Die Schweizer Wirtschaft boomt wie zuletzt vor der Finanzkrise – die Credit Suisse schätzt das Wachstum in diesem Jahr auf 2,2 Prozent. Entsprechend niedrig ist die Arbeitslosenquote – mit 2,4 Prozent im Mai ist sie so tief wie seit zehn Jahren nicht mehr. Experten sind sich einig, dass die Beschäftigung dank der guten Konjunktur in den kommenden Monaten weiter wächst. Die gute Auftragslage und damit verbunden der gestiegene Personalbedarf haben gleichzeitig dazu geführt, dass viele Stellen unbesetzt sind. Und zwar rund 70'000 – vor allem im Dienstleistungssektor, aber auch in Industrie und Baubranche.

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Dass sich der Mangel an Arbeitskräften in Zukunft noch verschärfen wird, liegt vor allem an der sinkenden Zuwanderung und der alternden Gesellschaft. Laut einer Studie der Credit Suisse wird der Anteil der Erwerbstätigen in der Bevölkerung auf 49 Prozent fallen bis 2040. Derzeit liegt er noch bei 54 Prozent. Bereits ab 2020 stagniert die Erwerbsbevölkerung in der Schweiz. Und der Anteil der Pensionäre steigt in den nächsten 30 Jahren Prognosen des Bundesamts für Statistik zufolge von rund 30 auf 55 Prozent. 

Die Schweiz steht also vor dem Problem, mehr Personal zu benötigen, als qualifizierte Arbeitskräfte vorhanden sind. Dem demografischen Wandel durch Zuwanderung entgegenzuwirken, wirkt zum Beispiel die Masseneinwanderungsinitiative (MEI) entgegen. In Zukunft wird der Zuzug in die Schweiz aufgrund der schrittweisen Umsetzung der MEI noch strenger geregelt. 

Potenzial im Inland

Die Credit Suisse hat daher analysiert, wo innerhalb des Schweizer Arbeitsmarkts noch Potenzial besteht. Denn es gibt eine beträchtliche Zahl arbeitswilliger Erwerbsloser oder Teilzeitbeschäftigte, die gerne aufstocken würden. Die CS-Ökonomen haben hier drei Gruppen unter die Lupe genommen: Unterbeschäftigte wie Teilzeitbeschäftigte, Erwerbslose und «Nichterwerbspersonen in stiller Reserve». Letztere sind Menschen, die dem Arbeitsmarkt potenziell zur Verfügung stehen, aber erst in Zukunft – etwa weil sie sich in Ausbildung befinden. Das grösste brachliegende Potenzial, das sie auf knapp 270'000 Personen schätzen, sehen die Experten bei Frauen und Senioren. 

Der Fachkräftemangel liesse sich also mit den «Reserven» des Arbeitsmarktes bekämpfen. Doch um diese zu mobilisieren, müssten die Rahmenbedingungen verbessert werden. Denn die Nachfrage nach älteren Arbeitskräften ist wegen hoher Löhne und Sozialversicherungskosten und des relativ niedrigen Rentenalters begrenzt. Zudem interessieren sich gemäss Schweizerischer Arbeitskräfteerhebung SAKE nur rund 7 Prozent der 66- bis 74-Jährigen an einer weiteren Beschäftigung. «Ein gewichtiger Teil geniesst wohl den wohlverdienten Ruhestand und stände nur zur Verfügung, wenn die Anstellung inhaltlich wie monetär besonders attraktiv wäre», sagt CS-Chefökonom Oliver Adler. Abhilfe würde ein höheres Rentenalter schaffen. Allerdings scheint dies nach wie vor tabu zu sein, wie die gescheiterte Rentenreform 2020 zeigt.

KMU: Wo der Fachkräftemangel besonders gross ist.

Ein noch grösseres Potenzial schlummert bei den Frauen – diese stellen die Mehrheit der sogenannten «stillen Reserve». Die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf etwa durch ein fehlendes und zu teures Angebot an Kinderbetreuung sowie steuerliche Fehlanreize und die Heiratsstrafe verhindern jedoch häufig, dass Frauen arbeiten. 

Politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Hier ist vor allem die Politik gefragt. Doch wenn die Rentenreform weiter so zögerlich angegangen und die Rahmenbedingungen für Frauen nicht verbessert werden, liegt das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial auch in Zukunft brach, warnen die CS-Ökonomen.

Daneben spielt auch die Wirtschaft selbst eine Rolle: Denn viele Unternehmen müssten umdenken, in Aus- und Weiterbildung investieren, um etwa ältere Arbeitnehmer möglichst lange zu beschäftigen. Allerdings investieren viele Firmen lieber in Maschinen statt ins Personal. Die Ökonomen der Credit Suisse haben festgestellt, dass die Unternehmensgewinne in den ersten Monaten des Jahres weiter gestiegen sind. Daher erwarten sie, dass die Unternehmen 2018 überdurchschnittlich viel investieren – grösstenteils aber in Maschinen und Ausrüstung.

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