Keine neuen Atomkraftwerke, mehr erneuerbare Energie, weniger Energieverbrauch: Das sind die Hauptelemente der Energiestrategie, über die das Stimmvolk am 21. Mai befindet. Bekämpft wird die Vorlage von der SVP, die Wirtschaft ist gespalten.

Auslöser war die Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011. Zwei Monate nach dem Unglück beschloss der Bundesrat, dass in der Schweiz keine neuen Atomkraftwerke gebaut werden sollen. Noch im selben Jahr bestätigte das Parlament diesen Grundsatzentscheid.

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Von 40 Franken...

Was damals heiss umstritten war, ist heute allgemein akzeptiert. Der Bau neuer Atomkraftwerke ist allein schon aus ökonomischen Gründen keine Option mehr, das sagen inzwischen auch die Gegner der Energiestrategie. Umstritten bleibt, wie der Atomstrom längerfristig ersetzt und eingespart werden soll, ob erneuerbare Energien gefördert werden sollen und was die Energiewende kostet.

Die Gesetzesänderungen, über die im Mai abgestimmt wird, führen in den nächsten fünf Jahren zu zusätzlichen Kosten von rund 40 Franken im Jahr für einen Haushalt mit vier Personen. Ein Unternehmen mit einem Jahresverbrauch von 150'000 Kilowattstunden Strom müsste im Jahr rund 1200 Franken mehr bezahlen.

Diese Kosten entstehen durch die stärkere Förderung der erneuerbaren Energien: Bei einem Ja wird der Netzzuschlag von 1,5 auf 2,3 Rappen pro Kilowattstunde erhöht, damit für die Energie aus Wasser, Sonne, Wind, Geothermie und Biomasse mehr Geld zur Verfügung steht. Das sind die einzigen direkten Kosten, die den Konsumenten durch das neue Gesetz entstehen.

... bis 3200 Franken?

Aus Sicht der Gegner ist diese Darstellung zwar nicht falsch, aber nur die halbe Wahrheit. Langfristig beliefen sich die Kosten für einen Vier-Personen-Haushalt auf jährlich 3200 Franken, behaupten sie. Der Betrag bezieht sich auf die Kosten möglicher künftiger Massnahmen. Solche werde es brauchen, damit die im Gesetz verankerten Ziele erreicht werden könnten, argumentiert das Nein-Komitee.

Gemäss diesen Zielen soll die Stromproduktion aus neuen erneuerbaren Energien bis 2035 auf mindestens 11,4 Terawattstunden steigen – etwa halb so viel, wie heute die Schweizer AKW produzieren. Der Energieverbrauch soll bis 2035 gegenüber dem Stand im Jahr 2000 um 43 Prozent sinken.

Unklare Zukunft

Die Befürworter werfen den Gegnern wegen der 3200 Franken vor, mit «alternativen Fakten» zu operieren – in Anspielung auf den US-Präsidenten. Die SVP rechne auf Basis von Massnahmen, die weder beschlossen noch mehrheitsfähig seien, sagt Energieministerin Doris Leuthard.

Zwar rechnet auch der Bundesrat längerfristig mit weiteren Kosten. Ein grosser Teil davon fällt nach seiner Darstellung aber unabhängig von der Energiestrategie an, etwa die Kosten für die Erneuerung der bestehenden Kraftwerke und des Stromnetzes.

Schwierige Prognosen

Welche weiteren Massnahmen mit Kostenfolgen nötig sein werden, hängt nicht zuletzt von der technologischen Entwicklung ab, die über 30 Jahre schwer abzuschätzen ist. Die Kosten sind aber auch deshalb kaum zu beziffern, weil unklar ist, was die Alternative wäre. Mehrkosten gegenüber dem Status quo auszuweisen ist nicht sinnvoll, da die heutigen AKW das Ende ihrer Lebensdauer erreichen werden.

Ein Teil der Gegner möchte die wegfallenden AKW mit Gaskombikraftwerken ersetzen. Auch das würde aber die Allgemeinheit etwas kosten, zumal sich wegen der niedrigen Strompreise derzeit keine Investoren finden. Gaskombikraftwerke stehen zudem im Konflikt mit den Klimazielen. Die Befürworter halten es daher für sinnvoller, in erneuerbare Energien zu investieren.

Angst vor Lücken

Die Gegner warnen jedoch nicht nur vor hohen Kosten, sondern auch vor mangelnder Versorgungssicherheit und drastischen Einschränkungen. «Mehr bezahlen und erst noch kalt duschen», lautet ihr Slogan. Die Lücke im Winter könne nicht mit Sonnen- und Windenergie gedeckt werden, da sich diese nicht speichern lasse. Die Energiestrategie sei damit letztlich eine Importstrategie. Bereits in zehn Jahren sei der Import aber nicht mehr garantiert.

Die Befürworter weisen darauf hin, dass die Schweiz schon heute im Winter Strom importiert und bei den fossilen Energien gänzlich vom Ausland abhängig ist. Mehr einheimische erneuerbare Energien und weniger Energieverbrauch bedeute weniger Abhängigkeit. Für das Problem der Speicherung von Strom aus Sonne und Wind gebe es zudem bereits Lösungen, weitere Fortschritte seien zu erwarten.

Schritt für Schritt

Dass eine Senkung des Energieverbrauchs weder unrealistisch noch mit kaltem Duschen verbunden ist, zeigt aus Sicht der Befürworter die Entwicklung der letzten Jahre: Der Pro-Kopf-Verbrauch ist seit dem Jahr 2000 um rund 15 Prozent gesunken. Die Wende sei längst im Gang, pflegt Leuthard zu sagen.

Für eine weitere Senkung bleiben Gebäudesanierungen wichtig. Bei einem Ja zur Energiestrategie dürften pro Jahr 450 Millionen Franken statt wie heute 300 Millionen Franken aus der CO2-Abgabe dafür eingesetzt werden. Im Verkehr sind strengere Vorschriften für Autoimporteure vorgesehen, der Stromverbrauch soll über strengere Vorschriften für Geräte und intelligente Steuersysteme gesenkt werden.

Momentan ein Ja

Die Energiestrategie wird von allen grossen Parteien mit Ausnahme der SVP unterstützt, wobei sich ein Teil der FDP ebenfalls dagegen stellt. Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse hat beschlossen, keine Parole zu fassen, der Gewerbeverband hat sich für ein Ja ausgesprochen. Verbände wie Swissmem, Gastrosuisse, Swissoil und scienceindustries bekämpfen die Vorlage.

Wäre am 23. März abgestimmt worden, hätten gemäss der SRG-Trendumfrage 61 Prozent der Stimmberechtigten dem Energiegesetz sicher oder eher zugestimmt. 30 Prozent waren zu diesem Zeitpunkt bestimmt oder eher dagegen. 9 Prozent der Befragten waren noch unschlüssig.

Letzten Herbst hatten Volk und Stände die Atomausstiegsinitiative der Grünen abgelehnt, die ebenfalls nach Fukushima lanciert wurde und eine Laufzeitbeschränkung für die bestehenden AKW verlangte. Das Nein wurde auch als Votum für die Energiestrategie interpretiert.

(sda/jfr)