Die Aktie Nummer eins von Charlie Chaplins Filmgesellschaft ist hier neben historischen Wertschriften zu sehen. Das Schweizer Finanzmuseum hat erst vor kurzem in Zürich West, an der Pfingstweidstrasse 110, im Untergeschoss des neuen Hauptsitzes des Börsenbetreibers SIX eröffnet. Hier können Besucher einen Blick zurück in jene Zeit werfen, als bei Börsen und Banken noch viel Papier und nicht Bits und Bytes bewegt wurden. Filme erklären Börsenclearing anno 1930: Damals schleppten Bankboten noch gedruckte Aktien in schweren Ledertaschen zur Verwahrstelle.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Seitdem hat sich im Börsengeschäft viel getan, und das Tempo der Veränderungen nimmt weiter zu. Im fünften Stock des Gebäudes arbeitet Romeo Lacher an der Zukunft der Schweizer Börse. Der frühere Credit-Suisse-Banker ist seit Jahresanfang Verwaltungsratspräsident von SIX.

Suche nach Rüegsegger-Nachfolge

Ein einfaches Mandat ist dieser Job nicht, die To-do-Liste ist voll. Punkt Nummer eins: Lacher muss einen neuen CEO finden. Denn Amtsinhaber Urs Rüegsegger hat Anfang Juni angekündigt, das Unternehmen nach fast zehn Jahren an der Spitze zum Ende des Geschäftsjahres zu verlassen. Der 55-Jährige will sich als Berater selbständig machen und keine operativen Aufgaben mehr übernehmen. Der Abgang erfolgt ohne Krach. Das beweist der Fakt, dass der zukünftige Ex-CEO mit SIX verbunden bleiben soll, damit er im Herbst zum Präsidenten des Branchenverbands World Federation of Exchanges gewählt werden kann.

Rüegsegger kam als CEO der St. Galler Kantonalbank auf den Chefposten der SIX. Gemäss Headhuntern könnte sein Nachfolger wieder von einer Kantonalbank kommen. Genannt werden etwa der 45-jährige Pascal Koradi, derzeit Chef der Aargauer Kantonalbank und vorher Finanzchef bei PostFinance, und Stephanino Isele (55). Isele leitet in der Generaldirektion der 
ZKB die Geschäftseinheit Institutionals & Multinationals.

Aus der Welt der Grossbanken kommt am ehesten jemand von der UBS als Ergänzung zu Lacher in Frage. Etwa Stefan Arn, Leiter der IT in Europa und im Mittleren Osten. Zudem wäre vielleicht Christine Novakovic interessiert. Die Chefin von Corporate & Institutional Clients und UBS Investment Bank Schweiz sei enttäuscht, dass ihr Martin Blessing als Chef von UBS Schweiz vorgezogen wurde. Zudem könnte Andreas Kubli auf der Liste potenzieller Kandidaten stehen. Der ausgebildete Jurist war Partner bei McKinsey und ist jetzt Chef Multichannel Management and Digitization bei der UBS.

Geschäftsbereiche sind auf dem Prüfstand

Doch bevor Lacher einen neuen CEO einstellt, muss er die rund 130 nationalen und internationalen Banken, denen SIX gehört, auf einen neuen Kurs einschwören. «Das Mandat von SIX wird nach zehn Jahren überprüft», erklärt Lacher, «wir beraten uns mit den Aktionären über mögliche Anpassungen an das veränderte Umfeld.» Alle vier Geschäftsbereiche sind auf dem Prüfstand: «Die Debatte, was zwingend zum Kern von SIX gehören soll, ist noch nicht abgeschlossen», sagt er. Es zeichnet sich bereits ab, dass SIX sich von grossen Teilen des Zahlungsverkehrsgeschäfts trennen dürfte. «Das gehört nicht zum Kernauftrag», sagt ein Bankenvertreter.

Derzeit hat SIX vier Geschäftsbereiche. Den in Bezug auf Umsatz und Gewinn grössten Teil stellt die Zahlungsverkehrssparte, sie steuert knapp ein Drittel zum Vorsteuergewinn (Ebit) des Konzerns von zuletzt 297 Millionen Franken bei. Zweitgrösster Gewinnlieferant ist SIX Securities Services, also die Wertpapierabwicklung und -aufbewahrung. Mit fast 70 Millionen Franken Ebit-Beitrag ist der Börsenhandel die drittwichtigste Sparte, bezogen auf die Marge von fast 37 Prozent ist Swiss Exchange dagegen der profitabelste Bereich. Kleinste Sparte ist das Geschäft mit Finanzinformationen.

Die Debatte um die zukünftige Ausrichtung von SIX läuft schon länger hinter den Kulissen. Doch es war niemand Geringeres als UBS-CEO Sergio Ermotti, der das Thema öffentlich machte: «Ich glaube nicht, dass das heutige Geschäftsmodell langfristig nachhaltig ist», sagte er Ende Juni gegenüber «Blick».

UBS ist grösster Einzelaktionär

Das sass. Denn die UBS ist mit 17 Prozent der grösste Einzelaktionär der SIX. Inhaltlich geben dem UBS-Chef zwar auch SIX-Manager hinter vorgehaltener Hand recht. Dass Ermotti aber den Börsenbetreiber öffentlich derart angeht, hat intern für Unmut gesorgt. Solche Debatten gehörten in den Verwaltungsrat, so SIX-Manager, und die UBS stelle mit der UBS-Personalchefin Sabine Keller-Busse sogar die Vizepräsidentin.

«Die Schweizer Banken sind die Eigentümer von SIX», meint ein Topmanager einer Bank, die SIX-Aktionär ist. «Wenn also etwas mit der Strategie nicht stimmt, sind sie selbst schuld daran.» SIX-Präsident Lacher will sich zu Ermottis Kritik nicht äussern.

Heterogene Interessen

Die Interessen der an SIX beteiligten Banken sind höchst heterogen: Für die inlandsorientierten Häuser wie die Raiffeisen Gruppe oder die Kantonalbanken ist SIX ein wichtiger Partner beim Zahlungsverkehr, das Wertschriftengeschäft ist für sie nicht so bedeutend. Genau spiegelverkehrt ist die Situation bei den Privatbanken. Und für die Grossbanken ist die Schweiz zwar ein wichtiger Markt, aber nur einer unter vielen.

«Der Konsens ist, dass der Finanzplatz Schweiz einen eigenen Infrastrukturanbieter braucht, der unter Schweizer Kontrolle steht», sagen übereinstimmend Vertreter von SIX-Aktionären. Daher fusionierte 2008 die Telekurs Group (Handel, Finanzinformationen, Zahlungsverkehr) mit der SIS Group, die auf Wertschriftenabwicklung und -verwahrung spezialisiert war. Damit wurde Swiss Value Chain geboren, ein integrierter Anbieter von Wertpapierhandel und -abwicklung. Diese vertikale Integration der Wertschöpfung hatte bereits die Deutsche Börse vorgemacht, als sie 2002 den Luxemburger Börsenabwickler Clearstream übernahm.

Falsche Besitzerstruktur

Doch im Unterschied zur Deutschen Börse oder zur Vierländerbörse Euronext blieb SIX stets Eigentum der Banken und wurde nicht selbst an der Börse kotiert. Damit fehlte SIX eine Akquisitionswährung, um durch Zukäufe zu wachsen.

Dennoch hatte die alte Führung einen Expansionskurs verfolgt. «Unsere Strategie ist nach wie vor von Wachstum geprägt», sagte der frühere SIX-Präsident Alexandre Zeller vor rund zwei Jahren der «Finanz und Wirtschaft», «und Wachstum können wir nicht allein in der Schweiz generieren, also werden wir weiterhin offen sein für internationale Engagements.» Vor allem im Zahlungsverkehr und im Abwicklungsgeschäft sah Zeller Möglichkeiten für Zukäufe. Mittels höherer Volumina sollten die Kosten sinken.

Tatsächlich baute SIX ihr Zahlungsgeschäft international aus. Der ehemalige Payment-Chef Niklaus Santschi expandierte nach Deutschland und kaufte 2013 den österreichischen Anbieter Paymit, kurz danach folgte der Luxemburger Zahlungsspezialist Cetrel. Doch mehr war nicht drin. Auch wenn sich gerade im Zahlungsverkehr viele Möglichkeiten ergeben und Marktgewichte sich verschieben – die SIX-Eigentümer hatten keine Lust mehr. 2015 verliess Santschi SIX. Im selben Jahr ging Börsenchef Christian Katz. Wie es heisst, wollte er nicht immer Effizienzgewinne über sinkende Preise abgeben müssen.

Schweizer Infrastrukturangebote gehören zum Kern

Nun soll SIX noch stärker auf die Rolle des «Gemeinschaftswerks der Banken» fokussiert werden. «Die Auslandsengagements gehören für uns nicht zu diesem Kernauftrag», heisst es von verschiedenen Aktionären.

Das sieht SIX-Präsident Lacher ähnlich. «Meiner Meinung nach gehören zum Kern die Schweizer Infrastrukturangebote: Franken-Clearing, Wertpapieremissionen nach Schweizer Recht, die Repo-Plattform, die Wertpapierverwahrung, der inlandsorientierte Zahlungsverkehr und weitere heute schon gemeinschaftlich geführte Leistungen wie die digitale Grundbuchverwaltung oder die Bancomaten-Bewirtschaftung.» Und er fügt an: «Theoretisch muss der Aktienhandel nicht zwingend dazugehören, er tut es aber aus meiner Sicht im Interesse der Schweizer Wirtschaft.»

Auslands-Payment-Geschäft steht zur Disposition

Das erst vor zwei Jahren zugekaufte Auslandsgeschäft der Division Payment stellt Lacher zur Disposition. «Eine Auslagerung in eine eigene Gesellschaft oder die Flexibilisierung der Eigentümerstruktur sind dabei denkbare Optionen», sagt er. Bei einer Abspaltung des Auslands-Payment-Geschäfts könnte diese neue Gesellschaft an einen strategischen Partner oder an die Börse verkauft werden.

Wie es aus Schweizer Bankenkreisen heisst, wird nicht einmal ausgeschlossen, dass SIX bei einer Auslagerung die Mehrheit abgeben könnte. Der Markt für Zahlungsverkehr ist sowieso in Bewegung. Anfang Juli schluckte der US-Anbieter Vantiv den britischen Wettbewerber Worldpay für umgerechnet rund elf Milliarden Franken.

Bei einem Verkauf könnte SIX ihren Aktionären eine Sonderdividende bieten. Seit ihrer Gründung hat sie bereits 1,6 Milliarden Franken an diese ausgeschüttet – auch dank Verkäufen lukrativer Firmenteile wie des Indexanbieters Stoxx. Die Kehrseite: Stiege SIX aus dem internationalen Kartengeschäft aus, würde der Infrastrukturanbieter arg geschrumpft. Die Firma würde mehr als die Hälfte des Umsatzes in der Payment-Sparte verlieren – und viel Gewinn.

Keine «Superbank» mehr

Wachsen will Lacher dennoch – aber primär im Geschäft mit seinen Aktionären: «Hier liegt in Zukunft noch mehr drin», sagt der SIX-Präsident. Die Idee einer «Superbank», die Banken ihre Backoffice-Arbeiten abnimmt, ist dagegen vom Tisch, auch wenn UBS-Konzernchef Ermotti ein mächtiger Anhänger eines solchen Projektes ist. Das Vorhaben habe sich als «zu komplex» erwiesen, sagt Romeo Lacher. «Daran haben wir sowieso nie geglaubt», meint ein Topmanager eines SIX-Aktionärs. «Denn es gibt Bankengruppen, die bereits Millionen in eigene leistungsfähige IT investieren. Warum sollten diese das IT-Paket über SIX noch einmal bezahlen?»

Statt des grossen Wurfs bäckt SIX nun kleinere Brötchen – wie etwa mit dem Angebot, Banken rechtskonforme Kundeninformationen zur Verfügung zu stellen, damit Finanzinstitute die neuen Anlegerschutzregeln «MiFID II» erfüllen. «Wir wollen gezielt mit neuen Leistungen für unsere Kunden wachsen, um mehr Volumen über unsere Systeme abwickeln zu können», sagt Präsident Lacher. Die SIX selbst ist also kein Fall für das Museum.