Brandbomben-Produktion unter Ems-Vorgänger: Christoph Blocher sagt, er wisse von nichts

Blocher schlägt zurück, was die Vergangenheit der Ems-Chemie betrifft. Laut einem neuen Buch der Zürcher Historikerin und einstigen SRF-Journalistin Regula Bochsler («Nylon und Napalm») habe die Vorgängerfirma der heutigen Ems-Chemie in den 1950er Jahren eine Weiterentwicklung des Brandkampfstoffes Napalm mit dem Namen «Opalm» vertrieben. Blocher hat das Unternehmen später übernommen. Das neue Buch zur Geschichte der Ems-Chemie habe Christoph Blocher erst am Mittwoch erhalten. Am gleichen Tag wurde in der TV-Sendung «Rundschau» der Vorwurf erhoben, Blocher habe firmeneigene Akten vernichten lassen, die ein dunkles Kapitel der früheren Ems-Chemie dokumentieren würden: die Produktion einer Brandbombe, genannt «Opalm», durch die Vorgängerfirma Hovag. Die Sendung stützte sich auf Aussagen Regula Bochslers. Am Folgetag doppelten die Tamedia-Blätter nach, die Ems-Chemie verschweige ein Kapitel ihrer achtzigjährigen Unternehmensgeschichte. Die Eigentümerfamilie Blocher habe etwas zu verbergen: «In der Firmengeschichte ist von diesem Kampfstoff nirgends die Rede», schreiben die Tamedia-Autoren Catherine Boss und Oliver Zihlmann. Auch weigere sich die Ems-Chemie, ihr Betriebsarchiv zu öffnen, um die Sache zu klären. Dann reagierte Blocher auf seinem Internetkanal «Teleblocher»: Das Buch sei eine «Schmähschrift zur Gründerfamilie der früheren Ems-Chemie, der Familie Oswald». Es lasse wichtige Fakten aus, darunter die Bedeutung des umtriebigen Firmengründers Werner Oswald (1904–1979). Blocher stellt ihn als einen Macher dar, der während der 1930er-Jahre-Krise Arbeitsplätze schuf. Er baute in Ems eine Fabrik, die aus Holz Alkohol herstellte, das man dem Benzin beimischen konnte. So wurde die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs ein Stück weit unabhängig von Benzinimporten. Der Bund subventionierte die Produktion zu Vollkosten. Der Haken: Der aus Holz gemachte Sprit war teuer, denn die Produktion war aufwendig: Aus Holz musste zuerst Zucker gewonnen werden, den man danach zu Alkohol vergärte. Die Vorgängerfirma der Ems hiess denn auch Holzverzuckerungs-AG (Hovag). 1960 wurde die Hovag in «Emser Werke» umbenannt. Blocher studierte damals Recht, stiess 1969 als Werkstudent zu den Emser Werken und zündete eine raketenartige Karriere: Nur drei Jahre später machte ihn Oswald zum Firmenleiter und Delegierten des Verwaltungsrates. 1979 starb der Gründer. Blocher erwarb drei Jahre später das Aktienpaket der Oswald-Erben und damit die Stimmenmehrheit am Unternehmen. Die nach seinen Worten damals defizitäre Ems-Chemie baute er um und führte sie zum Erfolg. Nachforschungen im Gange Zum Vorwurf, er verschweige eine dunkle Vergangenheit, sagt Blocher auf «Teleblocher»: «Von einer Opalm-Produktion höre ich zum ersten Mal.» Anderen früheren Ems-Mitarbeitenden gehe es genauso; er sei am Nachforschen. So habe ihm das Gleiche ein heute neunzigjähriger früherer Buchhalter der Hovag bestätigt, der zur fraglichen Zeit, also 1956, nichts davon gewusst habe und sage, dass es keine Belege gegeben habe, die auf eine Brandbombenproduktion der Hovag hingewiesen hätten. Blocher nannte eine Vermutung, warum man «in Ems nichts von der Brandbombenproduktion gewusst» habe: die Firma Patvag, mit vollem Namen Patentverwertungs-AG. Sie gehörte zwar dem Firmengründer, nicht aber zur Ems. Blocher sagt: «Sie hat Oswald persönlich gehört.» Oswald habe den Bau der Brandbombe möglicherweise über diese Parallelfirma abgewickelt, das entnehme Blocher dem neuen Buch. Dass die Hovag (und spätere Ems-Chemie) involviert war, sei insofern möglich, als dass Oswald einen alternativen Absatz für Holzalkohol suchte. Die Brandbombe, für die es hoch entzündliches Material braucht, wäre eine solche Alternative gewesen. Blocher stellt klar: «Die Emser Hovag wollte nur den Betriebsstoff liefern, nicht aber die Bombe.» Drei Begebenheiten sprechen für diese These: erstens die damalige Wirtschaftslage, zweitens die Aufrüstung und drittens die Intransparenz Oswalds. Erstens: Es gab damals einen staatlichen Zwang, den Emser Holzalkohol (Übername «Emser Wasser») dem Benzin beizumischen. Nach dem Krieg floss wieder billiges, importiertes Benzin. Der hohe Preis für das teuer produzierte Holzbenzin konnte nicht mehr gerechtfertigt werden. Damit verlor auch die Subventionierung ihre Berechtigung. Als der Bundesrat 1955 das Regime um weitere fünf Jahre verlängern wollte, ergriffen der Wirtschaftsdachverband Vorort (heute Economiesuisse) und die Migros (Migrol-Tankstellen) das Referendum dagegen. Das Stimmvolk stoppte die Subventionierung. Zweitens: Der Korea-Krieg war in vollem Gange, der Vietnam-Krieg begann gerade. Die Machtsphären der Sowjetunion und der USA prallten aufeinander. Und die Länder rüsteten auf, auch mit Napalm-Brandbomben. Und so kam das, was das neue Buch beschreibt – nämlich dass Oswald zusammen mit dem Schweizer Militär den Bau der schweizerischen Brandbombe Opalm vorantrieb, unter Verwendung des Ethanols als Ersatz für Benzin, aus der die Napalmbombe bestand. Die Experimente wurden öffentlich zur Schau gestellt; es war nichts Verwerfliches daran, Brandbomben zu entwickeln. Laut dem Buch Bochslers waren Hovag-Verantwortliche an der Entwicklung beteiligt und stellten sie im Oktober 1952 auch dem Militärdepartement vor. Das Bundesarchiv zeigt aber auch: Der Bundesrat hatte sich dagegen entschieden, den Stoff zu kaufen. Er war ihm zu teuer. Und er verbot den Export der Bombe. Und drittens die Intransparenz: Oswald verwischte die Spuren. «Er errichtete gezielt einen raffiniert verschachtelten Konzern, der schon von der Überwachungskommission des Bundes kaum zu durchdringen war», heisst es im NZZ-Bericht zum Buch. Um der Kontrolle zu entgehen, ging Oswald ins Ausland. «So wird beschrieben, wie die Firma Patvag die Produktion von Opalm nach Deutschland verlegte, nachdem der Bundesrat die Ausfuhr verboten hatte», heisst es im Tamedia-Bericht. Dennoch seien Geschäfte über die Ems gelaufen, so Bochsler. So habe die indonesische Armee «1960 beispielsweise 15 Tonnen Emser Opalm gekauft». Es sei «falsch deklariert und auf normalem Wege spediert» worden. Aktenkundig seien vier Bestellungen, schreibt die Buchautorin. Wikipedia-Eintrag linksextremer Gruppierungen Den Vorwurf im «Rundschau»-Bericht, Blocher habe Jahre später, nämlich 1993, Akten in der Ems-Chemie-Entwicklungsabteilung vernichtet, weist der frühere Ems-Patron zurück. «Das kann ich mit Sicherheit ausschliessen. Das ist Unsinn. Das kann mir auch niemand nachweisen», so Blocher gegenüber dem «Teleblocher»-Interviewer Matthias Ackeret. Blocher glaubt, dass mit dem Buch der Ruf der Familie Blocher beschädigt werden soll. Deshalb sei es richtig, wenn die Ems-Chemie der Forscherin Regula Bochsler den Zugang zum Betriebsarchiv verweigere. Auch an der Buchvernissage, die am Dienstag stattfindet, wird Blocher nicht teilnehmen. Was gegen Blochers Unwissenheit spricht, ist seine Aussage, er erfahre jetzt erstmals darüber. Tatsächlich hat Buchautorin Bochsler mit Blocher bereits vor einiger Zeit mit ihm über Opalm gesprochen. Auch findet sich auf der Wikipedia-Seite zur Ems-Chemie ein Eintrag aus dem Jahr 2019, der auf die Opalm-Produktion hinweist. Der Link führt zu einer linksradikalen Journalistengruppe, genannt «Ajour Magazin». Auf ihrer Homepage wird kein Redaktionsmitglied genannt. Auf ihrer Facebook-Seite bezeichnet sich die Publikation als «ein selbst organisiertes Online-Magazin aus der anarchistischen und kommunistischen Bewegung». Der vor vier Jahren publizierte Online-Bericht zu Opalm und Blocher ist gelöscht. Die Gruppe antwortete nicht auf E-Mail-Anfragen der «Handelszeitung». Doch Google-Recherchen zeigen, dass seit Jahren etliche Berichte linksextremer Gruppen zirkulieren, die den Zusammenhang zwischen Opalm, der Ems-Chemie und Blocher herstellten, darunter auch auf «Untergrund-blättle.ch». Jedenfalls wird deutlich, dass Bochsler den Zusammenhang nicht als Erste hergestellt hat. Dieser politische Kontext dürfte Blocher und Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher darin bestärkt haben, das Ems-Chemie-Betriebsarchiv nicht zu öffnen. Sie wittern eine politische Verschwörung linksextremer Kreise gegen sie, die mit Bochslers Buch eine Erweiterung erfahren hat. Auch Bochsler galt lange als linke Journalistin.

Brandbomben-Produktion unter Ems-Vorgänger: Christoph Blocher sagt, er wisse von nichts

Wie Blocher auf die Vorwürfe reagiert