Wie will man Citigroup beschreiben, ohne dem Finanzriesen unrecht zu tun?
Die Nummer sechs aus der Fortune-500-Rangliste ist vieles: Die grösste sowie
die profitabelste Bank in den USA, die grösste Emittentin von Kreditkarten
weltweit, grösster Mitspieler am Kapitalmarkt und Amerikas und der Welt meist
bewundertes Unternehmen.

Citigroup ist aber auch und vor allem: Sanford I. Weill. Auf den 1. Oktober hat
der erfolgreiche, wenn auch nicht unumstrittene CEO und Chairman der
Citigroup die operative Verantwortung seinem Nachfolger Charles Prince
übergeben, und zwar früher als im Juli angekündigt. Dass sich der 70-Jährige
unter dessen Ägide auch grosse Abschreiber in Argentinien, ein Enron-
Engagement sowie das unrühmliche Kapitel geschönten Researchs im Tausch
gegen Investmentbanking-Aufträge fallen aus dem Tagesgeschäft ganz
zurückziehen wird, glaubt an der Wall Street fast niemand: Zumal er bis 2006
weiterhin als Chairman amten wird.

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Was heute derart friedlich vereint unter dem roten Regenschirm, dem
Firmenlogo von Citigroup, daherkommt, wurde aus vielen Teilen über die Jahre
zu diesem Finanzriesen zusammengezimmert, der heute weltweit über eine
Viertelmillion Mitarbeiter beschäftigt.

Citigroup entstand im Oktober 1998 durch den Zusammenschluss der Bank
Citicorp und Travelers, die ursprünglich eine Versicherung und ein
Finanzdienstleister mit Salomon-Smith Barney ein Standbein im
Investmentbanking hatte. Zu jenem Zeitpunkt war jedoch die Glass-Steagall-
Act noch in Kraft, die es einer Bank untersagte, gleichzeitig als Geschäfts- und
Investment-Bank tätig zu sein. Weill und John Reed, der damalige Chef von
Citicorp, der nach der Fusion den internen Machtkampf um die Führung von
Citigroup verlor und derzeit als Interimschef die New York Stock Exchange
nach dem Rücktritt von Dick Grasso leitet, bewegten sich mit dem
Zusammenschluss in einem Graubereich.

Dass das Gesetz aufgehoben und 1999 durch die Gramm-Leach-Bliley Act
ersetzt wurde, was die 70-Milliarden-Dollar-Fusion letztlich ermöglichte, wird
nicht zuletzt auf das Lobbyieren von Weill in Washington zurückgeführt.

Konstant wachsender Gewinn

Weills erklärtes Ziel war es, den Gewinn alle fünf Jahre zu verdoppeln, woraus
sich eine jährliche Gewinnwachstumsrate von 15% ableitet. Im Schnitt der
Jahre 1997 bis 2002 lag der jährliche Zuwachs des Gewinns je Aktie bei 16%.
Im gleichen Zeitraum bewegte sich die Eigenkapitalrendite zwischen 14,4% und
22,4% pro Jahr.

Das Wachstum wurde nicht zuletzt durch Einkaufstouren in den USA, Mexiko,
Asien sowie (Ost-) Europa möglich. Zu den Akquisitionen gehören etwa jüngst
das Kreditkartengeschäft des Detailhändlers Sears in den USA, in 2001 der
12,5-Milliarden-Dollar-Kauf der mexikanischen Bank Banamex, in 2000 die
Übernahme der Investmentbank Schroders und damit der Eintritt in den
europäischen Markt.

Der Konzern suchte in den vergangenen Jahren aber vermehrt die Expansion
aus gesättigten Märkten in solche, die Wachstum versprechen. Wo Citigroup
dieses vermutet, lässt sich unter anderem an der geografischen Herkunft des
Nettoeinkommens im ersten Halbjahr 2003 ablesen: 11% stammen aus den
EU-Osterweiterungskandidaten-Ländern (u.a. Polen und Ungarn), 5% aus Japan
und 10% aus dem übrigen Asien, 8% aus Mexiko und 4% aus dem übrigen
Lateinamerika. Wachstumsstärkste Region im zweiten Quartal 2003 waren mit
einer Steigerung von 36% gegenüber dem Vorjahr die Schwellenländer Europas
vor Mexiko mit +25%. Ein Wachstum von «nur» 9% in Nordamerika, wo im
ersten Halbjahr 62% der Einnahmen generiert wurden, untermauert den Drang
ins Ausland. Als Klotz am Bein erwiesen sich Lateinamerika (3%) und Japan (
24%).

Aufgeblähtes Monster?

Kritiker bemängelten, dass die Akquisitionsstrategie Weills zu einer
unkontrollierbaren Aufblähung des Konzerns führte, der durch seine vielen
Geschäftssparten unüberschaubar wird. Den Überblick zu behalten ist
zweifelsohne nicht leicht. Es überrascht daher wenig, wenn beispielsweise der
Jurist und neue CEO Charles «Chuck» Prince 2001 in einem Interview in
«Fortune» seine damalige Rolle als Co-Chief-Operating-Officer (Co-COO) als
«Ausdehnung von Sandys Reichweite» beschrieb.

Weill gelang es jedoch weitgehend, die verschiedenen «Neuzugänge» in das
Unternehmen zu integrieren und Synergien zu nutzen. Zu Princes Aufgaben
zählte beispielsweise auch, das Cross-Selling zwischen den heute fünf
Konzernbereichen Global Consumer Group, Global Corporate and Investment
Banking, Global Investment Management, Citigroup International und Smith
Barney zu fördern. Analysten zeigen sich von der bisherigen Ausschöpfung des
Potenzials begeistert, so etwa Guy Moszkowski von Merrill Lynch. Sie
erwarten, dass sich dies in Zukunft noch verbessern wird.

Der finanzielle Erfolg von Citigroup ist gleichzeitig auch auf Weills unerbittliche
Kostenkontrolle zurückzuführen. Sowohl 2001 wie auch 2002 nahm der Ertrag
jeweils um 6% zu, während die Kosten um nur 2% wuchsen. Das zweite
Quartal 2003 enthielt so gesehen einen Makel, da die Einkünfte um 8%
kletterten, während gleichzeitig die Kosten um 9% stiegen. Als Gründe gab das
Unternehmen unter anderem Kosten für die Repositionierung in Lateinamerika,
die Verbuchung von Mitarbeiteroptionen als Ausgaben und höhere
Pensionsbeiträge an.

Absage an Grossfusion

Die Latte ist hoch gelegt für Prince und Robert Willumstad, der ab 1. Oktober
die Funktion des COO übernehmen wird. Die beiden, die als Führungsteam
gemeinsam Sandy Weills Fussstapfen ausfüllen sollen, gaben der
Analystengemeinde anlässlich einer Lunch-Präsentation in der zweiten
Septemberwoche einen Vorgeschmack dessen, was in Zukunft von Citigroup
zu erwarten ist. Laut Richard Strauss, Bank-Analyst der Deutschen Bank,
beabsichtigen Prince und Willumstad durchaus, ihren eigenen Führungsstil zu
entwickeln, statt Weill zu kopieren. Prince stellte für die Zukunft «nur» eine
zweistellige Gewinnwachstumsrate in Aussicht, was ein Abrücken von Weills
Maxime der Gewinnverdoppelung im Fünf-Jahre-Rhythmus bedeutet.

Das Führungsduo betrachtet zudem die grossen Fusionen und
Unternehmensumbauten als abgeschlossen. Stattdessen wolle man, so
Strauss, mit dem Skalpell jene Bereiche herausoperieren, die nicht rentabel
seien. Laut Strauss könnte ein solcher Bereich das
Unternehmenskreditgeschäft in den Emerging Markets sein. Allerdings gilt
dabei, dass sich Citigroup früher schon von Bereichen trennte, die nicht mehr
ganz ins Konzept passten. Das beispielsweise im Jahr 2002 der Spin-off des
Sachversicherungsteils von Travelers.

Merrill-Lynch-Analyst Moszkowski glaubt zwar nicht, dass Citigroup in Zukunft
ganz auf Akquisitionen und Arrondierungen verzichten werde. Er betrachtet den
Stabwechsel jedoch als äusseres Zeichen für die Transformation der Strategie:
Nachdem die Grobarbeit am Gebilde Citigroup geleistet sei, werde es an Weills
ehemaligen Weggefährten liegen, die Feinarbeit zu leisten und die Profitabilität
weiter zu verbessern, wobei die Zukunft seiner Meinung nach klar im Ausland
liegen wird.

Dass eine volle Kriegskasse nicht mehr zu den höchsten Prioritäten zählt,
deutet unter anderem eine Erhöhung der Dividende um 75% im zweiten Quartal
2003 an. Der Finanz-Riese ist gereift, die Sturm-und-Drang-Jahre dürften vorbei
sein. Geht Princes und Willumstads mutmasslicher Plan auf, werden
Investoren deswegen aber in Zukunft nicht unbedingt kürzer treten müssen.

Citigroup Letzer Kurs: USD 46.07

Fazit: Weills Fokus auf den Shareholder Value hat sich für die Anleger
gelohnt. Die Sünden der Vergangenheit haben einen weiteren Höhenflug
gebremst. Die Beseitigung von Altlasten und das Ausschöpfen von
schlummerndem Potenzial erlauben Optimismus.

1. Halbjahr 1. Halbjahr
2003* 2002

Geschäftsertrag 37.9 35.8

Ebitda 12.4 11.2

Betriebsgewinn 8.4 7.3

Reingewinn 8.4 8.9

Beschäftigte 261 726 280 206