Michael Jordan ist fast 70 und fläzt noch immer die Beine übereinander wie Sean Connery in seinen frühen Filmen. Schweres, dunkles Holzmobiliar und Bilder alter Meister umgeben Jordans Bürotrakt, der mit seinen Panoramafenstern wie die Kommandobrücke von Kampfstern Galactica über dem Konzernhauptquartier schwebt – gehalten von ausladenden Flügelbauten. Wenn Jordan Besprechung hält, spielt häufig ein feines Lächeln um seine Lippen. Nicht, dass er Arroganz verströmt. Eher eine entspannte Selbstsicherheit. Als CEO bei EDS hat er zum zweiten Mal gezeigt, dass er einem darbenden Weltkonzern neues Leben einhauchen kann. Jordan ist Mister Turnaround of America.

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EDS? Michael Jordan? Unbekannt sind Firma und Chef nur in Europa – in Nordamerika gehören EDS und Jordan zu den Ikonen der Wirtschaft. EDS hat das Auslagern der Datenverarbeitung erfunden. Und Jordan setzt mit seiner Sanierungsarbeit bei dem Hightechkonzern ein Krönchen auf seine ohnehin beeindruckende Karriere.

Bei McKinsey hatte sich Jordan zunächst zum Direktor hochgearbeitet, später die milliardenschwere Pepsi-Nahrungsmittelsparte Frito-Lay geführt und dann, Mitte der neunziger Jahre, beim Mischkonzern Westinghouse angeheuert. Das Unternehmen war erstarrt vor interner Bürokratie und Milliardenschulden, technikverliebte Ingenieure entwickelten zu oft am Markt vorbei.

Michael Jordan, der als erster Westinghouse-CEO von aussen kommt, schneidet Tausende Jobs weg und stösst komplette Konzernsparten ab. Dann nimmt er runde zehn Milliarden Dollar in die Hand, kauft die Radiokette Infinity und den Fernsehsender CBS. Ende 1997 wird Westinghouse in CBS umbenannt – Jordan hat die Transformation eines Industriekonzerns zum Medienunternehmen abgeschlossen. Ein Jahr später verabschiedet er sich in den Ruhestand.

Anfang 2003 kommt der Hilferuf von Electronic Data Systems (EDS). Ein früherer Pepsi-Chef und EDS-VR hat Jordans Namen fallen lassen.

Wie Westinghouse blickte EDS auf eine stolze Vergangenheit zurück. Gegründet von Selfmade-Milliardär Ross Perot (siehe Nebenartikel «Ross Perot: Der exzentrische Gründer»), hatte EDS der neuen Branche IT-Outsourcing, die heute mehr als 200 Milliarden Dollar jährlich umsetzt, den Weg bereitet.

Rasant war es aufwärts gegangen, aber nach Ross Perots Abgang wurden seine Erfolgsrezepte zum Fluch für EDS. Die Nachfolger hatten weder Charisma noch Kontakte des Gründers. Und Perots Lieblingsbeschäftigung, die Jagd nach grossen Deals, erwies sich später häufig als verhängnisvoll. Die IT wurde komplizierter, EDS schätzte Risiken falsch ein, die von Hand erstellten Finanzkalkulationen waren zu oft zu optimistisch. Bei mehreren Megadeals, etwa mit der US Navy, liefen die Kosten aus dem Ruder. «Vor zwei Jahren hatten wir noch 20 Grossaufträge, bei denen wir richtig Geld verloren», sagt der heutige COO Steve Schuckenbrock. «Der Aufwand, 200 verschiedene Softwareplattformen zu betreiben, frass unseren Lunch auf», resümiert Michael Jordan typisch amerikanisch.

Im März 2003 startet Jordan bei der schwächelnden EDS, für ein überschaubares Gehalt von einer Million Dollar pro Jahr. Er hat keinerlei Erfahrungen im Führen eines Hightechunternehmens. Also stellt er Fragen, auf die bei EDS niemand gekommen wäre: Muss man allen potenziellen Kunden alles Abseitige anbieten können? Im ersten Jahr dringt aus der Kommandozentrale wenig nach draussen. Man weiss nur, der Chef feilt an einer neuen Strategie.

Dann greift Jordan an – mit der Durchschlagskraft einer frisch geschärften Axt: 20 000 Arbeitsplätze fallen weg, Rechenzentren werden geschlossen, Tausende Programmierer müssen sich weiterbilden. Jordan kappt die Kostenbasis 2004 um eine Milliarde Dollar, 2005 um eine weitere Milliarde. Er gibt Verantwortung in die Regionen zurück, stärkt aber zugleich das Controlling über Zahlen und Zielvorgaben.

«Wir hatten früher 97 Abteilungspräsidenten», stöhnt Schuckenbrock. Jordan packte alles in grosse Einheiten zusammen, um «das Team wieder führbar zu machen». Normalerweise beklagen sich Verkäufer bei den Technikern, was die Produkte kosten, die Techniker beschweren sich, was alles verkauft wird – nun teilt sich Verkaufschef Schuckenbrock eine Büroeinheit mit Ronald Rittenmeyer, der als zweiter COO das technische Outsourcing beim Kunden verantwortet. Die beiden sind befreundet und schlichten Konflikte präventiv, auf Chefniveau.

Noch wachsen die Bäume nicht in den Himmel, aber die Geschäftsergebnisse für 2005 belegen die Stabilisierung. Solider Gewinn, steigender Cashflow, Auftragseingang viel versprechend. Der Riese mit 120 000 Mitarbeitern und 20 Milliarden Dollar Umsatz hat wieder Tritt gefasst. Ein Risiko bleibt das Schlingern von General Motors – noch heute liefert der Autobauer ein knappes Zehntel des Umsatzes. Neue Millionenabschlüsse, etwa mit dem holländischen Handelsriesen Ahold, verbreitern immerhin die Kundenbasis.

Am wichtigsten für die Genesung war, dass Jordan die Produktentwicklung und damit auch die Kostenrechnung auf den Kopf gestellt hat. EDS rechnet nicht mehr den Preis eines Kundenwunsches herunter, sondern schlägt von einer eigenen Basis auf. Früher übernahm EDS die IT-Infrastruktur des Kunden, stammten die Server nun von IBM oder Hewlett-Packard, und betrieb darauf die Programmapplikationen.

Unter Jordan hat EDS begonnen, eine eigene Plattform zu entwickeln. Auf diesem Standard lassen sich Module aufbauen, fertige Lösungen liegen im Regal, bei Neuentwicklungen und Bestandspflege haben die Programmierer weniger Arbeit. «Wie bei Ryanair – die haben Erfolg, weil sie sich auf einen Flugzeugtyp konzentrieren», sagt EDS-Vizepräsident Robb Rasmussen.

Heute sagen Schuckenbrocks Verkäufer zum Kunden: Wir können deine Anlage übernehmen, aber wenn du uns Technik von Sun einbauen lässt, können wir das System optimieren – und die Kosten sinken. Sun ist zwar in der Anschaffung nicht billiger. Aber der Löwenanteil der IT-Kosten, etwa 80 Prozent, entfällt auf den Betrieb. «Und bei Sun wissen wir, wie wir Tools und Prozesse am besten integrieren können», sagt Schuckenbrock.

Dass EDS ausgerechnet auf Sun Microsystems verweist, ist kein Zufall. Sun ist Mitglied der «Agility Alliance», die Jordan um EDS herum aufgebaut hat. Dieser Verbund illustrer Firmen bestückt die Plattform der EDS-Technologie. Cisco liefert Netzwerktechnik, EMC Datenspeicher, Microsoft Betriebssysteme, Dell die Endgeräte, und sogar die ewigen Streithähne Oracle und SAP sind mit von der Partie. «Mit der Alliance-Story gehen wir in den Markt», sagt Rasmussen, oberster Allianzmanager bei EDS. Die Namen der Partner haben Zugkraft, EDS bleibt mit ihrer Schlüsselqualifikation aber Führungsspieler, kann alles aus einer Hand anbieten und dem Kunden dennoch das Gefühl geben, sich nicht von einem einzigen Lieferanten abhängig zu machen.

Dieser eine Lieferant ist Platzhirsch IBM. «Big Blue» hat alles im eigenen Haus. «Der gemeinsame Gegner IBM galvanisiert unsere Partner», sagt Schuckenbrock. Denn alle wissen: Wenn IBM den Outsourcing-Auftrag gewinnt, sind auch die Hardwareverkäufe weg. Weil IBM die Datenverarbeitung ihrer Kunden am liebsten auf IBM-Technik betreibt.

Alle Allianzpartner haben Vertriebsleute nach Plano in die EDS-Zentrale abgeordnet. Hier, am Stadtrand von Dallas, wuchs Radprofi Lance Armstrong auf, umgeben von viel Platz zum Trainieren. In Texas ist tatsächlich «everything bigger». Der Flughafen nimmt so viel Fläche ein wie ganz Zürich, keinen Schritt macht der Texaner ohne sein Auto. Die Bewohner der Reihenhaussiedlungen versorgen sich in Supermärkten namens Kohl’s, Sears, Costco, Best Buy und Wal-Mart, die kilometerlang die Strassen säumen. Dahinter gähnen weitläufige Steppen, bepflanzt mit pilzförmigen, weiss getünchten Wassertürmen.

Patrick Strebel, ein dynamischer Schweizer, der gern mit seinem Chrysler über Texas gleitet, koordiniert die vereinigten Alliance-Verkäufer. Neben verlassenen Stellwand-Arbeitsplätzen, den so genannten Cubicles, sitzen sie Büro an Büro und verhandeln gemeinsam über mögliche Deals. Monate kann ein Bewerbungsverfahren für einen Auftrag dauern und durchaus einige Millionen Dollar kosten. Bis zu 40 Leute inklusive Techniker arbeiten bei EDS daran.

Strebels Kollegen tauschen auch die Technologien ihrer Firmen aus. Früher war das undenkbar. «Bei den Meetings hier legen wir alles offen», sagt ein EMC-Mann. Aufträge im Wert von sieben Milliarden Dollar haben sich die Partner bereits gegenseitig verschafft. Das Mitverkaufen der Allianzangebote mussten einige Konzerne ihren Sales-Leuten mit Incentives schmackhaft machen.

Daneben unterhält EDS ein eigenes weltweites Hochsicherheitsnetzwerk. Damit können Arbeiten rund um die Uhr weitergegeben werden von einem Rechenzentrum an das nächste. Wer will, kann seine komplette IT von hier aus betreiben lassen, sodass nur noch die Endgeräte im eigenen Unternehmen stehen. Die Anlage in Plano hat Sicherheitsschleusen wie ein Atomkraftwerk, und der Überwachungsraum ist mit Bildschirmen voll gestopft wie das Mission Control Center der Nasa.

Der Outsourcing-Markt ist stark in Bewegung. Etablierte Anbieter kaufen sich gegenseitig auf, dennoch steigt ihre Gesamtzahl weiter, weil ständig neue in den Markt drängen. Outsourcer erwirtschaften mit ihrer Expertise ansehnliche Skaleneffekte, Kunden können sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Deshalb boomt der Markt. Das Business Process Outsourcing (BPO), das Auslagern ganzer Geschäftsprozesse, wächst sogar doppelt so schnell wie die gesamte Branche.

Für den BPO-Bereich Human Resources hat EDS mit der Personalberatung Towers Perrin ein Tochterunternehmen gegründet. Dessen CEO, Steve Bohannon, betreut in der Schweiz Kunden wie die «Zürich» oder Credit Suisse. Auf Wunsch liefert Bohannon «das Rundumpaket von Personalentwicklung über Pensionskasse bis zur Gehaltsabrechnung». So etwas lohnt sich aber erst ab 25 000 Beschäftigten. Enormes Potenzial sieht Michael Janssen, Forschungschef beim Berater Everest Group, für das Auslagern der Beschaffung. Fünfmal so hohe Einsparungen wie andere Outsourcing-Strategien könne das bringen und dem Kunden in Summe zwei Prozent des Umsatzes einsparen.

Auch zum Outsourcing gehört inzwischen das Offshoring, also die Verlagerung von Produktionsschritten in Billiglohnländer. EDS hat Rechenzentren in Indien, Ungarn oder Ägypten, bis 2008 sollen dort gegen 30 000 Leute sitzen. Sie erledigen alles, was nicht direkt beim Kunden stattfinden muss, etwa das Programmieren oder die Testläufe einer neuen Anwendung. Wer nicht auslagert, da ist sich Jordan sicher, «bekommt bald keine Aufträge mehr».

Wie im IT-Geschäft üblich, liegt IBM auch beim Outsourcing an der Spitze. EDS folgt auf Platz zwei, ist aber laut einer Studie des Marktforschers Gartner am breitesten aufgestellt. Fujitsu, CSC, Atos Origin und Hewlett-Packard streiten sich um die folgenden Ränge. Der Regionalanbieter Swisscom IT Services geht mit Kampfpreisen in den Markt, Erzkonkurrent T-Systems, Tochter der Deutschen Telekom, liefert allerdings harten Wettbewerb. Kürzlich unterlag die Swisscom den Deutschen beim Ringen um einen Auftrag der Bank Linth.

Eine Studie der Hochschule St. Gallen ergab, dass jedes zweite Schweizer KMU Teile seiner IT auslagern will. Grosskonzerne gehen diesen Weg schon länger, und die öffentlichen Verwaltungen auf dem Kontinent bewegen sich ebenfalls in diese Richtung. Für Outsourcing-Anbieter wie EDS scheinen goldene Zeiten anzubrechen.

Dirk Ruschmann
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