Nathalie Wappler ist im Overdrive. Die Chefin von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) ist erst seit anderthalb Jahren im Amt und lanciert den grössten Umbau, den das Medienunternehmen je gesehen hat. Sie baut ab und auf, setzt den Sparhobel an, digitalisiert, reorganisiert. Und stellt die Firmenkultur auf den Kopf.

Während die SRG-Tochterfirmen in der Romandie (SSR) und im Tessin (RSI) für diese Rosskur vier Jahre Zeit in Anspruch nehmen, will die ehemalige Kulturjournalistin ihr Sanierungsprogramm in einem Jahr durchpauken. Bereits am 1. April 2021, so steht es in ihrer «Transformationsplanung», soll das neue Betriebsmodell loslegen. Das ist nicht als Aprilscherz gemeint, sondern als ambitionierte Forderung.

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Dass bei so viel Tempo die Funken stieben, überrascht nicht wirklich. Das Personal, eingebunden in einen 46-seitigen Gesamtarbeitsvertrag, stöhnt und zweifelt, ob sich dieses Rundumprogramm in so kurzer Zeit durchdrücken lässt, zumal wegen des geplanten Abbaus von 211 Arbeitsplätzen noch immer ein Konsultationsverfahren läuft.

Shift Richtung Digitalisierung

Die Politik wittert Verrat an der Betriebskonzession und die Verleger schreien Zetermordio, weil sich Wappler in der Digitalwelt grossflächig ausbreiten will. «Shift zu Primärkanal Online» und «Digital First» heisst die Marschrichtung des Radio- und TV-Senders in internen Präsentationen, was die Verleger erschaudern lässt. Man wird sich künftig tüchtig auf die Füsse treten im Nischenmarkt Deutschschweiz, die Privatverleger und der gebührenfinanzierte Para-Staatsbetrieb.

Aus Wapplers Optik ist der Kraftakt namens «SRF 2024» verständlich. Unter ihrem wenig beliebten Vorgänger Ruedi Matter hat man viel zu lange kaum ernsthaft gespart. Und auch die Digitalisierung – wiewohl seit zehn Jahren das grosse Medienthema – wurde nie strategisch angegangen. Eine zentrale Digitalabteilung wurde erst im Herbst 2018 ins Leben gerufen, zu melden aber hatte sie nichts. Vielmehr wurstelten alle Abteilungen, deren Chefs mit Argusaugen über die Ressourcen ihrer Fürstentümer wachten, vor sich hin. Gesamtstrategie: Fehlanzeige. Markenführung: Zufall. Effizienz: Nope.

Wirtschaftlichkeit war auch gar nicht gefragt, solange 1,2 Milliarden Franken Zwangsgebühren von Firmen und Haushalten flossen und die Werbevolumen sich leidlich hielten. Doch Letztere gerieten auch bei der SRG bös ins Rutschen. Wappler will Gegensteuer geben. Will gewerkschaftlich organisierten Mitarbeitenden und einem aufgeblähtem Mittelmanagement Agilität und Eigenverantwortlichkeit verschreiben. Ausgerechnet jenen Leuten also, die in der Vergangenheit manche Neuerungen ausgebremst haben.

Neueinstellungen stehen Stellenabbau gegenüber

Dass dieses Umdenken gerade bei der Digitalisierung nicht einfach wird, weil schlicht das nötige Know-how fehlt, davon zeugen 95 Neueinstellungen, die dem Abbau von 211 Personen (10 Prozent des Personals) gegenüberstehen. Die Neuzuzüger müssen dann jene Jobprofile erfüllen, die offenkundig von den 2100 bestehenden Mitarbeitenden nicht abgedeckt werden können.

Es wird richtig anstrengend. Denn es werden, wenn es klappt, Hierarchien gekappt, Pfründe geschliffen. «Wir müssen konsequentere Schritte machen und vielleicht auch grössere», gibt die SRF-Managerin den forschen Takt vor.

Wappler lässt sich vorerst durch all die Widerstände nicht beirren (siehe Interview unten). Doch das Risiko der neuen Kräfteverteilung ist beträchtlich. Weitere 10 Prozent der Finanzressourcen werden innert eines Jahrs von den Traditionskanälen Radio und Fernsehen ins Digitale umgeleitet.

Bei ihrem Eifer dürfte der Mix in zwei, drei Jahren nicht bei achtzig zu zwanzig, sondern bei siebzig zu dreissig liegen. Damit läuft der Service-public-Sender Gefahr, dass er sein gebührenzahlendes Stammpublikum – die Über-Sechzig-Jährigen – vergrault und im Kerngeschäft Marktanteile verliert. Während ein Quotenrückgang ganz schnell einsetzen kann, wird es ungleich mühsamer, die Jungen ins SRF-Universum einzubinden.

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