Gelegentlich hat Daniela Merz auch mal einen Zuhälter am Telefon, der sich nach verfügbaren Arbeitskräften erkundigt. Fast immer dann, wenn wieder irgendwo ein Artikel über die Stiftung für Arbeit publiziert wird, die Merz seit fünf Jahren leitet. Und vor allem darum, weil hier unten an der Sitter, in der alten Fabrik am Fuss von St. Gallen, gelegentlich auch ehemalige Babystricherinnen einen Neuanfang suchen, was dann in der Zeitung steht. Aber auch Folteropfer sind darunter, seit Jahren arbeitslose Tamilen, verschleierte Araberinnen und zur Hälfte Schweizerinnen und Schweizer, die teilweise seit Jahren keiner geregelten Arbeit mehr nachgegangen sind. Menschen, für die Daniela Merz und ihre Institution der letzte Rettungsanker sind, die letzte Hoffnung, in einer geregelten Arbeitswelt doch wieder Fuss fassen zu können.

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Was die Schwiegertochter von Bundesrat Hans-Rudolf Merz leistet, hat in der Schweiz Pioniercharakter, denn das privatwirtschaftlich geführte Unternehmen weist in Sachen Reintegration eine Erfolgsquote auf, die ihresgleichen sucht. Entsprechend führt Merz fast täglich Delegationen von Sozialämtern, Arbeitslosenprojekten oder politischen Behörden durch die alten Fabrikhallen, in denen zu Spitzenzeiten an die 400 Frauen und Männer an Werkbänken arbeiten. Vor fünf Jahren, als Merz die Leitung der Stiftung übernahm, waren es vierzig Leute. Das Unternehmen platzt aus allen Fugen, «in St. Gallen werden wir nicht weiter wachsen können, die Grenzen sind hier erreicht», sagt Daniela Merz.

Das Erfolgsmodell der St. Galler Stiftung hat zwar schon schweizweit seine Nachahmer gefunden, Erfolg haben allerdings nur die wenigsten. Entsprechend gross ist die Nachfrage nach dem Know-how der Truppe rund um Merz, die schafft, woran sich die Sozialbehörden in allen Landesteilen seit Jahren die Zähne ausbeissen. Über Gelegenheitsarbeiten wird hier ausgesteuerten Langzeiterwerbslosen nämlich wieder ein Arbeitsalltag ermöglicht und vielen eine Zukunft, die sie längst verloren glaubten. Die Erfolgsquote ist beeindruckend, vierzig Prozent aller Beschäftigten finden in den ersten Arbeitsmarkt zurück, nachdem sie sich bei der Stiftung wieder an die Pflichten und Regelmässigkeiten der Arbeitswelt gewöhnt haben. «Wer eine Stelle findet, der kann von einer auf die andere Minute gehen, denn die Wiedereingliederung ist bei uns das oberste Ziel», sagt Merz, während sie uns durch die Hallen führt. Vor allem die Frauen an den Werkbänken winken ihr schon von weitem, für jede findet Merz ein paar Worte, schüttelt hier und dort eine Hand und bespricht zwischendurch kurz mit den Vorarbeitern Aufträge der nächsten Woche.

Finanziert wird die Stiftung zur Hälfte über staatliche Leistungen, allerdings können die Sozialämter die von der Stiftung bezahlten Löhne mit den Ansprüchen der Sozialhilfeempfänger verrechnen. Für beide Seiten ein Gewinn. Gut die Hälfte der Erträge kommt aus der Privatwirtschaft, darunter viele Zulieferer der Autoindustrie. Sie gehören heute bereits zu den wichtigsten Kunden, für die in den Hallen der Stiftung all jene Hilfsarbeiten erledigt werden, die sonst längst nach Tschechien, Indien oder China ausgelagert worden wären. Hilfsarbeiten wie das Montieren von Lampenpendeln etwa, das Ummontieren von Steckdosen oder die Nachkontrolle von Gussteilen.

Die Auftragslage ist klar, auch wenn die Stiftung immer wieder damit ringt, ihren Kunden klar zu machen, dass sie weder das Gewerbe noch die Industrie konkurrenzieren will. Und dass sie nicht dazu da ist, die Gewinne ihrer Auftraggeber zu optimieren. Und dennoch ist das Unternehmen eine Firma und kein Beschäftigungsprogramm. Die Arbeiten, die hier unten für die Industrie, für Baufirmen oder auch für Recyclingunternehmen erledigt werden, haben neben der Verlagerung vor allem eine Konkurrenz: die Automatisierung. Solange die Arbeit nicht teurer wird als neue Roboter, laufen hier auch die Aufträge. «Vieles ist Handarbeit, etwa im Recyclingbereich, hier besteht nur die Gefahr, dass diese Arbeit künftig von Schrottmühlen übernommen wird, mit denen die Materialien automatisch sortiert werden», sagt Merz. Bisher aber ist der Stiftung das Gossauer Recyclingunternehmen Solenthaler, einer ihrer grössten Kunden, treu geblieben.

Klumpenrisiken, mit denen die St. Galler Stiftung vor allem in ihren Anfangsjahren noch leben musste, gibt es heute keine mehr, die Basis der Auftraggeber wurde in den vergangenen Jahren deutlich verbreitert. Heute sind es sieben, acht Unternehmen, die für den Hauptumsatz sorgen, hinzu kommen Hunderte von Kundinnen und Kunden, die nur gelegentlich anklopfen. «Rechnungen in der Höhe von tausend Franken und weniger schreiben wir am Laufband. Denn viele Firmen haben erkannt, dass wir trotz höheren Lohnkosten als in Billiglohnländern Hilfsarbeiten professionell erledigen können. In all den Jahren, die ich nun hier bin, ist es zu keiner einzigen grossen Reklamation gekommen», erzählt Daniela Merz. Längst liefert die Stiftung etwa ummontierte Geräte oder kontrollierte Gusserzeugnisse direkt an die Endkunden. Darauf ist Merz besonders stolz. «Das hat zwar etwas gedauert, doch haben wir längst bewiesen, dass wir absolut zuverlässig arbeiten, sodass unsere Auftraggeber auf eine Endkontrolle verzichten können.»

Für den Staat und die Sozialämter zahlt sich das Modell aus. Zwar müssen sie weiterhin Geld in die Hand nehmen, doch kommt sie das Modell weit günstiger als jedes andere Beschäftigungs- oder Sozialprogramm. Längst weisen in St. Gallen nicht mehr nur die städtischen Arbeits- und Sozialämter der Stiftung Arbeitsuchende zu, viele Gemeinden in der Region haben den Nutzen des St. Galler Sozialunternehmens erkannt. Im vergangenen Jahr hat die Stiftung einen nächsten Schritt gewagt, in atemberaubendem Tempo wurden bereits drei neue Tochtergesellschaften gegründet. Im thurgauischen Arbon beschäftigt die Stiftung bereits 50 Arbeitnehmer, ebenso in Wallisellen, einem Standort, der von der Stadt Zürich mitinitiiert wurde. Und in Winterthur öffnet Ende März eine weitere Tochterfirma ihre Pforten.

Das erfolgreichste Modell ihrer Expansion besteht aber in der Auslagerung ganzer Abteilungen. Etwa in der Endkontrolle von Druckgussteilen bei der Firma Wagner im appenzellischen Waldstatt. Hier arbeiten heute schon 50 Leute der Stiftung in vom Normalbetrieb abgetrennten Räumen in der Nachkontrolle. Arbeiten zwar, die auch Ungelernte nach weniger als einem Tag anstandslos verrichten können. Was aber dennoch dazu geführt hat, dass der eine oder andere Mitarbeiter der Stiftung bereits intern die Stelle wechseln konnte. Für Merz ist klar, dass dies in Zukunft ein wichtiger Zweig werden wird. «Wir können mit diesen Hilfsarbeiten vor allem Firmen künftig auch vor Ort helfen, die in der Produktion grosse Schwankungen haben und in Spitzenzeiten nicht mehr nachkommen.»

Mit ihren neuen Tochtergesellschaften legt die Stiftung ein atemberaubendes Wachstumstempo vor. 600 Leute werden in diesem Frühjahr an den vier Standorten bereits arbeiten, der Umsatz liegt heute zwischen 13 und 14 Millionen Franken. Daniela Merz ist die treibende Kraft dahinter, der Job scheint ihr auf den Leib geschrieben zu sein. «Headhunter müssen sich bei mir jedoch nicht melden, denn etwas Spannenderes als diese Arbeit kann ich mir kaum vorstellen.»

Das Pendeln zwischen ihrer mütterlichen Betreuungsrolle und dem knallharten Verhandeln im Markt scheint der ehemaligen Primarlehrerin zu liegen. Bis vor einem halben Jahr hat sie noch im Nebenamt als Sozialvorsteherin ihrer Wohngemeinde Herisau gewirkt, mit der Expansion ihres Unternehmens hat sie sich nun aber voll für die Arbeit ihrer Stiftung entschieden. «Mittlerweile arbeiten bei uns auch zahlreiche Leute aus Herisau, das wäre für mich über kurz oder lang zum Interessenkonflikt geworden», begründet die ehemalige FDP-Gemeinderätin ihren Rückzug aus dem politischen Amt.

Mit dem Wachstum der Stiftung hat vor allem auch die Akquisition eine neue Dimension erreicht. Längst putzt Daniela Merz nicht mehr nur die Klinken kleinerer Gewerbebetriebe in der Umgebung, sondern analysiert mit ihrem Führungsteam ganze Branchen, die als Auftraggeber in Frage kommen. «Schliesslich hängt es aber immer davon ab, ob ich über einen Rotary-Kontakt oder über Referenzkunden irgendwo ein offenes Türlein finde, um potenziellen Kunden unser Angebot schmackhaft zu machen.»

Das Unternehmen hat laut Merz stark von der Hochkonjunktur profitiert. So stark, dass sich allmählich auch zeigt, dass selbst eine erfolgreiche Sozialfirma nicht alle sozialen Probleme lösen kann. «Das Niveau sinkt, immer häufiger stellen wir Leute ein, die wir kaum mehr vermitteln können», sagt denn auch Merz. Vor allem in St. Gallen wurde das System schon ziemlich ausgereizt, womit auch die Vermittlungsfähigkeit der Mitarbeitenden sinkt. «Das widerspiegelt sich natürlich in unserem Mitarbeiterbestand, viele Leute bleiben immer länger bei uns.»

Solange es allerdings noch derart viele Hilfsarbeiten gebe, denen eine Auslagerung in Billiglohnländer drohe, sieht Daniela Merz keine Schwierigkeiten, für ihre wachsende Mitarbeiterzahl auch in Zukunft genügend Arbeit zu finden. «Unsere Leute sind nicht zuletzt dank unserem System flexibel einsetzbar, wir haben uns für viele unserer Kunden aus Gewerbe und Industrie zum unentbehrlichen Partner gemausert», sagt Merz. Etwa dann, wenn die Reinigungsequipen der Stiftung Suizidwohnungen putzen gehen. «Viele unserer Leute haben damit kein Problem, da sie selbst mit sozialen Problemen und einem schwierigen Umfeld schon viel erlebt haben.»

Daniela Merz

Daniela Merz (36) leitet die Stiftung für Arbeit in St. Gallen seit 2002. Zuvor arbeitete die ausgebildete Primarlehrerin zusammen mit ihrem Mann, einem Sohn von Bundesrat Hans-Rudolf Merz, in einer Informatikfirma. Seit Merz die Leitung der privatwirtschaftlich organisierten Sozialfirma übernommen hat, hat sich die Mitarbeiterzahl mehr als verzehnfacht, ebenso der Umsatz, der 2007 bei rund 13 Millionen Franken lag. Im vergangenen Jahr hat die Stiftung mit einer weit reichenden Expansion begonnen, bereits wurden in Arbon und in Wallisellen neue Tochtergesellschaften eröffnet, ein weiteres Unternehmen startet Ende März in Winterthur.