereit haben – bonbonfarbige Mondlandefahrzeuge aus Plastikmasse, wie sie andere Hersteller an Automessen zeigen, lehnt Ingenieur Winterkorn ab. An den Audi «kenne ich jede Schraube», sagt der 58-Jährige von sich selbst. Das dürfte kaum übertrieben sein.

Mit seiner Technikversessenheit hat der doktorierte Metallphysiker Winterkorn grossen Anteil an der Erfolgsgeschichte Audi. Von der belächelten «Spiesser-Schleuder» für Hutträger entwickelte sich die Marke zu einem ernsthaften Konkurrenten für BMW und Mercedes, in der Schweiz liegt Audi sogar vor den Rivalen. Auch beim Image hat Audi enorm zugelegt. Die Marke steht für innovative Technik, Sportlichkeit und hochwertige Verarbeitung und profitiert zugleich von einem Sympathiebonus als Underdog in der Premiumklasse. Ein Audi bringt seinen Fahrer nicht in den Verdacht, er sei ein notorischer Autobahndrängler (BMW) oder er glaube, sein Wagen verfüge über eingebauten Vortritt (Mercedes). «Die Markentreue ist bei Audi-Fahrern viel höher als bei anderen Marken», sagt ein deutscher Branchenbeobachter. Der Geländewagen Q7, seit einigen Wochen bei den Garagisten, sowie das Nachfolgemodell des Sportcoupés TT, vor wenigen Tagen vorgestellt, schärfen und verfeinern das Image noch.

Über zehn Jahre hinweg hat Audi kontinuierlich mehr Autos verkauft und 2005 mit 830 000 einen neuen Rekord aufgestellt. Winterkorn will Ende 2008 die Millionengrenze reissen und 2015 fast doppelt so viele Fahrzeuge wie heute ausliefern. Das sind sportliche Vorgaben. Der Mann ist derzeit «an Selbstbewusstsein nicht zu übertreffen», spöttelt Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft in Gelsenkirchen.

Woher kommt der Höhenflug? Einen Ausgangspunkt markiert das Jahr 1980. Damals präsentierte Audi am Genfer Automobilsalon ein kantiges Coupé mit neuem Antriebskonzept: den Quattro, entwickelt auf Basis des legendären Geländewagens VW Iltis unter dem nicht weniger legendären Ferdinand Piëch. Der Porsche-Enkel war damals Audi-Entwicklungsvorstand. Mit dem Quattro dominierten Audi-Teams die Rallye-Weltmeisterschaften jahrelang. 1981 stiess Martin Winterkorn als Qualitätssicherer zu Audi und damit zu Piëch. Seit dieser Zeit gelten die beiden als Vertraute.

Audi leistete weitere Pionierarbeit: vollverzinkte Karosserien, einen Fünf-Zylinder-Serienmotor, Gewichtsreduzierung durch das Verbauen von Aluminium statt Stahlblechen und natürlich den Audi 100 von 1982, die strömungsgünstigste Wagenform der Welt – niedriger Luftwiderstand gleich geringer Spritverbrauch.

Eine kongeniale Vermarktung liess allerdings auf sich warten. Der Uralt-Slogan «Vorsprung durch Technik», vor 35 Jahren für den NSU Ro 80 eingeführt, wurde erst 1986 im berühmten «Schanzenspot» mit griffigen Inhalten aufgeladen: Ein Audi 100 Quattro fuhr die Skisprungschanze im finnischen Kaipola hoch. Im vergangenen Jahr wiederholte ein A6 das Experiment. Dazwischen erfreute Audi mit Werbefilmen in reduzierter, edelgrauer Optik oder humorigen Fernsehspots rund um die Technik – wie dem «Wackel-Elvis», der im laufruhigen Audi einfach nicht die Hüfte schwingen wollte. Der Schanzenspot stammt von der Agentur Jung von Matt, auf Elvis kamen die Werber bei Saatchi & Saatchi.

Im Design blieb Audi lange Zeit vorsichtig, in der Qualität ging es dagegen voran. Piëchs Fixierung auf enge Spaltmasse und Winterkorns Schraubenfetischismus machten sich bezahlt. Audi-Modelle glänzen mittlerweile mit ihrer Zuverlässigkeit, Cabrio, A2 und A6 belegen in den Pannenstatistiken die besten Plätze, noch vor den Japanern. Das Brot-und-Butter-Modell, der Audi A4, muss sich lediglich dem Mazda 6 geschlagen geben. Die Audi-Modelle hinterlassen auch bei Laien einen vertrauenswürdigen Eindruck: Alles ist sauber und passgenau verarbeitet, nichts knarzt und knackt im Innenraum, das Material der Oberflächen mutet hochwertig an, die Nähte an den Sitzen laufen exakt parallel.

Will man wissen, wie die Qualität entsteht, dann lohnt eine Spurensuche im Audi-Stammwerk Ingolstadt nördlich von München. Hier rollen die Volumenmodelle A3 und A4 vom Band. Fussböden und Wände sind frisch gestrichen, die Rammschutzverkleidungen oben zugeschweisst, damit sich dahinter kein Abfall sammelt. Auf sämtlichen Fensterbrettern der Büros innerhalb der Werkshalle sind abgeschrägte Bleche montiert – so sind sie leicht zu putzen, und kein Arbeiter kann seine leere Getränkedose darauf abstellen. Die polierten Abfallkörbe schliesslich haben Sprungdeckel; das verhindert Übungen im Zielwerfen, jeder muss hintreten und per Hand den Deckel entriegeln. Die «Philosophie, Sauberkeit und Qualität zu schaffen, drückt sich oft in Kleinigkeiten aus», sagt Werkleiter Frank Dreves. Ein Bruder im Geist von Piëch und Winterkorn. Wenn er durch die Werkshallen gehe, heisst es, sammle er hingebungsvoll herumliegende Schräubchen ein.

Schikane? Erzieherische Massnahmen? Dreves geht es um etwas anderes. Um einen Spirit. Eine Haltung. Seine Devise: «Nur in einem sauberen Werk kann man Premium-Autos bauen.» Den Arbeiter an der Fertigungslinie vergleicht er mit einem Arzt im Operationssaal. Werkzeuge und Teile «müssen ihm so bereitgestellt werden, dass er blind greifen kann». Also hat Dreves die exakten Positionen für sämtliche Materialwagen mit Klebestreifen am Fussboden markieren lassen – wie für den Moderator im Fernsehstudio der Samstagabendshow.

Diejenigen Mitarbeiter, die den Dachhimmel befestigen, setzen sich inzwischen nicht mehr mit Werkzeugkasten in die Karossen, sondern schweben auf einem eigens konstruierten Stuhl hinein und haben in einem Köcher alle Teile griffbereit. Die Sitzposition ist körpergerecht, Verrenkungen oder Hängenbleiben am Türpfosten sind ausgeschlossen. Einfache und ergonomische Abläufe sollen die Arbeiter «unterstützen, höchste Qualität zu liefern».

Tritt doch ein Problem auf, dann zieht der Bandarbeiter eine gelbe Reissleine, und ein Gruppenleiter eilt herbei. Der hat dann 1,79 Minuten Zeit, eine Lösung zu finden – dieses Intervall grenzt den Takt an der Fertigungslinie ab. Gelingt es nicht, zieht er an einer blauen Reissleine. Das Band hält an.

Kontinuierliches Optimieren der Prozesse: Damit wurde Toyota zum Branchenprimus. Genauso kommt es Dreves aber auf die Motivation und die Ausbildung der Mitarbeiter an. Jede Fertigungsgruppe diskutiert in Workshops mögliche Verbesserungen an ihren Arbeitsplätzen und darüber hinaus. Qualitätspreise nimmt Dreves nicht selbst entgegen, sondern überlässt den Vortritt seinen Leuten. Zudem bindet er sie in unternehmerische Themen ein. Das alles ganz im Sinn von CEO Winterkorn: «Jeder Mitarbeiter kennt jeden Schritt der Montage und weiss, was und warum er das macht.»

Die deutschen Audi-Garagisten bewerten die Qualität ihrer Autos mittlerweile viel höher als noch vor zwei Jahren. BMW und Mercedes schneiden bei ihren Händlern schlechter ab. Das hat Professor Wolfgang Meinig von der Bamberger Forschungsstelle Automobilwirtschaft (FAW) durch Befragungen herausgefunden. Auch in puncto Modellpalette sind die Audi-Garagisten zufriedener als ihre Kollegen. Zielstrebig schliesst Martin Winterkorn Lücken im Angebot, nur «ein schönes Coupé und einen RS6 möchte ich noch machen», sagt er.

Kräftig aufgeholt hat Audi schliesslich in der Optik. Der oberste Designer, Walter de’Silva, von Alfa Romeo über Seat zu Audi aufgestiegen, hat die Fahrzeugpalette runderneuert. Der «Meister der Kurven» spendiert den neuen Modellen grosse Räder, Kanten und Wölbungen in den Seitenflächen, und alle tragen nun an der Front den wuchtigen «Singleframe»-Kühlergrill. Die Bezeichnung «aggressiv» hört de’Silva (siehe Nebenartikel «Walter de’Silva, Chefdesigner: Wir haben jetzt mehr Sex-Appeal») für seine Kreationen ungern. Trotzdem: Mit seiner grimmigen Front verschafft sich der Geländewagen Q7 ähnlichen Respekt wie ein anrollender Schützenpanzer. Deutlich weniger verspielt tritt auch der Nachfolger des TT auf – die Überholautorität im Audi auf der Autobahn ist gewachsen.

Der Q7 kommt so gut an, dass Audi die Produktion schneller hochgefahren hat. Damit rollen rund 6000 Wagen zusätzlich vom Band. Anvisiert waren bis zu 70 000 verkaufte Einheiten pro Jahr; diese Zahl dürfte Audi übertreffen. Nun sind auch Winterkorns Visionen angeschwollen. «Bester Premiumhersteller» will er werden. Welche Kriterien er dafür anlegt, behält er aber für sich. Zur Auswahl bietet Winterkorn «Kapitalrendite, Absatzwachstum, bester Arbeitgeber oder Kundenzufriedenheit» an. In einem dieser Punkte sollte ein Spitzenplatz zu schaffen sein.

Die durchscheinende Vorsicht ist begründet. BMW bleibt das Mass aller Dinge im Premiumsegment. Der Absatz wächst sogar schneller als bei Audi, das umstrittene Design scheint die Kunden nicht abzuschrecken. Die Rendite liegt ebenfalls um einiges höher. Und das, obwohl BMW nicht auf Plattformen oder Motoren aus dem Regal eines Mutterkonzerns zurückgreifen kann. Aber BMW hat sich früher als andere um optimale Produktionsabläufe gekümmert und fährt zudem eine «verkappte Gleichteilestrategie», wie es Wolfgang Meinig nennt. Ständig prüft BMW zusammen mit den Lieferanten, ob Einzelteile auch in andere Baureihen passen. Und Mercedes, der zweite Konkurrent, kann unter dem neuen Chef Dieter Zetsche eigentlich nur eines: besser werden.

Das dürfte sich auch in der Verarbeitungsqualität niederschlagen. In diesem Punkt, ist sich Dudenhöffer sicher, «werden BMW und Mercedes aufholen».

Noch weitere Baustellen muss Winterkorn bearbeiten. Im Zukunftsmarkt China läuft es zwar gut, aber im wichtigsten Volumenmarkt, den USA, liegt Audi mit 63 000 Verkäufen abgeschlagen hinter BMW (307 000) und Mercedes (224 000). Zudem ist Audi Währungsschwankungen zum Dollar ausgeliefert, weil die Ingolstädter kein Werk in den USA haben, also kein «natürliches Hedging» betreiben. Und die spanische Tochter Seat kommt nicht von der Stelle. Bei Audi wartet noch viel Arbeit.

Die grösste Gefahr für Audi liegt in der Unselbständigkeit. Wenige Aktien sind im Streubesitz, VW hält 99 Prozent des Kapitals. Audi ist ein Gefangener des Wolfsburger Massenherstellers. Modellpolitik, Beschaffungskooperationen, Strategie, die Direktiven kommen aus der VW-Zentrale. Audi litt schon einmal unter einer verkürzten, aber gefährlichen Debatte über Gleichteile – warum einen A3 kaufen, wenn in VW Golf, Seat Leon oder Skoda Octavia das gleiche Innenleben steckt? Rückrufe wegen fehlerhafter Einzelteile betreffen häufig mehrere Konzernmarken.

Vor vier Jahren, Winterkorn war gerade Audi-Chef geworden, musste der fertige A8 hinter den Vorhängen warten, bis VW den konkurrierenden Phaeton präsentiert hatte, ein Lieblingskind von Übervater Ferdinand Piëch. Technisch hervorragend, aber ein Flop – nur wenige wollen 100 000 Euro für ein Auto ausgeben, auf dem das VW-Logo in Radkappengrösse prangt. Ein schlichter handwerklicher Fehler. Nicht umsonst haben die Massenhersteller Toyota und Nissan für ihre erfolgreichen Premiumlinien eigene Marken
lanciert: Lexus und Infiniti.

Kein Wunder, dass Audi nach mehr Unabhängigkeit strebt. Vorstände lassen gern durchblicken, dass man sich «gegen einen Börsengang nicht wehren würde», auch wenn Winterkorn offiziell abwinken muss: «Das brächte uns nichts für das operative Geschäft.» Allerdings gibt es keine Anzeichen dafür, dass der VW-Konzern seine Cash Cow von der Leine lässt.

Sein neues Lieblingsprojekt, den Abschuss von VW-CEO Bernd Pischetsrieder, hat Piëch vorerst auf Eis gelegt. Winterkorn wäre ein möglicher Nachfolger, zumal ihm der VW-Chefsessel, anders als Porsche-Lenker Wendelin Wiedeking, einen Gehaltszuwachs brächte. Winterkorn liegt bei 1,8 Millionen Euro, Pischetsrieder eine Million darüber. Aber will ein «Ingenieur mit Emotionen», wie ihn andere nennen, wirklich Polo und Lupo bauen? Die kommenden Audi-Sportwagen A5 und R8 dürften wesentlich mehr Freude machen. Solide Technik mit Gefühl, zu Audi passt diese Kombination fast zu perfekt.

Dirk Ruschmann
Dirk RuschmannMehr erfahren