Blockchains sind im Alltag bisher kaum angekommen. Sicher, es gibt gigantische Spekulationen auf den Preis von Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether. Und dank dem sogenannten Initial Coin Offering (ICO) haben sich zahlreiche Firmen und Projekte mit reichlich Geld eindecken können. Aber ansonsten fehlen weitgehend breite Anwendungen für den Alltag.

Das könnte sich bald ändern. Demnächst geht eine Anwendung von Blockchain-Tech live, die sofort globale Wirkung haben dürfte. Augur heisst das Projekt. Es wird sowohl die Wettindustrie als auch Finanzmärkte herausfordern. Vor wenigen Wochen ist die Entwicklung des Projekts auf die Zielgerade eingebogen. Debatten unter Regulatoren sind absehbar.

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Jeder mit Internetzugang kann Wette platzieren

Augur ist eine Wettplattform. Oder wie es im Fachjargon heisst: ein Markt für Voraussagen. Das gibt es natürlich schon lange. Global werden 500 Milliarden Franken für Sportwetten ausgegeben. Und die meisten Finanzderivate an den Börsen sind nichts anderes als Wetten auf den künftigen Wert zum Beispiel von Firmen.

Augur bringt eine entscheidende Neuerung: Jede einzelne Person auf der Welt mit Internetzugang kann eine Wette zu irgendeinem Thema lancieren. Und jedermann kann global gegen eine geringe Gebühr auf den Ausgang dieser Wette setzen. Alles ist möglich: Wie lange dauert es, bis der Böögg am Sechseläuten 2018 in Zürich explodiert? Wie viel Regen fällt in der Hauptstadt Äthiopiens im November? Wer wird nächster Meister in der Schweizer Fussball-Super-League? Und vor allem: Schliesst die Nestlé-Aktie an der Schweizer Börse Ende Juni unter 80 Franken? Damit können potenziell sehr viele Finanzinstrumente, die heute über regulierte Börsen gehandelt werden, irgendwo auf einfache Weise nachgebildet werden.

Herausforderung für Behörden

Augur ist unreguliert und unregulierbar. Ist die Plattform einmal live, gibt es kein Zurück mehr. Und keine Firma, bei der jemand intervenieren könnte. Augur ist letztlich ein Programm, das autonom auf der Ethereum-Blockchain läuft. Ein sogenannter Smart Contract. Er ordnet die Wettvorschläge automatisch, verwaltet die Wetteinsätze selber, zahlt die Gewinne aus. Ohne Einflussnahme von aussen. Und weil das Programm eben auf der Ethereum-Blockchain gespeichert ist, gibt es eben auch keinen Server, den man abstellen könnte. Das Programm läuft auf Tausenden Computern weltweit gleichzeitig. Ein Wettanbieter aus Tansania kann gleichermassen darauf zugreifen wie ein Optionenkäufer aus Hinterfrutigen. Es ist denkbar, dass auf Augur irgendwann Volumina gehandelt werden, die nicht vernachlässigbar sind.

Darauf vorbereitet sind die Behörden und Institutionen nicht, welche heute den Börsenhandel und das Wettgeschäft überwachen. Auch in der Schweiz nicht. Die Finanzmarktaufsicht Finma sagt, sie verfolge die Entwicklungen im Blockchain-Sektor, äussere sich aber nicht zu einzelnen Anwendungen. Ähnlich allgemein klingt es beim Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF), das eine Taskforce Blockchain/ICO gebildet hat: «Die Arbeitsgruppe wird alle Ausprägungen von Kryptowährungen prüfen.» Und die Börse SIX sagt: «Wir beobachten alles, beschäftigen uns konkret damit, wenn etwas relevant wird.» In der Branche ist klar: Neue dezentrale «Prediction Markets» wie Augur oder das Konkurrenzprodukt Gnosis hat noch niemand auf dem Radar.

Die Weisheit der Masse

Hinter Augur steht zwar letztlich keine Firma. Dennoch brauchte es ein ganzes Team von Entwicklern, das die Anwendung programmierte. Zu den Gründern gehören die US-Amerikaner Jack Peterson und Joey Krug. Sie werden unter anderem vom Gründer des US-Wettanbieters Intrade und von Ethereum-Gründer Vitalik Buterin beraten. Das Projekt existiert seit 2015.

Der alles dominierende dezentrale Ansatz zeigt sich bei Augur auch in der Frage, wie letztlich bestimmt werden soll, wie eine Wette ausgegangen ist. Bei klassischen Anbietern, beispielsweise bei Sportwetten, legt das eine zentrale Firma wie Tradesports fest. Augur greift dagegen auf Tausende Reporter weltweit zurück. Sie statten dem Programm Augur quasi Bericht ab darüber, welches Ereignis eingetreten ist. Wie immer in der Blockchain-Welt funktioniert das Finden eines Konsenses mittels ökonomischer Anreize. Vereinfacht gesagt: Wenn ein Reporter die «Wahrheit» berichtet und damit mit der grossen Mehrheit der anderen Reporter stimmt, wird er belohnt und erhält einen Teil der Wettgebühren. Wer «Unwahres» berichtet, der verliert ein zuvor geleistetes Depot. Augur kennt ein mehrstufiges Verfahren, um die Sicherheit des Reportings zu gewährleisten.

In diesen Wochen wird Augur von externen Programmierern auf Fehler getestet. Auch danach wird es noch einige Zeit dauern, bis die Plattform von grossen Massen benutzt werden kann. Die Ethereum-Blockchain ist noch gar nicht dafür ausgelegt. Sie kann höchstens rund 1 Million Transaktionen pro Tag bewältigen. An Lösungen wird gearbeitet, aber der Durchbruch dürfte noch ausbleiben.

Augur hat Zeit. Ohnehin geht es den Gründern um weit mehr als den Aufbau einer Wettplattform. Was sie ebenso interessiert, sind die Einschätzungen, die sich auf Augur zu künftigen Ereignissen ansammeln werden – «die Weisheit der Masse». Oftmals liefert sie genauere Voraussagen darüber, ob ein Ereignis eintreten wird, als individuelle Experten oder traditionelle Umfragen. Der Aufbau dieser Zweitverwertung von Augur dürfte mindestens so spannend sein wie die Plattform an sich.

So funktionieren öffentliche Blockchains

Zensurfrei: Projekte wie Augur wollen Apps anbieten, die allen global offenstehen und von niemandem zensiert werden können. Das ist zum Beispiel für Finanzanwendungen relevant. Aus diesem Grund greift Augur auf eine sogenannt öffentliche Blockchain wie Ethereum zurück.

Teuer: Blockchains sind eigentlich Datenbanken. Sie heissen öffentliche Blockchains, wenn jeder auf der Welt ohne spezielle Erlaubnis auf sie zugreifen kann und die Integrität der Datenbank von zahlreichen, auch anonymen Akteuren gewährleistet wird. Diese sogenannt dezentrale Methode ist zwar teuer, macht Transaktionen aber insgesamt auch widerstandsfähiger gegen Zensur und Willkür. Die bekanntesten öffentlichen Chains sind Bitcoin und Ethereum. Es gibt auch private Blockchains, hinter denen Firmen stehen und die nicht allen offenstehen.

Global: Öffentliche Blockchains funktionieren, weil Tausende Computer auf der Welt die Transaktionen weiterleiten, prüfen und sich gegenseitig kontrollieren. Das klappt, weil die Besitzer dieser Computer für ihre Arbeit zum Beispiel mit Gebühren der Nutzer entschädigt werden.