Als Vertreter des sparsamen Pragmatismus, für den die Genfer seit den Zeiten Calvins bekannt sind, hat Patrick Odier seine Visitenkarten gleich doppelt bedrucken lassen. Die Vorderseite in goldbraunen Versalien weist ihn als geschäftsführenden Teilhaber der Privatbank Lombard Odier aus, die Rückseite in schwarzen Lettern als Präsidenten der Schweizerischen Bankiervereinigung.

Oft ist er am selben Tag in beiden Funktionen unterwegs. Wie an diesem Montag, 10. Dezember, an dem er Genf verlässt, um in Bern an der VR-Sitzung der Bankiervereinigung teilzunehmen. Die Traktandenliste ist lang: Es wird über das Hypothekargeschäft, über Retrozessionen und die Weissgeldstrategie diskutiert. Ein Traktandum trägt das Stichwort «Nachtrag». Es geht um die Wahl eines Vertreters der Credit Suisse. Für Ex-Private-Banking-Chef Walter Berchtold wird General Counsel Romeo Cerutti gewählt.

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Zeichen der Distanz 

Der Vorschlag mutet seltsam an. Sind die anderen Banken in der Regel mit den CEOs vertreten – die UBS immerhin mit COO Ulrich Körner –, so schickt die CS mit Cerutti ihren Hausjuristen. Fortan muss also ein Nicht-Banker für die zweitgrösste Schweizer Bank in strategischen Fragen mitdenken. Dabei stünde den Grossbanken eine Taktgeberrolle zu, zahlen sie doch fast die Hälfte des 25-Millionen-Verbandsbudgets.

Es ist nicht das einzige Zeichen wachsender Distanz im Vorstand. Offen als Kritiker trat Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz in Erscheinung, der mit der Aussage, der automatische Informationsaustausch dürfe kein Tabu sein, das Verbandsdogma der Abgeltungssteuer anzweifelte. Mit Urs Müller, dem neuen Präsidenten des Kantonalbanken-Verbandes, ist ein zweiter selbstbewusster Vertreter der Inlandbanken im Ausschuss, der intern gerne auf den Tisch klopft.

Odier fordert mehr Unterstützung in den eigenen Reihen: «Die Schweiz steht als Land unter Druck. Es ist Zeit für Disziplin. Es ist Zeit für Führung.» Natürlich dürfe man unterschiedliche Ansichten haben, dies solle man aber bitte intern austragen. Schliesslich habe sich der Vorstand auf eine gemeinsame Haltung geeinigt: «Wir haben alle Entscheide zur Zukunft des Finanzplatzes extrem lang, tief und ernst diskutiert. Alle VR-Mitglieder stehen dahinter.» Er verteidige als Präsident die Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeitsplätze in einem wichtigen gesamtwirtschaftlichen Sektor: «Wir gehen unnötige Risiken ein, wenn wir nicht geeint auftreten.»

Von Einigkeit ist der Verband weit entfernt. Im Vorstand werden gar Putschgelüste gehegt. Grund ist die strategische Sackgasse, in die sich Odier manövriert hat. Er hat alles auf die Karte der Abgeltungssteuer gesetzt. Einen Plan B gebe es nicht. Doch nun droht mit Deutschland der wichtigste Stein im Dominospiel seitlich wegzukippen. Das Ergebnis des Vermittlungsausschusses stand bei Redaktionsschluss nicht fest, doch die Chancen für einen Durchbruch wurden von Beobachtern als minim beurteilt.

Grossbanken lassen die Finger davon

Um intern keine Fronten aufzureissen, wurde bis Ende Jahr ein Stillhalteabkommen vereinbart. Doch mit jedem Rückschlag steigt der Druck für eine strategische Neupositionierung. Dass Odier mögliche Abkommen mit Staaten wie Griechenland als Argument für die Beibehaltung des Kurses aufbringt, mutet wie eine Durchhalteparole an.

Schon bald könnte auch Odier in Frage gestellt werden. Müsste ein strategischer Neuaufbruch nicht auch mit einem neuen Präsidenten verbunden werden, fragen sich einzelne Vorstände. Neue Konzepte können wenig glaubhaft vom Vertreter des alten Systems verkauft werden. Noch sind das nur Reissbrettspiele. Eine entscheidende Rolle bei der Bildung neuer Mehrheiten müssten die Grossbanken spielen. Doch die liessen bisher die Finger vom heissen Eisen und bringen sich lieber mit separaten Deals mit einzelnen Ländern selber in Sicherheit.

Der 1912 gegründete Verband ist seit je geprägt von unterschiedlichen Gruppierungen wie Privat-, Gross-, Ausland- und Inlandbanken. Noch nie waren die Zentrifugalkräfte so stark wie heute. Hinter vorgehaltener Hand monieren mehrere Vorstandsmitglieder, die Privatbankiers der Genfer Prägung hätten den Verband organisatorisch wie inhaltlich gekapert. Seit zehn Jahren stellen die Privatbankiers den Präsidenten. Vor Odier, der 2009 ans Ruder kam, lenkte Pierre Mirabaud den Verband. Mit Claude-Alain Margelisch haben die Genfer zudem einen CEO platziert, der im Sinne von Odier denkt und lenkt.

So ist es denn auch die Haltung klassischer Bankiers, welche die Strategie prägt. Die Abgeltungssteuer basiert insbesondere auf Anonymität des Kunden. Die Schweiz zieht für Steuerflüchtlinge eine Quellensteuer ein, die Identität der Kunden bleibt geheim. So soll das Bankgeheimnis in die Zukunft gerettet werden. Für Odier auch darum die bevorzugte Lösung, weil sie auch die Vergangenheit löst, indem bestehende undeklarierte Vermögen anonym besteuert und somit regularisiert werden.

So bestechend die Idee ist, so ernüchternd waren die Reaktionen im Ausland. Nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich wird geblockt. So liess sich Staatspräsident François Hollande von der jüngsten Charmeoffensive von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf nicht erweichen: Er sieht in der Abgeltungssteuer eine Amnestie, die er ablehnt.

Lukrative Eigeninteressen 

Auch das Ende November dem Bundesrat vorgelegte Gegenkonzept zur Selbstdeklaration, mit dem Odier jetzt in Sachen Weissgeldstrategie vorprescht, fusst auf alten Vorstellungen, soll die Bank doch selber die ihr «zweckmässig scheinenden Abklärungen» führen. Ob man den Schweizer Banken dieses Vertrauen schenken will, bleibt abzuwarten.

Während sich die Bankiervereinigung in überholten Konzepten verheddert, sind international neue Denkweisen vorherrschend: Der Trend geht in Richtung Transparenz und damit eines automatischen Informationsausgleichs. Dies fürchten die Siegelbewahrer des alten Systems wie der Teufel das Weihwasser – das Bankgeheimnis wäre endgültig tot.

Den Kampf um die Privatsphäre des Kunden habe er als Vertreter der ganzen Branche aufgenommen, nicht von einzelnen Gruppierungen wie den Privatbankiers, betont Odier: «Der Eindruck, das Private Banking geniesse besondere Aufmerksamkeit, stammt möglicherweise daher, dass in den letzten drei Jahren viele Finanzplatzthemen mit der Vermögensverwaltung zu tun hatten.»

Das stimmt, doch nicht alle sind gleich betroffen. Dass sich die Privatbankiers stärker an die alten Konzepte klammern, ist auch durch ihr Geschäftsmodell zu erklären, das stark auf dem diskreten Geschäft mit vermögenden Privatkunden aus dem Ausland basiert. Die Interessen der anderen Banken sind weniger eng: Die Grossbanken müssen ohnehin nach internationalen Spielregeln wirken, bei den Inlandbanken ist die ausländische Kundschaft marginal. Für sie bedeutet Odiers Konzept einer Globallösung für den Finanzplatz vor allem mehr Kosten.

Das Vermögensverwaltungsgeschäft alter Schule hat den Privatbankiers in der Vergangenheit die Taschen gefüllt. Privatbanken wie Julius Bär oder Sarasin konnten Gewinne von mehreren hundert Millionen Franken erzielen. Lombard Odier weist keine Zahlen aus, doch Schätzungen gehen von Ergebnissen in ähnlicher Höhe aus. Aufgeteilt auf acht Partner, ist das ein Füllhorn erster Güte.

Auch heute noch ist seine Bank im Private Banking sehr erfolgreich unterwegs. So sind die verwalteten Vermögen von September 2011 bis September 2012 um 17 Prozent gestiegen – auf 161 Milliarden. Zentrales Kundensegment für die Bank sind traditionell Kunden aus Frankreich. Solange das Land als Vertragspartner für ein Abkommen nicht verloren ist, macht es für Lombard Odier Sinn, auf die Strategie der Abgeltungssteuer zu hoffen.

Wie sehr die Bank auf den Erfolg im Private Banking angewiesen ist, zeigt die durchzogene Bilanz des Aufbruchs in neue Gefilde. So forcierte Lombard Odier mit dem von der Deutschen Bank gekommenen und 2006 zum Partner erhobenen Hubert Keller den Ausbau im Asset Management, dem Geschäft mit institutionellen Anlegern. Genau dieses Business ist es, das zum Heilsbringer des Finanzplatzes werden soll, wenn es nach dem Strategiepapier der Bankiervereinigung von Anfang Dezember geht.

Aufbruchsprobleme 

Laut Bankinsidern sollen die kumulierten Verluste im Asset Management Lombard Odiers in den letzten vier Jahren über hundert Millionen Franken betragen. Bis 2008 auf wenige profitable Standorte wie die Schweiz, Amsterdam und Hongkong fokussiert, forcierte die Bank seither den Ausbau in London und New York. Dadurch explodierten die Kosten. Lombard Odier will diese Angaben nicht kommentieren, gibt aber zu, dass man noch in den roten Zahlen sei, weil man sich immer noch in einer Investitionsphase befinde. Bei den Kunden fänden die Produkte guten Anklang.

Ob der verkündete Aufbruch des Finanzplatzes ins Asset Management den Nerv der Branche trifft, ist fraglich: Viele Konkurrenten von Lombard Odier tun sich ähnlich schwer. Andere wiederum reduzierten die strategische Bedeutung des Bereichs, wie die CS, die das Asset Management als Geschäftsbereich aufhob und ins Private Banking integrierte. Mit derlei Strategiepapieren zum Finanzplatz dürfte Odier kaum punkten. Vermisst wird vielmehr Leadership.

Alfredo Gysi, Präsident der Auslandbanken, forderte in der «NZZ am Sonntag» eine Task Force, «um die Position der Bankiervereinigung direkter an die Politik heranzutragen». Odier selber glaubt, dass die Schlüsselfiguren vor allem in der Vermarktung des Finanzplatzes näher zusammenrücken sollten. Er stellt sich ein Bild vor: Nationalbankpräsident Thomas Jordan, Finma-Chef Patrick Raaflaub, Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und er selber, Schulter an Schulter, bei gemeinsamen Auftritten im Ausland. «Das», so Odier, «wäre ein starkes Signal.»