Hier wurden Konti eröffnet, Kredite vergeben oder Bargeld abgehoben. Heute wird in den ehemaligen Schalterhallen der Credit Suisse am Helvetiaplatz ein Cüpli genossen, ein Schwätzchen abgehalten oder geflirtet – die «Bank», wie der neue Hotspot der Zürcher Ausgangsszene heisst, ist meist proppenvoll. Damit jeder weiss, dass man sich jetzt in einem Café-Bar-Restaurant befindet, wurde der Schriftzug auf der goldfarbenen Metallplatte neben dem Eingang dick durchgestrichen.

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Als Bankfiliale hat das Gebäude ausgedient – der teure Platz lohnte sich für die Credit Suisse immer weniger. Auch ein anderer langjähriger CS-Standort in Zürich, die Filiale in Wollishofen, die seit 1977 bestand, wurde dichtgemacht. Schweizweit ist die Anzahl der Niederlassungen der CS in den letzten Jahren von 192 auf 138 geschrumpft. «Das Filialnetz muss laufend überprüft werden, denn grosse Teile des Filialgeschäfts wandern ins Internet ab», so CS-Schweiz-Chef Thomas Gottstein jüngst in einem Zeitungsinterview.

Von 4200 auf 3100 Niederlassungen

Die ganze Branche ist vom Trend erfasst: Seit 2004 wurde jede zehnte Bankfiliale in der Schweiz geschlossen. Rund 3100 Niederlassungen gibt es heute – 1993 waren es noch 4200. Dann setzte die Fusionswelle bei den Gross- und Regionalbanken einen Schrumpfungsprozess in Gang, der bis heute anhält. Der Abbau dürfte weitergehen: Eine Studie des Beratungsunternehmens EY zeigt, dass 85 Prozent der befragten Bankinstitute damit rechnen, dass es 2020 in der Schweiz deutlich weniger Bankfilialen als heute geben wird.

Zum Teil wird das Messer tief angesetzt: Die Genossenschaftsbank Raiffeisen schockte Anfang Jahr mit der Mitteilung, in den nächsten fünf bis zehn Jahren über 200 ihrer rund 1000 Geschäftsstellen zu schliessen. Auch im Ausland ist das nicht anders. Die Deutsche Bank kündigte diesen Sommer an, jede vierte Filiale zu schliessen.

Enormer Kostenblock für die Banken

Der Grund ist einfach: Geschäftsstellen sind ein enormer Kostenblock für die Banken. Dazu einer, der sich immer weniger lohnt, denn für Geldgeschäfte nutzen die Kunden längst andere Kanäle wie das Internet oder das Smartphone. Viele Filialen sind zwar prunkvolle Repräsentanzen, für den Umsatz aber immer weniger entscheidend.

Das Verhältnis zur Bank hat sich geändert: «Früher fühlte sich der Kunde oft als Bittsteller, etwa weil er einen Kredit beantragen wollte», sagt Roger von Mentlen, Head Personal Banking UBS und mit rund 40-jähriger Erfahrung ein Veteran der Branche. Der Kunde, ehrfürchtig zusammengesunken vor dem grossen Pult des Herrn Bankdirektor in der lokalen Filiale – derlei ist längst überholt: «Wir sehen den Kunden als Partner», so von Mentlen.

Die dicken Scheiben entfernt

Zugänglichkeit ist wichtig. Mit wenigen Ausnahmen wurden überall die dicken Scheiben entfernt, die Schalterbeamte und Kunden trennten. Hunderte von Millionen hat die UBS seit 2010 in die Modernisierung investiert – es war eines der zentralen Projekte des ehemaligen Schweiz-Chefs Lukas Gähwiler. Einig sind sich fast alle der befragten Banken: Die Filiale wird Bestand haben, denn «der physische Zugang zur Bank ist für die Kundenbindung nach wie vor unerlässlich», so von Mentlen.

Konzepte, gänzlich auf feste Standorte zu verzichten, wurden schon vermehrt geprüft, aber stets verworfen. So brach die Axa Bank ein solches Experiment 2012 ab, wie die «Neue Zürcher Zeitung» berichtet.

Digitalisierung und physische Präsenz vermischen

Einig sind sich aber auch alle Banken darin, dass sich das Konzept fundamental ändern wird. Ziel ist eine Art Vermischung zwischen Digitalisierung und physischer Präsenz. Vorreiter der Entwicklung sind interessanterweise eher kleinere Institute. Die Bank Linth etwa mit ihren schalterlosen Filialen und ihren Standorten, die für zuvor terminlich fixierte Kundengespräche angelegt sind – «On-demand-Beratungsstellen» nennt Linth-CEO David Sarasin diese.

Das ist durchaus wörtlich gemeint. So gibt es etwa in der Filiale der Bank Linth im sankt-gallischen Mels keine fixen Personen vor Ort. Kunden können aber einen Hörer abnehmen und einen Berater anfordern, der dann kurzfristig von Sargans her anreist: «Sind ja nur ein paar Minuten Wegzeit», so 
Sarasin. Auch die UBS hat sogenannte «Flying Teams», die in den weniger stark besiedelten ländlichen Regionen am Vormittag in einer Filiale und am Nachmittag in einer anderen präsent sind.

Filialen ohne Personen

Filialen ohne Personen vor Ort sind generell dort angesagt, wo wenig Kunden sind. So eröffnete die Raiffeisenbank in Lungern im Kanton Obwalden die erste Geschäftsstelle, die nur noch digital betrieben wird. Die Kunden können zu den normalen Schalteröffnungszeiten per Video mit den Kundenberatern im Hauptsitz kommunizieren. Schlagzeilen gemacht hat auch die Glarner Kantonalbank mit ihrem «Hypomat», mit dem man eine Hypothek ohne vorheriges Gespräch mit einem Bankberater mit ein paar Klicks im Internet abschliessen kann – das spart nicht nur Präsenzzeit vor Ort, sondern hat generell zu einem starken Ausbau des Geschäfts geführt.

Wo noch Leute vor Ort beraten werden, setzt man auf neue optische Schwerpunkte. Die Bank-Linth-Dependance in Sargans gilt als Muster für eine Bankfiliale der Zukunft. Keine Schalter mehr, 
sondern ein freistehender Empfangstresen prägt den Raum. Bewusst wurden die Bankomaten – die heute bei den meisten Bankfilialen gleich im Eingangsraum stehen – am Rande positioniert. «Wenn der Kunde hereinkommt, sieht er als Erstes keinen Bankomaten, sondern einen unserer Mitarbeitenden», sagt Sarasin. Wo der Kunde das Gespräch mit dem Bankberater abhalten will – bei einem Kaffee an der Stehbar oder gar locker in aufgestellten Strandkörben –, bleibt ihm überlassen.

Die Bank habe bewusst eine Innenarchitektin für den Umbau ausgewählt, die noch nie eine Bank gebaut habe, so Sarasin. Das ausgewählte Innenarchitekturbüro habe bisher vor allem Bauten aus dem Restaurant- und Barbereich konzipiert.

Weniger Standorte, dafür mehr gezielte Beratung

Andere Banken sind bei allzu lockeren Konzepten allerdings eher skeptisch. Von Strandkörben oder eingebauten Bars hält UBS-Mann von Mentlen wenig: «Eine Bank ist eine Bank und keine Pleasure-Zone», meint er trocken. Seine Bank setzt in der Beratungszone auf Seriosität und Transparenz – an verschiedenen Standorten, so auch am Hauptsitz an der Zürcher Bahnhofstrasse, dominiert nach wie vor prunkvoller Marmor.

Fokussieren heisst generell das Motto: weniger Standorte, dafür mehr gezielte Beratung. Die Credit Suisse etwa setzt auf das Konzept einer Beraterbank an ausgewählten Standorten. Dabei begrüsst ein sogenannter Floor Manager die Kunden persönlich. Nach der Abklärung der Bedürfnisse stellt er den Kontakt mit dem entsprechenden Kundenberater her. Bis ins Jahr 2020 soll rund ein Viertel der Filialen nach dem neuen Beraterkonzept funktionieren.

Kein Entweder-oder

Wichtig ist für alle Banken die zunehmende Vermischung von digitalen und persönlichen Beratungsdienstleistungen. Es ist also kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Raiffeisen zum Beispiel sieht in ihrem massiven Abbauprogramm bei den Filialen keinen grundsätzlichen Strategiewechsel: «Wir haben das dichteste Bankstellennetz der Schweiz, und an dem soll auch künftig festgehalten werden. Die Nähe zu den Kunden ist und bleibt die Stärke von Raiffeisen», schreibt die Bank in einer schriftlichen Stellungnahme.

«Die zunehmende Digitalisierung und die Entwicklung bei den elektronischen Kanälen haben aber einen bedeutenden Einfluss auf die Grösse und die Ausgestaltung des Vertriebsnetzes.» So hat Raiffeisen vor einigen Wochen mit RaiffeisenIdent ein digitales Onboarding-Instrument lanciert, mit dem beispielsweise per Video ein Konto eröffnet werden kann.

Mobile Banking immer wichtiger

Gewaltig an Bedeutung gewinnen dürfte nach Einschätzung fast aller Experten das Mobile Banking, dessen Dynamik heute bereits höher ist als beim Online Banking. In den USA verwenden schon 52 Prozent aller Smartphone-Benutzer mit Bankkonto eine mobile Version, wie Studien zeigen. In der Schweiz sind es laut Schätzungen von Experten ähnlich viele.

So zeichnet sich der Prototyp des zukünftigen Bankkunden ab: Für Geldtransaktionen und Börsengeschäfte dient die schnelle App, fürs Bargeld gibts die Bankomaten, und in die Filiale geht man nur noch bei den ganz wenigen beratungsintensiven Bedürfnissen, wie dem Abschluss einer Neuhypothek oder wenn bei einer Erbschaft plötzlich viel Vermögen da ist, das angelegt werden soll.

Dabei erwarten die Kunden dann aber von ihrer Bank auch zeitlich eine grössere Flexibilität. Viele Banken haben bereits reagiert und die Öffnungszeiten ihrer Filialen an ausgewählten Standorten deutlich erweitert, die UBS etwa hält ihre Grossfilialen in Zürich, Basel und Lausanne auch am Samstag offen. Bei den meisten Banken sind die elektronischen Selbstbedienungsstandorte schon heute 24 Stunden am Tag zugänglich.

Entscheidene Details

Wichtig bei der Schliessung von Filialen bleibt denn auch, die Erreichbarkeit der physischen Beratung in einer sinnvollen Kilometerdistanz zu garantieren. Es muss heute nicht mehr in jedem Dorf eine eigene Filiale stehen, doch in der Branche gilt die Faustregel, dass der Kunde nicht mehr als etwa 15 Kilometer mit dem Auto zu seiner Bankniederlassung fahren sollte. Wichtig sei auch, dass der Kunde «möglichst bequem parkieren kann», so Bank-Linth-Chef Sarasin.

Details wie diese werden in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung des Geschäfts entscheidend bleiben. Die Studie «Bankenbarometer 2016» von EY zeigt, dass 61 Prozent der befragten Banken erwarten, dass die Kundenloyalität bis 2020 weiter abnehmen wird. Produkte und Dienstleistungen liessen sich heute bequemer und schneller vergleichen, heisst es in der Studie, gleichzeitig sinke der Aufwand, den Anbieter zu wechseln – die Konkurrenzbank ist heute nur noch einen Mausklick entfernt.

Doch die Repräsentanz der Bank in Form der Filiale prägt den Eindruck des Instituts beim Kunden nachhaltiger als der elektronische Auftritt. So wird – trotz all den tollen technischen Tools – der Mensch weiter eine Rolle spielen. Dabei genüge die rein stimmliche Präsenz wohl nicht, sagt UBS-Retailchef von Mentlen, das Visuelle bleibe entscheidend. Er geht davon aus, dass auch in Zukunft in 50 Prozent der Fälle ein Berater eingeschaltet werde – auch wenn es nur per Video ist.

Erik Nolmans
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