Ein Jahr Abgasskandal bei Volkswagen - ein Jahr Unsicherheit, Ermittlungen, Milliardenkosten. Der Autobauer muss sich weiter gegen die Folgen seiner bislang schwersten Krise stemmen. In der Schweiz besteht kaum Aussicht auf eine Entschädigung wie in den USA.

Ein Jahr nach dem Ausbruch des Abgas-Skandals kämpft der VW-Konzern an so vielen Fronten wie nie zuvor. In der Affäre um weltweit elf Millionen manipulierte Dieselautos sind allenfalls frühe Etappen genommen. So kostet ein erster Vergleich in den USA bis zu 14,7 Milliarden Dollar. Es drohen aber weitere Zivilklagen und auch strafrechtliche Folgen.

Beim Rückruf der Fahrzeuge mit dem Skandal-Motor EA 189 hat der Konzern zwar kürzlich rund die Hälfte der für Europa nötigen Genehmigungen vom deutschen Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erhalten. Doch ursprünglich sollte der Rückruf 2016 abgewickelt sein - nun gilt dieses Ziel lediglich für die KBA-Genehmigungen. Wann die letzten Autos in die Werkstatt können, ist unklar. Es dürfte 2017 werden.

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Schweizer Klagen in Braunschweig

Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen 30 Beschuldigte. Ob die Behörde Anklage erhebt, ist noch in der Prüfung - Entscheidungen sind für dieses Jahr nicht mehr realistisch. Prozesse könnten dann frühestens 2017 starten, falls das Gericht sie eröffnet.

Die Bundesanwaltschaft leitete im April rund 2000 Strafanzeigen aus der Schweiz nach Braunschweig weiter. Sie begründete den Schritt mit dem dort laufenden Strafverfahren, welches die gesamte Faktenlage und damit alle betroffenen 11 Millionen Fahrzeuge berücksichtigt.

Der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) passt das nicht. Die Behörden seien zu Untersuchungen verpflichtet, denn die Straftatbestände seien in der Schweiz vorgefallen.

In der Schweiz kaum Aussicht auf Entschädigung

Die Bundesanwaltschaft trat auf die entsprechende Beschwerde nicht ein. Die Westschweizer Konsumentenorganisation Fédération romande des Consommateurs (FRC) zog das ans Bundesstrafgericht weiter, wo ein Entscheid hängig ist. Eine Entschädigung nach US-Vorbild ist in der Schweiz und im gesamten Europa jedenfalls in weiter Ferne. Der VW-Konzern schliesst das kategorisch aus.

Die SKS ging unterdessen eine Partnerschaft mit der niederländischen Stiftung «Volkswagen-Car-Claim» ein und empfiehlt seither allen Besitzern eines Betrugsautos sich dort anzumelden. Seit Ende Juni sind dort nach aktuellen Angaben der SKS 1700 Anmeldungen aus der Schweiz eingegangen.

Die VW-Car-Claim führt mit VW Vergleichsverhandlungen. Kommt keine Einigung zustande, kann VW-Car-Claim in den Niederlanden eine Klage gegen VW einreichen. Die Teilnahme am Verfahren ist für die Betroffenen kostenlos. In der Schweiz existiert das Instrument einer Sammelklage nicht.

Bereinigung auch intern

Auch intern bemüht sich VW weiter um Gewissheit zur Schuldfrage. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa ist der Kreis möglicher Beteiligter eingegrenzt. Doch die Abfolge hinter den Entscheidungen bleibe unklar.

VW will die Untersuchung bis zum Jahresende beenden. Die Veröffentlichung der Ergebnisse hängt auch an der Abstimmung mit US-Behörden wie dem FBI.

Konzernchef Matthias Müller bilanzierte Ende Juni, es gelte, gesetzestreues und wertegeleitetes Handeln noch konsequenter im Unternehmen zu verankern und auch vorzuleben.

Grösster Verlust der Konzerngeschichte

Im Alltagsgeschäft blieb immerhin der befürchtete Absatzeinbruch aus. Aber mit rund 1,6 Milliarden Euro Nachsteuerverlust wurde 2015 zum verlustreichsten Jahr in der rund 80-jährigen VW-Konzerngeschichte.

Auch im ersten Halbjahr 2016 kostete die Abgas-Affäre Europas grössten Autobauer Gewinnkraft: Unterm Strich sackte das Ergebnis um gut ein Drittel auf 3,46 Milliarden Euro ab. Als neuen Risikopuffer musste der Konzern aus dem Gewinn weitere 1,6 Milliarden Euro herausnehmen. Zuvor hatten die Rückstellungen schon 16,2 Milliarden Euro betragen.

Branchenweit gewaltige Herausforderungen

Zu allem Überfluss muss sich VW mitten in der Krise für branchenweit gewaltige Herausforderungen wappnen. Autopilot-Funktionen sollen das Steuern überflüssig machen, durch die Digitalisierung werden Autos zu Apps auf Rädern.

Die E-Mobilität trifft Verbrennungsmotoren und deren Wertschöpfung, an der Tausende Stellen nicht nur bei Volkswagen hängen. Ein «Zukunftspakt» soll der Belegschaft neue Sicherheiten bringen. VW will in dieser Gemengelage zum «Mobilitätsdienstleister» werden.

(sda/ccr)