Die Zahl der Rückenpatienten, vor allem in Dienstleistungsunternehmen, steigt seit etwa zehn Jahren stark an, und daran wird sich auch in Zukunft wenig ändern. «Rund 40 Prozent der arbeitstätigen Menschen leiden heute an Rückenbeschwerden, die sie massiv belasten», sagt Berit Kaasli Klarer, Geschäftsführerin und Gründerin von Klarergo, einem Beratungsunternehmen in den Bereichen Ergonomie und Gesundheitsförderung. Ein Hauptgrund für diese Zunahme liegt für die Expertin in den psychosozialen Faktoren. «Neben der Tatsache, dass die Bewegung fehlt, haben die Angestellten immer weniger Handlungsspielraum, und die sozialen Kontakte werden auf ein Minimum reduziert.»

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Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass Nacken, Schultern und die untere Lendenwirbelsäule innerhalb des neurophysiologischen Systems den Sitz für psychosoziale Spannungen verkörpern. Die Ergonomie – oder die Gesetzmässigkeiten der Arbeit, wie der Fachausdruck auf Deutsch definiert wird – hat sich deshalb zu einem wichtigen Zweig der Arbeitswissenschaft entwickelt. Da die Koexistenz von Mensch und Maschine Schnittstellen schafft, die den Körper gesundheitlich belasten können, erforscht die Ergonomie die Anpassung der Technik an die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen und hat zum Ziel, diese bis ins hohe Alter gesund bleiben zu lassen. Ohne Krankheiten, die durch mechanische Überbeanspruchung wie zu schweres Tragen oder ewig gleiche Bewegungsabläufe entstehen.

Ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze und -abläufe, so das Credo, sind nicht nur die beste Voraussetzung für das Wohlbefinden der Mitarbeitenden, sondern auch für deren Motivation und Produktivität. Beim Industriekonzern Alstom ist man sich dessen bewusst. Gesundheitsschutz kannte die Firma als produzierender Betrieb schon lange, doch mit der zunehmenden Verschiebung der Arbeitsplätze ins Büro wurde auch die Gesundheitsförderung immer wichtiger. Eine der wichtigsten Massnahmen sind Gesundheitsmanagementkurse für Führungskräfte, die bereits von rund 700 Kadermitarbeitenden besucht wurden. Alstom setzt auf Praxis: Im Rahmen der Führungsschulung werden auch elastische Gymnastikbänder abgegeben, mit denen sich Entspannungs- und Kräftigungsübungen unkompliziert in den Arbeitsalltag integrieren lassen, und die Ergonomieberatung gehört zum ständigen Angebot des Betriebsarztes.

«Eine Sensibilisierung zum Thema Rücken, Bewegung und Gesundheit hat ganz klar stattgefunden. Das hat nicht nur den Rücken gutgetan, sondern auch dem Betriebsklima.» Alstom ist für Rolf Heim, Arbeitsmediziner und Psychotherapeut am Institut für Arbeitsmedizin in Baden, exemplarisch: «Führungsschulungen zum Thema Ergonomie sind ein Anfang. Nachhaltige Resultate werden aber erst erzielt, wenn die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden gefördert und gefordert wird.» Beste Voraussetzungen dafür bietet eine «bewegliche Firmenkultur». «Neben regelmässigen Pausen, Steharbeitsplätzen und räumlichem Auslauf sollte diese auch Raum für die Bewegung als Lebensphänomen zulassen», sagt Berit Kaasli Klarer. «Zusammenarbeit zwischen Menschen ist ein Must, und Gefühle müssen gelebt werden können und nicht am Eingang abgegeben werden.»
Ergonomie am Arbeitsplatz bezieht sich somit nicht nur auf die gesundheitsfördernde Hardware, sondern bedeute auch soziale Unterstützung und menschengerechte Arbeitsgestaltung. «Leider ist es noch immer so, dass die Firmen sich nur um die Mitarbeitergesundheit kümmern, wenn es ihnen gut geht», sagt die Ergonomieexpertin. Sobald die Spar- schraube angesetzt werde, sei Schluss. Eine kurzsichtige Einstellung, bei der niemand profitiert, auch nicht die Firmenkassen. Im Gegenteil: Nur wer sich um das Wohl seiner Angestellten kümmert, spart Geld. «Der Return on Investment liegt bei Massnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Gesundheitsförderung zwischen 17 und 30 Prozent. Vorausgesetzt, die Arbeitsbedingungen werden geändert.»