Wenn Martin Winterkorn über seine Autos mit den vier Ringen spricht, ist das Wort «Überholautorität» nicht weit. Darauf legt der Chef des Volkswagen-Konzerns und frühere Audi-Lenker besonderen Wert: Wer auf der Autobahn im Rückspiegel den Single-Frame-Kühlergrill eines Audi erblickt, den aggressiven «Long Nose»-Fronten grosser US-Trucks nachempfunden, umrahmt von streitsüchtig dreinblickenden LED-Leuchtdioden, soll sich derart eingeschüchtert fühlen, dass er freiwillig auf die rechte Spur flieht.

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Überholen, davon träumt Winterkorn seit Jahren – und mindestens noch bis 2015. Dann soll die VW-Edeltochter Audi «der grösste Premium-Hersteller der Welt sein», also die Konkurrenten BMW und Mercedes punkto Stückzahlen überholen. Ein ehrgeiziges Ziel: BMW-Fahrer gelten als die Sportler schlechthin und werden in Umfragen oft als die ungeduldigsten Autofahrer dargestellt, Mercedes-Fahrer als die abgeschotteten Herrschaften in ihrem «Bonzen-Benz» – Soziologiestudenten, die sich einen Zweiliter-Diesel aus den frühen achtziger Jahren zulegen, ironisieren ihren Mercedes gern mit dem Aufkleber «Eure Armut kotzt mich an».

Der Emporkömmling Audi hat sich mit technischen Innovationen (Quattro, strömungsgünstige Karosserie, Vollverzinkung) über Jahre an die Platzhirsche herangearbeitet. Seit 2002 konnte Audi den weltweiten Absatz um ein knappes Drittel steigern. BMW legte im selben Zeitraum nur um ein Sechstel zu, Mercedes büsste sogar ein gutes Zehntel ein. Im laufenden Jahr dürfte Audi, gemäss einer Prognose der Researchfirma IHS Automotive, in diversen Ländern mehr Autos verkaufen als die Wettbewerber: In Italien, Spanien, Frankreich und Grossbritannien soll Audi zum Jahresende vorne liegen, in China führt Audi ohnehin mit grossem Abstand. Auch in der Schweiz liegen die Ingolstädter seit längerem vorne – Audi profitiert hier vom früh eingeführten Allradantrieb und dem kühlen, technizistischen Design, das viele mögen. Nicht zu unterschätzen ist schliesslich der diffuse Eindruck vieler Schweizer, Audi wirke «weniger deutsch» als Mercedes und BMW. «Wir sind nicht mehr die Jäger, wir sind jetzt die Gejagten», triumphierte Rupert Stadler (Bild), Winterkorns Nachfolger im Audi-Chefsessel, schon vor über einem Jahr. Aber die Imperien schlagen zurück.

Aufholjagd. In der Schweiz hat BMW in diesem Jahr bereits zwölf Prozent zugelegt, Mercedes liegt leicht über Vorjahr, Audi dagegen verkauft weniger. In China, dem wichtigsten Markt, wo viele margenstarke Grossraumlimousinen abgesetzt werden, ist Audi zwar wesentlich grösser, aber Mercedes und BMW wachsen dort schneller. Punkto Konzernrendite schliesslich «war Audi die letzten Jahre vorne, aber die anderen beiden holen stark auf», sagt Jürgen Pieper, Autoexperte beim Bankhaus Metzler. Derzeit lägen alle bei «zwischen acht und neun Prozent Umsatzrendite», im ersten Halbjahr dürfte sogar Mercedes in Führung gegangen sein.

Die aktuelle Marktlage hängt immer stark vom Lebenszyklus der wichtigsten Modelle ab. Mercedes hat die wichtigste Modellreihe, die E-Klasse, seit einiger Zeit bereits am Markt. Sie treibt nicht nur die Verkäufe, sondern steht mit Kombi und Coupé auch für 20 bis 30 Prozent des Betriebsgewinns. Die neue 5er-Reihe, die bei BMW eine ähnlich lebenserhaltende Bedeutung hat, ist gerade gestartet. Bei Audi steht noch der «alte» A6 in den Verkaufsräumen, der neue kommt erst 2011.

Aber hinter den glitzernden Showrooms und den Werbefloskeln von «Freude am Fahren» über «Vorsprung durch Technik» bis «Das Beste oder nichts» bewegt sich mehr als nur die Modellzyklen.

Vor allem Mercedes hat viel gearbeitet. Jahrzehntelang die stärkste und nobelste Automarke der Welt, mit der S-Klasse als Flaggschiff des deutschen Autobaus, ruhte sich der Konzern auf seinen Meriten aus – zu lange, während die Konkurrenz vorankam. Zwar erzielt Mercedes traditionell die höchsten Umsätze pro verkauftes Fahrzeug: etwa ein Viertel mehr als Audi und immer noch ein Siebtel mehr als BMW, wie UniCredit-Analyst Georg Stürzer berechnet hat. Dafür brauchten die Stuttgarter zeitweise doppelt so lange wie die Wettbewerber, um ein Auto zu montieren. Legendär sind die eigensinnigen Daimler-Ingenieure: «Die machen, was sie wollen», lästert ein Manager der Konkurrenz. Statt drängende Detailfragen zu lösen, um die Fehleranfälligkeit der Serienfahrzeuge zu senken, forschen die Entwickler lieber «an den grossen Fragen der Menschheit» herum.

Forschungsvorstand Thomas Weber gilt als eher führungsschwach. Regelmässig musste Mercedes Kostenkiller von McKinsey zu sich bitten, weil die Entwickler mal wieder die Budgets gesprengt hatten. Die Probleme kulminierten im Vorgängermodell der aktuellen E-Klasse: ständige Qualitätsprobleme, vor allem mit Elektronikeinbauten. Offenbar wollten die Ingenieure mehr, als sie kontrollieren konnten.

Mehr Kanten. Konzernchef Dieter Zetsche ist zwar nicht mehr unumstritten, hat seit seinem Antritt 2006 aber viel Gutes bewirkt. «Die Qualität der Fahrzeuge ist inzwischen wieder sehr gut», bescheinigt Gregor Matthies, Leiter der europäischen Automobil-Praxisgruppe bei der Beratungsfirma Bain. Die Probleme seien «längst überwunden». Seit Zetsche regiert, setzt Mercedes zudem verstärkt auf kostensparende Modularisierung in der Produktion und neu auf ein kantiges, angriffiges Design. Neben den alten Werten Komfort und Sicherheit habe Mercedes, sagt Matthies, «heute wieder etwas mehr Sportlichkeit im Markenkern».

Aber macht das Sinn? Im Konzern gibt es zwei Strömungen: Eine plädiert dafür, jünger und sportlicher zu werden, zu ihr werden Zetsche und sein Kronprinz Wolfgang Bernhard gerechnet. Die zweite, im Management der Mercedes Car Group verbreitet, würde lieber die klassischen Mercedes-Werte, vor allem den Komfort, das präsidiale Gleiten, betonen. Das Tauziehen läuft, und es dürfte auf Zetsches Nachfolger ankommen; der amtierende CEO wirkt schon jetzt bisweilen lustlos. Aktuell hat Mercedes «zwischen Komfort und Sportlichkeit noch keine schlüssige Positionierung gefunden», konstatiert Jürgen Pieper. Immerhin laufen E- und vor allem S-Klasse heute bestens. Hohe Stückzahlen tun der Rentabilität besonders gut.

An klarer Positionierung mangelt es BMW nicht. Kompromisslos sportlich, dafür stehen die Münchner nach wie vor. Sie haben allerdings unter dem Konzernchef Norbert Reithofer intensiv an ihrer Marke gearbeitet. Mit ihren Spritspar-Einbauten, die unter der Überschrift «Efficient Dynamics» vermarktet werden, hat der Konzern früh auf Nachhaltigkeit gesetzt und diese Features ohne Aufpreise in die Serienfahrzeuge eingeführt. «Das zahlt sich heute aus», sagt Matthies. «BMW hat es geschafft, die Themen Nachhaltigkeit und Fahrfreude glaubhaft zu verbinden.» Noch wichtiger für den aktuellen Boom: Die Autos sehen wieder gut aus. Zeichnete Chefdesigner Chris Bangle voluminöse, aber futuristische und stilprägende Karossen, welche die ganze Branche beeinflussten, kondensiert sein Nachfolger Adrian van Hooydonk das BMW-Outfit wieder zu Dynamik: Flach, keilförmig und austrainiert wirkt der neue 5er, Hooydonks erstes eigenes Modell.

Produktionsexperte Reithofer hat nebenbei die BMW-Werke so flexibel eingerichtet, dass jedes mehrere Modelle montieren kann. Das glättet Nachfrageschwankungen und, sagt Gregor Matthies, «gleicht den Grössenvorteil, den Audi als Teil des VW-Konzerns hat, bis zu einem gewissen Grad aus».

VW im Rücken. Audi steht das prall gefüllte VW-Konzernregal zur Verfügung, wo sparsame Dieselmotoren, Doppelkupplungsgetriebe und unzählige Kleinteile bereits liegen oder durch gemeinsamen Einkauf günstig beschafft worden sind. Und zweitens hat VW-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg, den Winterkorn von Audi in die VW-Zentrale mitnahm, dem Konzern die famosen Kürzel MLB und MQB beschert: Der «modulare Längsbaukasten» beziehungsweise der «Querbaukasten» (der wesentliche Unterschied liegt darin, in welche Richtung die Motoren eingebaut werden) dienen als anpassungsfähige Plattformen für neue Modelle. Die Synergien und damit mögliche Einsparungen sind kaum hoch genug einzuschätzen. 30 bis 40 Prozent einheitliche Teile nutzen Audi und VW, schätzt ein Insider. Bei Audi stehen vom Mittelklasse-Viertürer A4 an aufwärts künftig sämtliche Modelle auf dem Längsbaukasten.

Offenes Rennen. Audi-Chef Rupert Stadler hat sich zwar ein eigenständiges Profil erarbeitet, aber die Mechanik im VW-Konzern lässt ihm wenig Bewegungsfreiheit. Neue Modelle beschliesst nicht er, sondern die konzernweite Produktsteuerungs-Kommission. Im Rennen um Winterkorns Nachfolge dürfte es Stadler, ein studierter Controller, schwer haben, trotz Audis eindrücklichen Erträgen. Favorisiert wird der Leiter des China-Geschäfts, Karl-Thomas Neumann. Er ist, wie die VW-Granden Winterkorn und Ferdinand Piëch, Ingenieur, leitete bis September die Entwicklung der Elektroantriebe und seither das China-Geschäft – zwei Schlüsselressorts. Stadlers nächste Aufgabe muss sein, das Audi-Design in den Modellreihen zu differenzieren. Derzeit gelingt es nur Kennern, auf der Strasse einen A8 von einem A4 zu unterscheiden, obwohl Ersterer fast das Dreifache kostet.

BMW «findet zu alter Stärke zurück», urteilt Pieper, und habe kurzfristig das grösste Aufschwungpotenzial. Mercedes habe «auf der Produktseite» noch Handlungsbedarf. Auch punkto Wertigkeit des Interieurs ist Mercedes leicht im Rückstand, aber auch hier holen die Stuttgarter auf. Immerhin, heute beschämen die Sternenkreuzer nicht mehr den Nimbus der Marke, sondern erlauben wieder einen – inzwischen kleineren – Preisaufschlag. Wo es auf Prestige ankommt, wie in den Golfstaaten, ist nach wie vor Mercedes das Mass der Dinge.

Der VW-Konzern, so will es Winterkorn, soll im Jahr 2018 zehn Millionen Autos bauen, damit Toyota überholen und zum grössten Hersteller der Welt avancieren. Dazu werben Winterkorn und Piëch der Konkurrenz reihenweise Manager ab, sind bei Suzuki eingestiegen, haben das Designatelier Giugiaro übernommen und gieren nach der Fiat-Marke Alfa Romeo. Die Entwicklungsabteilung gilt als innovativ, die Qualität als hoch stehend, das Konzerndesign als massentauglich. Die grösste Gefahr liegt darin, dass sich der Zehn-Marken-Konzern in Infights verstrickt. Aber Winterkorn hat, mit Piëchs Rückendeckung, alle Zügel straff in der Hand.

Derzeit sieht es so aus, als wäre der konzernweite Überholvorgang leichter zu bewerkstelligen, als mit Audi an BMW und Mercedes vorbeizufahren. Zwar hat die Ingolstädter Edeltochter als Teil des Autoriesen VW einen Vorteil, der sich, je länger, je mehr, auszahlen wird. Aber Preisfragen geben in der Premiumklasse nicht den Ausschlag. Zumal BMW und Mercedes wieder in den Angriffmodus geschaltet haben.

Dirk Ruschmann
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